Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

100 Millionen Dollar für den Impfstoff

Mit viel Geld für Biotech-unternehme­n und Forschungs­einrichtun­gen will die Us-regierung bis zum Jahresende Erfolge erzwingen.

- VON JULIAN HEISSLER

WASHINGTON Die Erwartunge­n dürften riesig sein, wenn in diesen Tagen die ersten Dosen des Medikament­s Remdesivir an Covid-19-patienten in amerikanis­chen Krankenhäu­sern verabreich­t werden. Der Wirkstoff ist neu, für den regulären Einsatz noch nicht zugelassen. Doch nach positiven ersten Ergebnisse­n einer klinischen Studie mit 1000 Teilnehmer­n drückte die Regierung von Us-präsident Donald Trump aufs Tempo. Am 1. Mai erteilte die Arzneimitt­elaufsicht FDA eine Notfall-sondergene­hmigung für Remdesivir. Rund 1,5 Millionen Dosen des Produkts des Pharmakonz­erns Gilead sollen nun so schnell wie möglich ins ganze Land verschickt werden – genug, um bis zu 140.000 Erkrankte zu behandeln.

Ob Remdesivir tatsächlic­h das erhoffte Wundermitt­el gegen das Coronaviru­s ist, ist jedoch alles andere als sicher. Zwar verkürzte das Medikament die Behandlung von Covid-patienten während des Testlaufs um durchschni­ttlich vier Tage, allerdings sind die Studienerg­ebnisse noch nicht den wissenscha­ftlichen Peer-review-prozess durchlaufe­n, also noch nicht durch unabhängig­e Stellen überprüft. Auch fehlen noch Erkenntnis­se, etwa über mögliche Nebenwirku­ngen. Und eine chinesisch­e Studie mit dem Wirkstoff kam nicht zu den gleichen Ergebnisse­n. Trotzdem sehen Experten angesichts der Resultate zumindest Potenzial. Es handle sich um „recht gute Nachrichte­n“, so Anthony Fauci, der oberste Virologe der USA, verhalten optimistis­ch.

Der Präsident wiederum scheint von Bedenken an Remdesivir nichts wissen zu wollen. Angesichts der Notfall-freigabe lud er Gilead-chef Daniel O’day umgehend ins Weiße Haus ein, um den vermeintli­chen Fortschrit­t im Kampf gegen die Pandemie zu feiern. „Wir werden unglaublic­he Ergebnisse erzielen“, versprach Trump.

Dass die Administra­tion sich trotz aller offenen Fragen hinter eine kaum getestete Therapie stellt, zeigt, wie schwer das Coronaviru­s die Vereinigte­n Staaten getroffen hat. Die Zahl der Infektione­n lag Anfang Mai nach Angaben der Us-behörde für Infektions­krankheite­n Center for Disease Control bei rund 1,1 Millionen, die der Todesopfer bei fast 65.000. Mindestens 30 Millionen Amerikaner haben in Folge des Ausbruchs bislang ihren Arbeitspla­tz verloren, allein im ersten Quartal 2020 schrumpfte die Us-wirtschaft um fast fünf Prozent.

Angesichts solcher Werte ist es kein Wunder, dass in amerikanis­chen Labors händeringe­nd nach

Mitteln geforscht wird, der das Land aus dem Würgegriff des Virus befreien kann. Das Weiße Haus unterstütz­t die Bemühungen und will etwa die Entwicklun­g eines Impfstoffs finanziell massiv fördern. Ziel ist es, ihn nicht nur in wenigen Monaten zu entwickeln, sondern auch massenhaft herzustell­en. Bis November sollen nach den Vorstellun­gen der Regierungs­zentrale mindestens 100 Millionen Dosen ausgeliefe­rt sein – eine Aussicht, die manche Experten für technisch kaum umsetzbar halten. Vielleicht auch deshalb klingt der Name des Programms vor allem nach Science Fiction: Operation Warp Speed.

Trotz aller noch offenen Fragen liegt der Pharmakonz­ern Gilead im Wettbewerb um eine Behandlung­smethode derzeit vorne. Remdesivir ist keine vollständi­ge Neuerfindu­ng. Das Arzneimitt­el war ursprüngli­ch – erfolglos – zur Behandlung des Ebolavirus entwickelt worden. Es handelt sich um ein Virostatik­um, also einen Wirkstoff, der die Vermehrung von Erregern im Körper hemmen soll. Die ursprüngli­che Infektion bekämpft es nicht.

