Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Das sollte mein Jahr sein“
Am Montag beginnen in NRW die Abitur-prüfungen. Auch für Santana Migas aus Viersen. Die 18-Jährige erzählt, warum sie sich um eine wichtige Lebensphase betrogen fühlt und sie trotz großer Zukunftspläne nun planlos ist.
Vor wenigen Tagen wäre ich mit einer Freundin nach Hawaii geflogen. Den Urlaub wollten mir meine Eltern zum erreichten Abi schenken. Unter normalen Voraussetzungen hätte ich am Albertus-magnus-gymnasium in Viersen bereits alle meine Abiturklausuren geschrieben. Ich hätte Mottowoche gehabt, den Abistreich erlebt und den letzten Schultag mitgemacht. Die Reise wäre für mich etwas sehr Besonderes gewesen.
Stattdessen erinnere ich mich an den Tag, an dem die Krise für mich so richtig anfing: Ich kam am Freitag, den 13. März, nach Hause. Um 14.30 Uhr war eine Pressekonferenz. Ich saß mit meiner Mama auf der Couch. Wir schauten gemeinsam an, was Ministerpräsident Armin Laschet zu sagen hatte. Eine der Kernbotschaften: An diesem Tag war rückblickend unser letzter Schultag. In NRW würden die Schulen schließen. Das war das letzte Mal, dass ich in meinem Leben richtig Unterricht hatte. In unserer Whatsapp-gruppe schlug die Nachricht ein wie ein Blitz: „Oh nein, das war unser letzter Schultag! Wir haben uns gar nicht verabschiedet!“Es war ein komisches Gefühl für alle.
Wir hatten so viel geplant für den Abistreich an diesem Tag. Wir hatten Hüpfburgen und Bällebäder organisiert sowie einen Videografen engagiert, damit man eine Erinnerung an diesen besonderen Tag hat. Doch jetzt ist der Abistreich gestorben. Wir dürfen ihn auch im Sommer nicht nachholen. Irgendwie bin ich ein Pechvogel: Auch meine Verabschiedung aus der Grundschule ist vor Jahren schon ausgefallen.
Am Freitag war nun mein letzter Schultag. Aber ich sehe ihn nicht als diesen. Nach der Wiedereröffnung der Schulen sind wir nur gekommen, um Informationen zu bekommen und Fragen zu stellen, und dann fuhr man wieder. Es fühlte sich nicht mal an wie Unterricht. Alle gingen am Ende sofort wieder, denn wir haben ja Kontaktsperre.
Bei meiner Schwester, die 2018 an der Schule ihr Abi gemacht hat, weiß ich, dass sie eine kleine Verabschiedungszeremonie in der Schule hatte, als sie ihre Abiturzulassung bekommen haben. Unsere Abiturzulassungszeremonie verlief am Freitag so, dass wir morgens in der Schule erscheinen sollten, dann in Zehnergruppen aufgeteilt wurden. Uns wurde so schnell wie möglich die Belehrung erteilt, und dann konnten wir wieder gehen. Am Montag beginnen die Prüfungen, meine erste Klausur ist am Dienstag in Bio.
Aber was ich am allerschlimmsten finde, ist das Thema Abifeier. Sie wäre am 20. Juni gewesen.
Zwölf Jahre habe ich darauf hingearbeitet, dass ich irgendwann in einem Ballkleid auf der Bühne stehe und es geschafft habe. Seit einem Jahr habe ich mein Kleid. Die Schuhe habe ich vor drei Jahren gekauft. Die habe ich gesehen und wusste, dass ich sie zu diesem Anlass tragen werde. Mit meinen Freundinnen wollte ich eine Limousine mieten und vor der Festhalle vorfahren. Ich wollte, dass das der große Tag wird. Bis heute habe ich nicht richtig realisiert, dass er vielleicht gar nicht stattfinden wird.
Denn um den möglichen Ausweichtermin im September gibt es viele Diskussionen. Wenn dieser Tag wegfällt und wir das Abizeugnis per Post zugeschickt bekommen, hätte ich nicht das Gefühl: Ich habe etwas geschafft. Ich habe den Lebensabschnitt beendet. Ich habe meine Jugend beendet und kann nach vorne schauen, erwachsen werden und ein neues Leben anfangen.
Das sollte mein Jahr sein. Ich wollte dieses Jahr zu Hause ausziehen und habe mich beim Bundeskriminalamt für ein duales Studium beworben. Das Auswahlverfahren sollte Mitte April in der vorletzten Schulwoche stattfinden. Wegen der Corona-krise ist es ausgefallen.
Der Hauptteil des dualen Studiums wäre in Wiesbaden gewesen. Dort wollte ich eine Wohnung suchen. Doch jetzt bin ich hier und habe keine Ahnung, wo ich hingehe. Dabei hatte ich mein Leben geplant. Ich hatte einen Plan B und auch einen Plan C. Jetzt bin ich planlos.
Das Einzige, was ich tun kann, ist warten. Warten darauf, ob das Auswahlverfahren stattfindet. Warten darauf, ob die Studiengänge überhaupt zur geplanten Zeit stattfinden können, denn das Sommersemester wurde schon verschoben. Diese Unwissenheit verursacht bei mir ein sehr negatives Gefühl. Ich wollte zu diesem Zeitpunkt wissen, wie meine Zukunft aussieht. Aber jetzt weiß ich gar nichts. Nur, dass ich mein Abitur schreibe und dann … mal gucken.
Trotzdem möchte ich optimistisch bleiben. Und selbst wenn es so sein wird, dass ich im Abiballkleid mit meinen Eltern und meinem Freund alleine essen gehe. Ich werde mir „mein Ende der Schulzeit“machen. Ich werde mir nicht alles nehmen lassen.“
Protokoll: Tanja Walter