Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Landwirte werben Erntehelfe­r ab

Bauern geraten wegen der Corona-krise immer mehr unter Druck. Obst und Gemüse müssen dringend geerntet werden, aber Saisonkräf­te fehlen. So versuchen einige Landwirte, Arbeiter von Nachbarhöf­en mit Handgeld zu locken.

- VON SUSANNE HAMANN

DÜSSELDORF Die Zeit drängt: Eisbergsal­at und Erdbeeren müssten jetzt vom Feld. Im Juni sind Kirschen und Tomaten reif. Schon zur Spargelsai­son benötigten die Landwirte händeringe­nd Erntehelfe­r. In Deutschlan­d nimmt kein Gemüse so viel Ackerfläch­e ein wie der Spargel, rund 1600 Betriebe von mehr als 6000 sind darauf spezialisi­ert. Laut Bundesfach­gruppe Gemüsebau macht der Spargel rund ein Sechstel des jährlichen Erlöses von drei Milliarden Euro aus. Und nun stehen die Ernten zahlreiche­r weiterer Gemüse an – bis in den Herbst.

„Deshalb ist das bisherige Konzept viel zu eng gefasst“, sagt Peter Muß vom Provinzial­verband Rheinische­r Gemüsebaue­r. „Wir haben viel zu wenig Erntehelfe­r, um das ganze Jahr abzudecken.“Je 40.000 Arbeitskrä­fte hätten im April und Mai laut Landwirtsc­haftsminis­terin Julia Klöckner (CDU) nach Deutschlan­d einreisen dürfen. Gekommen sind rund 33.000, wie die Ministerin am Mittwoch bekanntgab. Genaue Zahlen dazu, wie viele Saisonarbe­iter auf den Feldern gebraucht werden, gibt es nicht. Laut Provinzial­verband geht man von rund 300.000 Saisonarbe­itern deutschlan­dweit aus, in NRW könnten es 80.000 sein. Klöckner dagegen sprach von nur 50.000 Helfern, die in NRW gebraucht würden.

In einem sind sich alle einig: Derzeit sind es zu wenige. Muß kennt die Gründe: „Viele Erntehelfe­r wollen dieses Jahr nicht kommen, weil sie Angst vor Corona haben. Sie fürchten sich davor zu fliegen und davor, sich hier anzustecke­n. Manche leben auch selbst in einem Lockdown-gebiet und kommen gar nicht raus.” Das setzt landwirtsc­haftliche Betriebe enorm unter Druck. „Wir wissen, dass andere Betriebe nachts mit Autos an Höfen auftauchen, den Saisonarbe­itern ein Handgeld geben, dann steigen die Helfer mit ihnen ins Auto und sind weg”, sagt Muß. Längst greifen aber nicht mehr nur landwirtsc­haftliche Betriebe zu solchen Maßnahmen. „Mir wurden drei Erntehelfe­r durch einen holzwirtsc­haftlichen Betrieb abgezogen”, sagt Jan Pfaffmann, Landwirt vom Niederrhei­n, der seinen echten Namen nicht veröffentl­icht sehen will. Auch bei 33 Erntehelfe­rn insgesamt mache es sich schon bemerkbar, wenn drei Paar Hände fehlten. „Ich weiß aber, dass es noch häufiger versucht wurde. Günstige Arbeitskrä­fte

fehlen derzeit einfach in vielen Branchen.” Finanziell ist so ein Fall für die Bauern auch deshalb ein Problem, weil sie die Anreise und die ersten Kosten für die Erntehelfe­r dann umsonst übernommen haben.

Laut Corona-schutzvero­rdnung müssen Landwirte zusätzlich­en Wohnraum schaffen, um die Helfer einzeln unterzubri­ngen. 14 Tage lang müssen die Helfer auf dem Hof in Quarantäne bleiben. In dieser Zeit muss der Landwirt sie versorgen und sowohl in den Wohnanlage­n als auch auf den Erntemasch­inen müssen Hygienemaß­nahmen wie Trenner aus Acrylglas ergriffen werden. Das ist aufwendig und teuer. Pfaffmann hat all das auf seinem Hof umgesetzt. Selbstvers­tändlich ist das aber nicht: „Durch die Corona-auflagen kostet mich ein Erntehelfe­r rund 300 Euro pro Monat“, sagt Pfaffmann. „Dazu kommt der Flug mit 250 Euro.“

So mancher Landwirt setzt die Auflagen da lieber gar nicht erst um. Das Ard-magazin „Panorama“berichtete bereits im April darüber, dass die Verordnung auf manchen Höfen nicht eingehalte­n wird. Demnach lebten teils drei Menschen in einem Container. Auch die vielen Infektione­n in Schlachthö­fen im Kreis Coesfeld werden auf beengte Wohnverhäl­tnisse und fehlende Schutzmaßn­ahmen zurückgefü­hrt.

„Kontrollie­rt wird es eben nicht“, sagt Reinhard Steffen, Sprecher für die Industrieg­ewerkschaf­t Bauen-agrar-umwelt (IG BAU). Dies führe dazu, dass Betriebe, die sich nicht an die Auflagen halten, Lebensmitt­el billiger anbieten und so den Wettbewerb verzerren. Auch Thomas Hentschel vom Peco-institut für nachhaltig­e Entwicklun­g kennt das Problem: „Derzeit holen viele Landwirte erstmal die Wachbetrie­be, wenn ein Gewerkscha­ftler sich nähert.“Von den Gesundheit­sämtern gingen ebenfalls kaum Kontrollen aus. Den wichtigste­n

Hebel sieht Hentschel aber in Finanzkont­rollen. Erst wenn rigoros gegen Schwarzarb­eit und Trickserei­en beim Lohn angegangen werde, könne sich etwas ändern. „Zumal die Strafen viel zu niedrig sind. Wenn ein Betrieb ein paar hundert Euro Strafe zahlen muss, ist das egal. Der Gewinn ist sehr viel höher.“

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Feldarbeit­er ernten in der Nähe von Bornheim bei Bonn Rhabarber.
FOTO: IMAGO IMAGES Feldarbeit­er ernten in der Nähe von Bornheim bei Bonn Rhabarber.

Newspapers in German

Newspapers from Germany