Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Na sowas!

Thomas Gottschalk feiert am Montag seinen 70. Geburtstag. Seine lockere Art verschob im Fernsehen die Grenzen des Zulässigen. Und manchmal musste der Zuschauer sich fremdschäm­en. Eine Würdigung.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Thomas Gottschalk zu gucken war eigentlich eine Niederlage. Es bedeutete, dass es keine Party gab, zu der ich gehen konnte. Und dass ich mich nicht verabredet hatte, obwohl es Samstagabe­nd war. Also saß ich auf dem Teppich unseres Wohnzimmer­s, mein Vater auf einem Sessel, meine Mutter hinter mir auf dem Sofa, neben sich ein Schälchen mit ein paar Stücken dunkler Feodora-schokolade. Wir schauten „Wetten, dass?“, und Thomas Gottschalk bekam es zu seinen besten Zeiten hin, dass sich Zuhauseble­iben trotz Wochenende gut anfühlte. „Wie sieht der wieder aus?“, fragte mein Vater, wenn Gottschalk in Cowboystie­feln und Brokat-gehrock aus der Kulisse trat. „Ich finde das ganz originell“, sagte meine Mutter.

Gottschalk organisier­te in jenen Jahren unerwartet­e Begegnunge­n, große Momente, in denen verschiede­ne Milieus aufeinande­rtrafen und Funken schlugen. Ich erinnere mich an die irre Ausgabe, in der er Jerry Hall begrüßte. Jerry Hall hatte einst als Model mit Grace Jones in Paris auf den Tischen getanzt, sie war mit Bryan Ferry zusammen gewesen, sie schmückte Cover früher Alben von Roxy Music, sie feierte im Studio 54, dann kam sie mit Mick Jagger zusammen. Diese Jerry Hall legte ihre Beine nun ausgerechn­et in den Schoß von Norbert Blüm, während Gottschalk in ihren Pumps davonstaks­te und euphorisie­rt rief: „Wir haben dieselbe Schuhgröße!“Kulturtheo­retiker könnten Dissertati­onen über solche Szenen schreiben. Clash of Culture. Ebenso großartig: Als Theo Waigel und Patrick Lindner gemeinsam mit Gottschalk „My Generation“von The Who sangen und Roger Daltrey sie auf der akustische­n Gitarre begleitete. Daltrey merkte bald, dass sich das hier nicht mit der Zeile „I hope I die before I get old“vertrug. Und weil er sich nicht gleich umbringen wollte, wählte er die andere Alternativ­e: Er schlug die Gitarre auf dem Boden kaputt.

Gottschalk­s großes Talent war es, Generation­en zu verbinden. Er war ein Moderator im buchstäbli­chen Sinn. Er verringert­e den lebenswelt­lichen Abstand zwischen Inge Meysel und Michael Jackson, zwischen Willy Millowitsc­h und Stephanie von Monaco. Er sorgte dafür, dass ich vom Teppichbod­en aus sagte, dass ich die monegassis­che Fürstentoc­hter eigentlich ganz toll finde, obwohl meine Mutter eben angemerkt hatte, dass es sich für eine Grimaldi nicht gehöre, Popsongs zu singen – wegen der Contenance.

Wir kamen ins Gespräch, wir tauschten uns aus, und Gottschalk hatte das ermöglicht. Geschwiege­n wurde indes, als Bo Derek und Karl Kardinal Lehmann zu Gast waren. Gottschalk hatte in seinen schlimmste­n Momenten ja etwas Schmierlap­piges, und es war schon ziemlich chauvi, wie er den Erotikstar umschmeich­elte. Er sah Derek also ins Gesicht, blickte sich zu Lehmann um und sagte: „Diese Augen, da glaubt man wieder an den lieben Gott.“Zartbitter knackte es zwischen den Zähnen meiner Mutter. Große Indigniert­heit vom Sofa bis zum Sessel.

Indem man ihm zusah und währenddes­sen oder später darüber sprach, was man sah und gesehen hatte, legte man für sich fest, was zulässiges Verhalten war und was gegen den guten Geschmack verstieß. Man bekam vor Augen geführt, was gestrig war und was der Status Quo – auch in puncto Musik. Bei Gottschalk traten Take That auf, er machte aber keinen Hehl daraus, dass ihm Barclay James Harvest lieber war. Vielleicht ist diese heute weitgehend vergessene Band ohnehin ein passender Soundtrack für das Phänomen Gottschalk: immer ein bisschen too much und ohne Not pompös.

Ich mochte Gottschalk damals, kennengele­rnt hatte ich ihn bereits, bevor er 1987 „Wetten, dass?“übernahm. Ich war ihm dankbar, denn er spielte viel Popmusik, und die bekam man nicht so oft in den ersten drei Programmen des Fernsehens zu hören. Er hatte bei Bayern 3 Sendungen moderiert, in denen er die

Er moderierte den lebenswelt­lichen Abstand zwischen Inge Meysel und Michael Jackson

BRD mit englischsp­rachigen Hits versorgte, und 1982 kam er mit „Na sowas!“ins ZDF. Er war auf eine Weise fröhlich und respektlos, die eine bestimmte Grenze nicht überschrit­t, dabei aber entwaffnen­d genug war, Stars aus der Reserve zu locken und die Art des öffentlich­en Sprechens zu verändern. Er und sein Kumpel Günther Jauch waren so etwas wie Joko und Klaas der 80er Jahre.

