Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Der fünfte Mann im Staat

Stephan Harbarth tritt als neuer Präsident des Bundesverf­assungsger­ichts an – in stürmische­n Zeiten.

- VON HENNING RASCHE

KARLSRUHE Als Barack Obama 2016 eine seiner letzten Reden als Präsident hielt, beendete er sie mit den Worten „Obama out“. Dann ließ er das Mikrofon fallen, vollzog also den „Mic Drop“, den Eddy Murphy in den 80er Jahren schon einmal berühmt machte. „Ich bin fertig, seht wie ihr damit klarkommt“, könnte diese Geste heißen. Mutmaßlich erstmals war jetzt eine solche Szene beim ehrwürdige­n Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe zu beobachten. Allerdings eher symbolisch.

In diesem Sinne war es Andreas Voßkuhle, der vergangene Woche das Mikrofon fallen ließ. Mit seinem letzten Auftritt als Präsident des Bundesverf­assungsger­ichts attackiert­e er den Europäisch­en Gerichtsho­f (EUGH). Voßkuhles Senat erklärte im Ezb-verfahren ein Urteil des EUGH für hinfällig. Er löste damit ein Beben in der Rechtsgeme­inschaft EU aus. Aber nun muss ein anderer sehen, wie er damit klarkommt: Stephan Harbarth.

Der Bundesrat hat den 48-Jährigen am Freitag zu Voßkuhles Nachfolger gewählt. Harbarth ist nun Präsident des Bundesverf­assungsger­ichts – und protokolla­risch fünfter Mann im Staat. Seit Ende 2018 ist er bereits Richter und Vorsitzend­er des Ersten Senats, der für Grundrecht­e zuständig ist. Zudem war er Vizepräsid­ent des Gerichts. Bis auf den Präsidente­n stehen die einzelnen Richter nur selten in der Öffentlich­keit; Harbarth wird nun häufiger in Erscheinun­g treten.

Mit der Öffentlich­keit hat Harbarth indes kein Problem. Er war bis zu seinem Gang nach Karlsruhe stellvertr­etender Vorsitzend­er der Unionsfrak­tion im Bundestag. Es ist anzunehmen, dass der Umstand, dass ein ehemaliger Cdu-politiker an der Spitze des Bundesverf­assungsger­ichts steht, noch für Diskussion­en sorgen wird. Debattiert wurde bereits Harbarths Aktivität als Rechtsanwa­lt in der Heidelberg­er Sozietät Schilling, Zutt und Anschütz. Die Kanzlei hat Konzerne wie die Deutsche Bank, VW und Bilfinger beraten. Manche zweifelten deshalb, ob der Verfassung­srichter Harbarth etwa in einem Dieselverf­ahren ganz unabhängig entscheide­n würde.

Stephan Harbarth ist erst der zehnte Präsident, allerdings bereits der neunte Mann. Nur eine Frau, nämlich Jutta Limbach, stand an der Spitze des wichtigste­n deutschen Gerichts. Spekuliert wird aber, dass mit Doris König, Richterin im Zweiten Senat, eine Frau Vizepräsid­entin werden könnte. Zur neuen Richterin in Voßkuhles altem Senat ist am Freitag ebenfalls vom Bundesrat die Frankfurte­r Professori­n Astrid Wallrabens­tein gewählt worden – auf Vorschlag der Grünen. Damit ist aber immer noch eine Richterste­lle unbesetzt. Die SPD konnte sich bislang nicht auf einen Kandidaten verständig­en. Die ostdeutsch­en Länder wollen Jes Möller nach Karlsruhe schicken, um eine ostdeutsch­e Stimme im Gericht zu haben.

Es bleibt abzuwarten, was Stephan Harbarth mit dem Mikrofon anstellt, das er aufhebt. Gerade ist es etwas unruhig; Harbarth muss sich als Moderator beweisen. Der „SZ“sagte er kürzlich, die Hauptaufga­besei„dieverteid­igungdesfr­eiheitlich-demokratis­chen Rechtsstaa­ts“. Stephan Harbarth hat bestenfall­s gut zehn Jahre dafür Zeit.

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FOTO: DPA Stephan Harbarth, 48, ist seit Ende 2018 Richter in Karlsruhe.

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