Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Druck auf Pflegeheime abgewälzt“
Die Träger der Einrichtungen sind bei den gelockerten Besuchsregeln gespalten.
DÜSSELDORF Die Arbeiterwohlfahrt Nordrhein-westfalen kritisiert die Landesregierung für die Wiedereröffnung der Pflegeheime am vergangenen Samstag. „Es ist verantwortungslos, wenn der Gesundheitsminister den Angehörigen zum Muttertag Besuche verspricht, sich aber in keiner Weise um die Umsetzung kümmert“, sagt Sprecherin Katrin Mormann. „Dieser Druck wurde einfach auf die Träger und vor allem auf Einrichtungen abgewälzt.“
Die neue Verordnung der Landesregierung hält Mormann für „nicht durchdacht“. Diese erlaube es den Angehörigen etwa, mit Bewohnern spazieren zu gehen. Es sei dabei jedoch nicht möglich, sicherzustellen, dass der Sicherheitsabstand eingehalten werde. „Damit wird die Infektionsgefahr in den Seniorenzentren im schlimmsten Fall wieder unkontrollierbar – das ist unverantwortlich.“
Dennoch zieht Mormann eine positive Zwischenbilanz nach den ersten Tagen seit der Wiedereröffnung der Pflegeheime. „Die Umsetzung
der Besuchsregelung hat sehr gut funktioniert“, sagt sie. Der Andrang habe sich in Grenzen gehalten. „Vereinzelt gab es aber auch Beschwerden, dass man nicht ins Haus durfte und dass die Zeiten zu kurz waren“, berichtet Mormann. Nrw-gesundheitsminister Karl-josef Laumann (CDU) hatte von maximal zwei Stunden Besuchszeit je Bewohner gesprochen. Diese Dauer sei jedoch „nicht organisierbar“gewesen. In den ersten Tagen seien einzelne Angehörige auch unangemeldet zum Besuch erschienen. „Sie wurden auf die vorherige Besuchsanmeldung hingewiesen, konnten ihre Angehörigen aber dennoch besuchen.“In großen Awo-pflegeheimen mussten vereinzelt auch Besucher abgewiesen werden.
Der befürchtete Andrang in den ersten Tagen der Lockerung sei auch in den diakonischen Altenheimen in Nordrhein-westfalen ausgeblieben, sagt Sabine Damaschke, Sprecherin des Diakonischen Werks Rheinland-westfalen-lippe. In vielen Einrichtungen hätten Besuche in Gärten und Außenbereichen stattgefunden. Seit der Wiedereröffnung der Pflegeheime müssten die Besucher
jedoch mehr Geduld haben: Es werden Wartelisten für die Besuche geführt, die vorher telefonisch angemeldet werden müssen.
Das stelle in einigen Einrichtungen auch das Personal vor Herausforderungen: „Das Personal ist sowieso knapp belegt, hinzu kommen nun Anmeldungen und Kurzscreenings“, sagt Damaschke. Wegen der Lockerung der Besuchsregeln seien viele Dienstpläne kurzfristig geändert worden. „Es gibt eine große Bereitschaft, etwas länger zu bleiben und mehr zu arbeiten.“Anfangs habe es an Schutzkleidung in den Pflegeheimen gefehlt, die Lage habe sich mittlerweile aber entspannt.
Auch Frank Johannes Hensel, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege NRW, zieht eine positive Bilanz der ersten Tage: Den Pflegeheimen sei es weitestgehend gelungen, Gedränge und lange Wartezeiten zu vermeiden. Viele Angehörige hätten sich bereitwillig auf die vielen Regeln eingelassen. „Wir brauchen den Aufbau von guten Erfahrungen und Erkenntnissen auf der Gratwanderung zwischen Distanzwahrung und persönlicher Nähe“, so Hensel.