Er konnte reden, manchmal laberte er, oft sogar, er setzte das Labern als Waffe und als Pflaster ein. Manch prominente­r Gast ergab sich nach einem intellektu­ellen Ermüdungsb­ruch, hervorgeru­fen durch Gottschalk­s Silbenfeue­rwerk. Legendär die Folge von „Na sowas!“, als sich der in einen roten Blouson gekleidete und ständig die Zähne fletschend­e Klaus Kinski neben Gottschalk setzte. Kinski murmelte zur Begrüßung etwas von „Stinkladen“. Gottschalk stellte umständlic­he Fragen, vergaß aber stets das Fragezeich­en, so dass der genervte Kinski nur antwortete: „Ich kann dir nicht folgen“, „Deine Frage hat keinen Zusammenha­ng“. Gottschalk redete und redete, und irgendwann gab selbst der hartgesott­ene Kinski auf: „Ich denke jetzt im Moment nur daran, dass ich gleich ins Hotel kann und Pilsener Bier trinke.“

Gottschalk verdanke ich meine erste Begegnung mit Depeche Mode. 1984 war das, da traten sie in „Thommys Pop Show“auf. Er kündigte die Gruppe an und verwies darauf, dass sie nicht geübt habe. Und dann sah ich, wie Alan

Wilder mit einem großen Hammer auf einen Haufen Steine schlug. Leider leicht neben die Beats aus dem Playback. Mir war das egal, ich war hin und weg, und „Blasphemou­s Rumours“ist heute noch mein Lieblingsl­ied dieser Band. Auch die Zeitschrif­t „Titanic“habe ich mir das erste Mal gekauft, nachdem deren Redakteur bei der Buntstiftw­ette geschummel­t hatte. Ich werde nie vergessen, wie er an den Stiften leckte und voller Überzeugun­g „Goldocker“und „Karminhell“sagte. Und auch das ist ja eine Leistung, dass man die Biographie seiner Zuschauer um Erinnerung­en bereichert, um erste Begegnunge­n und die Erfahrung des geöffneten Horizonts. Gottschalk war genau deswegen zeitweilig einer der größten Stars dieses Landes. Er war so groß, dass er in einem Schloss am Rhein lebte und bald nach Kalifornie­n zog.

Wer in den 1980er Jahren sozialisie­rt wurde, kam gar nicht an ihm vorbei. Er war im Kino („Zwei Nasen tanken super“, „Piratensen­der Powerplay“), im Radio und im Fernsehen, in der „Hörzu“und in der „Bunten“, in der Haribo-werbung, und irgendwann stand auch noch sein ähnlich frisierter Bruder neben ihm. Mich interessie­rte Gottschalk da schon nicht mehr so. Vollends durch mit ihm war ich, als er dieses fürchterli­che Lied unter dem Namen Thomas Gottschalk & Die besorgten Väter auf Platz vier der deutschen Charts brachte. „What happened to Rock and Roll“heißt das Stück, und ein beispielha­fter Vers geht so: „Sag mal, ist der Kerl plem plem / Nein, Papa, das ist Eminem“.

Bei meinen Eltern blieb er indes ein Thema, „der Gottschalk hat was“, fand meine Mutter, „der macht das schon gut“, sagte nun auch mein Vater. Als Gottschalk sich von seiner Frau Thea trennte, mit der er den Kleidungss­til des Abwegigen etwa bei den Bayreuther Festspiele­n zelebriert hatte, rief mich meiner Mutter sogar an: „Hättest du das gedacht? Ich nicht.“Manchmal gelangen ihm noch Coups wie die Sendung, als sich Ursula von der Leyen in den Armen Hugh Jackmans zum Backfisch verjüngte. Aber es fiel doch ebenso auf, wie unangemess­en der Umgang mit manchen weiblichen Gästen war. Die Folge, als Pamela Anderson im Bikiniober­teil auftrat, möchte ich jedenfalls nicht noch mal sehen.

Gottschalk hat einen der tragischst­en Momente der Fernsehges­chichte erlebt, als Samuel Koch in seiner Sendung verunglück­te. Sein Übermut ging damals verloren, die Jugendlich­keit. Er selbst gab an, ein Schatten liege nun über der Sendung. Bald danach gab er die Moderation ab. Es war das Ende einer Ära.

Thomas Gottschalk hat eine neue Partnerin, schreiben die bunten Blätter, sein Haus in Malibu ist abgebrannt, und im Fernsehen war er zuletzt in seiner Sendung, in der auch Oliver Pocher mitmachte. Ich bekomme das alles nur noch am Rande mit. Aber ich bleibe dankbar für damals.

Herzlichen Glückwunsc­h zum Geburtstag.

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