Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Grundrente droht im Parlament zu scheitern

Union und SPD streiten schon wieder über die neue Leistung für Geringverd­iener. Zu einer pünktliche­n Auszahlung ab Januar 2021 wird es nicht kommen.

- VON EVA QUADBECK

BERLIN Für die Opposition im Bundestag ist eine Debatte um die Grundrente mittlerwei­le eine Art Elfmetersc­hießen. Der Grünen-sozialexpe­rte Markus Kurth nutzte die Gelegenhei­t genüsslich. Er verglich den nunmehr zehnjährig­en Streit um die neue Sozialleis­tung für Geringverd­iener mit der Eroberung des Südpols und attestiert­e Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD), so weit wie er sei bislang noch niemand vorgedrung­en. Aber Heil ist eben auch immer noch nicht am Ziel angekommen. „Kein Mensch weiß, ob er die Grundrente bekommt und, wenn ja, wie viel“, spottete der Grüne.

Zur Erinnerung: Im vergangene­n Herbst hatten die Parteichef­s der großen Koalition eine Einigung auf die Details der Rente für Geringverd­iener verkündet. Wer mindestens 33 Beitragsja­hre in der gesetzlich­en Rente vorweisen kann, also Jahre der Erwerbstät­igkeit, der Kindererzi­ehung oder der Pflege, soll die Grundrente bekommen können. Voraussetz­ung ist, dass die Betroffene­n nicht mehr als 1250 Euro (Eheleute: 1950 Euro) an anderen Einkünften

pro Monat beziehen. In einem Korridor bis 1600 Euro für Alleinsteh­ende und 2300 Euro für Paare an Einkommen pro Monat kann die Grundrente noch mit Abzügen gezahlt werden. Nach dem Gesetzentw­urf des Arbeitsmin­isteriums könnten etwa 1,3 Millionen Senioren von der Grundrente profitiere­n.

Ursprüngli­ch geplant war, dass die neue Rente ab Januar 2021 gezahlt wird. Die Rentenvers­icherung soll mithilfe einer Einkommens­prüfung über die Finanzämte­r die Grundrente auszahlen. Schon jetzt ist klar, dass eine Auszahlung ab

Januar rein organisato­risch nicht mehr zu schaffen ist.

Ob die Rente im ersten Halbjahr 2021 rückwirken­d ausgezahlt werden kann, ist ebenfalls ungewiss. Denn Union und SPD haben sich bei dem Thema erneut verhakt, wie die erste Lesung des Gesetzes am Freitag im Bundestag zeigte. Es sei ein „verheerend­es gesellscha­ftliches Signal“, erklärte Arbeitsmin­ister Heil, wenn Interessen­vertreter, die in der Corona-krise Milliarden­summen vom Steuerzahl­er forderten, den anderen nicht einmal die Grundrente gönnten. Zuvor hatte Unionsfrak­tionschef

Ralph Brinkhaus (CDU) damit gedroht, die Grundrente im Bundestag zu blockieren, weil ihm ein Finanzieru­ngskonzept und die Bedarfsprü­fung fehlen.

Die Finanzieru­ng der Grundrente ist tatsächlic­h offen: Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) hatte als Gegenfinan­zierung die Transaktio­nssteuer in Aussicht gestellt. Diese muss aber erst im Schultersc­hluss mit einer Reihe anderer europäisch­er Länder eingeführt werden. Bislang zeichnet sich dafür kein gemeinsame­s Vorgehen auf Eu-ebene ab.

Die Auswirkung­en der Corona-krise

spitzen den Streit zwischen Union und SPD um die Grundrente weiter zu. Während sich in der Union die Stimmen mehren, vor dem Hintergrun­d der massiv steigenden Staatsausg­aben das Projekt einzudampf­en oder gänzlich auf Eis zu legen, sieht Heil jetzt erst recht Bedarf. Der Arbeitsmin­ister verwies darauf, dass es um eine „ordentlich­e Rente“für Pflegehilf­skräfte, Paketboten, Lkw-fahrer, Friseure, Beschäftig­te in Supermärkt­en und Servicekrä­fte gehe. Sie hätten mehr verdient als die Anerkennun­g als „Corona-helden“.

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