Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„China-züge helfen uns in der Pandemie“
Terminal-chef im Neusser Hafen über globale Warenströme in der Krise und Mitarbeiter, die ihn stolz machen.
Herr Scheidhauer, die Corona-pandemie trifft auch die Transportbranche hart. Der Tonnage-umschlag, so prognostizieren Experten, könnte im Hafen Rotterdam – 8,8 Millionen Container beziehungsweise 14,8 Millionen TEU pro Jahr – um bis zu 37 Prozent einbrechen. Schlafen Sie in Neuss angesichts solcher Ankündigungen schlecht? Karsten Scheidhauer Rotterdam leidet darunter, dass weniger Energieträger wie Rohöl und Kohle nachgefragt sind. In der Krise wird weniger gekauft, somit weniger produziert und folglich weniger Rohstoffe und Energie benötigt. Mit Blick auf die Containerverkehre fehlen in den Seehäfen fehlen inzwischen Lagerkapazitäten. Die großen Reedereien haben jedes zweite Schiff aus der Fahrt genommen. Im Bereich der innereuropäischen Verkehre hat ein großer Spediteur 1900 seiner 3500 Lastkraftwagen stillgelegt. Aber ich schlafe gut.
Was ist in Neuss anders? Scheidhauer Die Container-schifffahrt, in der wir engagiert sind, ist von den globalen Trends relativ gering betroffen. Der Standort Neuss sogar aktuell noch weniger. Vielleicht ist es im konkreten Fall sogar ein Vorteil, wenn man klein ist und flexibel agieren kann.
Das müssen Sie erklären! Warum kommen Sie im Neusser Hafen besser durch die Krise als andere? Scheidhauer Wir haben natürlich auch spürbare Rückgänge im Rotterdam-geschäft, aber die können wir ausgleichen, weil wir sehr breit aufgestellt sind und nicht von ein, zwei großen Auftraggebern abhängig sind. Optimodal hat 243 Kunden. Das sind viele für einen kleinen intermodalen Logistiker. In dieser Situation hilft uns auch der China-zug. Die Taktung wurde in der Pandemie auf drei Züge pro Woche verdoppelt. Wir haben aber auch Glück gehabt. An einem anderen Standort ist die Krananlage defekt. Wir hatten Kapazitäten und konnten einspringen.
Wie wirkt sich „Corona“in Zahlen auf Ihren Neusser Terminal aus? Scheidhauer Wir wollen erst eine Halbjahresbilanz als Zwischenstand ziehen, weil sich die Zahlen so schnell verändern. Aktuell erwarten wir einen Umsatzrückgang von maximal drei bis vier Prozent. Damit könnten wir leben. Ich sage aber auch: Mehr darf es nicht werden.
Müssen Sie staatliche Hilfe in Anspruch nehmen? Scheidhauer Nein. Bei uns gibt’s aktuell keine Kurzarbeit und keine Entlassungen. Ich bin stolz auf das gesamte Team, in dem auf jeden Einzelnen Verlass ist. Wir hatten nicht nur keinen Corona-fall, sondern überhaupt keine Krankmeldung in der Belegschaft.
Wie organisieren Sie die Arbeit unter den strengen Hygieneregeln? Scheidhauer Wir haben uns Ethanol besorgt und Desinfektionsmittel selbst gemischt, Spender hatten wir ausreichend, da wir die, als sie sehr preiswert waren, vor Monaten einmal aus Vorsicht gekauft hatten. Schutzmasken haben wir nähen lassen. Zudem haben wir alle Mitarbeiter, die im Büro oder zu Hause im Mobiloffice sind, mit Notebook, Webcam und einem zweiten Bildschirm ausgestattet. das funktioniert super. Die Belegschaft ist in Dreier-teams eingeteilt, von denen immer nur einer im Büro präsent ist.
Aber im Terminal benötigen Sie doch Mitarbeiter, die anwesend sind. Kranführer zum Beispiel? Scheidhauer Das stimmt. Alle Mitarbeiter wurden geschult, inklusive Anweisung wie man sich richtig die Hände wäscht. Die Bereiche Küche und Kantine sowie Umkleide und Dusche hatten wir geschlossen und lockern jetzt erst langsam peu á peu wieder. Ich kann nur sagen: Alle Mitarbeiter ziehen mit und es klappt. Ich hoffe, das bleibt so.
Wie wird sich die Corona-krise auf Ihre Branche in naher Zukunft auswirken?
Scheidhauer Schwer zu sagen. Stand heute sollte das Umschlagsvolumen recht stabil bleiben. Aber wenn jetzt die Lockerungen kommen, müssen wir alle im wahrsten Sinne des Wortes Abstand halten. Wir, alle Bürger, müssen vernünftig sein, um einen neuen Shutdown zu verhindern.
Was haben Sie aus der Corona-krise und deren Folgen gelernt? Scheidhauer Ich genieße einen Neun-stunden-arbeitstag in meinem Neusser Büro – weniger Zeitdruck. Weniger Termine, weniger Geschäftsreisen und die Welt funktioniert dennoch. Wir sind gut beraten, wenn wir dieser Entschleunigung auch weiterhin Respekt zollen. Außerdem muss die westeuropäische Welt erkennen, dass billig nicht der höchste Wert im Leben ist.
Wie meinen Sie das? Scheidhauer Schutzmasken sind zur Zeit – zum großen Teil sogar zu Recht – so teuer, weil wir sie importieren müssen. Sie werden zu geringen Kosten in China oder Indien
produziert. Jetzt benötigen wir plötzlich große Mengen und die Transportwege sind überlastet oder zu langsam. Das treibt die Preise in die Höhe.
Nennen Sie bitte ein Beispiel. Scheidhauer Ich weiß, dass in China 80 Tonnen Schutzmasken für den deutschsprachigen Raum zum Transport bereit standen – 20 Tonnen für Österreich, 20 Tonnen für die Schweiz, 40 Tonnen für Deutschland. Es hätte 16 Millionen Euro gekostet, diese Menge via Luftfracht nach Europa zu bringen. Dass dann eine 17 Gramm schwere Schutzmarke im Preis explodiert, ist doch nachvollziehbar. Mit dem China-zug wären wir deutlich preiswerter gewesen, aber selbst nur elf Tage Fahrtzeit ist für so ein akutes Projekt zu lang. Wie die Geschichte ausgegangen ist, weiß ich leider nicht.
Machen Sie sich Sorgen um Ihre Transportbranche? Scheidhauer Ehrlich gesagt: Nein. Der globale Speditionsmarkt hat ein Volumen von 150 Milliarden Us-dollar. Davon, und das hat auch mich überrascht, entfällt gut die Hälfte auf die Luftfracht. Allerdings hat die Luftfracht im Vorjahr 4,1 Prozent Marktanteil gegenüber 2018 verloren. An diesem Rückgang haben insbesondere die China-züge nach Europa einen großen Anteil. Da werden Sie verstehen, dass es mich beruhigt, dass die China-züge aus Hefei den Zielort Neuss haben.