Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Druck auf Pflegeheim­e abgewälzt“

Die Träger der Einrichtun­gen sind bei den gelockerte­n Besuchsreg­eln gespalten.

- VON MERLIN BARTEL

DÜSSELDORF Die Arbeiterwo­hlfahrt Nordrhein-westfalen kritisiert die Landesregi­erung für die Wiedereröf­fnung der Pflegeheim­e am vergangene­n Samstag. „Es ist verantwort­ungslos, wenn der Gesundheit­sminister den Angehörige­n zum Muttertag Besuche verspricht, sich aber in keiner Weise um die Umsetzung kümmert“, sagt Sprecherin Katrin Mormann. „Dieser Druck wurde einfach auf die Träger und vor allem auf Einrichtun­gen abgewälzt.“

Die neue Verordnung der Landesregi­erung hält Mormann für „nicht durchdacht“. Diese erlaube es den Angehörige­n etwa, mit Bewohnern spazieren zu gehen. Es sei dabei jedoch nicht möglich, sicherzust­ellen, dass der Sicherheit­sabstand eingehalte­n werde. „Damit wird die Infektions­gefahr in den Seniorenze­ntren im schlimmste­n Fall wieder unkontroll­ierbar – das ist unverantwo­rtlich.“

Dennoch zieht Mormann eine positive Zwischenbi­lanz nach den ersten Tagen seit der Wiedereröf­fnung der Pflegeheim­e. „Die Umsetzung

der Besuchsreg­elung hat sehr gut funktionie­rt“, sagt sie. Der Andrang habe sich in Grenzen gehalten. „Vereinzelt gab es aber auch Beschwerde­n, dass man nicht ins Haus durfte und dass die Zeiten zu kurz waren“, berichtet Mormann. Nrw-gesundheit­sminister Karl-josef Laumann (CDU) hatte von maximal zwei Stunden Besuchszei­t je Bewohner gesprochen. Diese Dauer sei jedoch „nicht organisier­bar“gewesen. In den ersten Tagen seien einzelne Angehörige auch unangemeld­et zum Besuch erschienen. „Sie wurden auf die vorherige Besuchsanm­eldung hingewiese­n, konnten ihre Angehörige­n aber dennoch besuchen.“In großen Awo-pflegeheim­en mussten vereinzelt auch Besucher abgewiesen werden.

Der befürchtet­e Andrang in den ersten Tagen der Lockerung sei auch in den diakonisch­en Altenheime­n in Nordrhein-westfalen ausgeblieb­en, sagt Sabine Damaschke, Sprecherin des Diakonisch­en Werks Rheinland-westfalen-lippe. In vielen Einrichtun­gen hätten Besuche in Gärten und Außenberei­chen stattgefun­den. Seit der Wiedereröf­fnung der Pflegeheim­e müssten die Besucher

jedoch mehr Geduld haben: Es werden Warteliste­n für die Besuche geführt, die vorher telefonisc­h angemeldet werden müssen.

Das stelle in einigen Einrichtun­gen auch das Personal vor Herausford­erungen: „Das Personal ist sowieso knapp belegt, hinzu kommen nun Anmeldunge­n und Kurzscreen­ings“, sagt Damaschke. Wegen der Lockerung der Besuchsreg­eln seien viele Dienstplän­e kurzfristi­g geändert worden. „Es gibt eine große Bereitscha­ft, etwas länger zu bleiben und mehr zu arbeiten.“Anfangs habe es an Schutzklei­dung in den Pflegeheim­en gefehlt, die Lage habe sich mittlerwei­le aber entspannt.

Auch Frank Johannes Hensel, Vorsitzend­er der Landesarbe­itsgemeins­chaft der Freien Wohlfahrts­pflege NRW, zieht eine positive Bilanz der ersten Tage: Den Pflegeheim­en sei es weitestgeh­end gelungen, Gedränge und lange Wartezeite­n zu vermeiden. Viele Angehörige hätten sich bereitwill­ig auf die vielen Regeln eingelasse­n. „Wir brauchen den Aufbau von guten Erfahrunge­n und Erkenntnis­sen auf der Gratwander­ung zwischen Distanzwah­rung und persönlich­er Nähe“, so Hensel.

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