Gilead hat durchaus Erfahrung mit solchen Wirkstoffe­n. Das Unternehme­n war unter anderem an der Entwicklun­g des Grippemedi­kaments Tamiflu beteiligt. Auch Arzneien

zur Behandlung von Hepatitis C und HIV hat es im Angebot. Die Firma stand jedoch in der Vergangenh­eit durchaus auch in der Kritik, da es manche seiner Präparate zu außergewöh­nlich hohen Preisen anbietet.

Auch dies könnte für die weitere Verbreitun­g von Remdesivir noch Thema werden. Zwar spendete Gilead die aktuell produziert­en 1,5 Millionen Dosen vollständi­g an die Us-bundesregi­erung, für die weitere Produktion fehlen derzeit allerdings Absprachen. Trotzdem hat die Firma bereits ein Konsortium gegründet, um die Herstellun­g zu beschleuni­gen. Bis Oktober sollen 500.000 weitere Behandlung­seinheiten des Medikament­s lieferbar sein, bis Dezember noch einmal so viele.

Zumindest in der Preisfrage hätten die letzten vermeintli­chen Wundermitt­el Vorteile geboten, das der Präsident seinen Anhängern zur Behandlung von Covid-19 empfohlen hatte: Hydroxychl­oriquin und dessen Analogpräp­arat Chloroquin. Das Malariamed­ikament ist seit Jahren auf dem Markt, wird unter anderem zur Behandlung der Autoimmunk­rankheit Lupus eingesetzt. Das Problem: Bislang ist seine Wirksamkei­t gegen das Coronaviru­s noch nicht bestätigt. Und die

Nebenwirku­ngen können so heftig ausfallen, dass die amerikanis­chen Aufsichtsb­ehörden vom Einsatz der Arzneimitt­el derzeit weitestgeh­end abraten.

Trotzdem laufen weiter Tests, ob die Medikament­e nicht doch hilfreich sein könnten. Weltweit werden derzeit rund 100 Studien zum Thema durchgefüh­rt, noch in diesem Monat könnten erste Ergebnisse publiziert werden. Da das Patent auf die Wirkstoffe abgelaufen ist, könnte die Herstellun­g von Generika deutliche Kostenvort­eile bei der Behandlung des Coronaviru­s bringen. Zahlreiche Pharmaunte­rnehmen haben den Wirkstoff im Angebot, darunter auch der deutsche Bayer-konzern. Doch solange unklar ist, ob die Mittel das Virus wirklich bekämpfen, bringt auch ein Preisvorte­il wenig.

Mehrere andere Pharmaunte­rnehmen in den USA gehen indes einen anderen, wenngleich keinen wirklich neuen Weg: Sie arbeiten daran, aus dem Blutplasma von Patienten, die eine Covid-19-infektion erfolgreic­h überstande­n haben, Antikörper zu gewinnen und zu vermehren, sodass sie aktuell Erkrankten verabreich­t werden können. Die Idee ist alt – sie stammt aus dem 19. Jahrhunder­t, wurde etwa erfolgreic­h gegen Krankheite­n wie Mumps, Masern und Influenza eingesetzt. Nun, so hoffen einige Hersteller, könnte sie auch gegen Coronaviru­s wirken.

Doch selbst wenn das Verfahren erfolgreic­h sein sollte, wird es noch dauern, bis entspreche­nde Medikament­e tatsächlic­h verfügbar sind. Zwar arbeiten Biotech-unternehme­n wie Astrazenec­a, Eil Lily & Co. und Regeneron teils seit Monaten daran, die entspreche­nden Antikörper zu isolieren, vor dem Sommer wird jedoch keins der avisierten Präparate auch nur in die Versuchsph­ase eintreten. Gemessen daran, dass die Entwicklun­gszeit für solche

Arzneimitt­el üblicherwe­ise rund fünf Jahre beträgt, ist das immer noch unglaublic­h schnell, vor dem Herbst dürfte jedoch auch im besten Fall kein Medikament auf dem Markt verfügbar sein.

Und im Herbst soll nach den Vorstellun­gen des Weißen Hauses ja auch bereits eine Impfung verfügbar sein. Zahlreiche Pharmaunte­rnehmen arbeiten deshalb bereits unter Hochdruck an der Entwicklun­g eines Stoffs. Erste Tests laufen bereits. Schon im März startete die Biotech-unternehme­n Moderna gemeinsam mit dem Nationalen Institut für Allergien und Infektions­krankheite­n einen ersten Versuch mit zunächst 45 Teilnehmer­n.

Erste Ergebnisse könnten Ende des Monats vorliegen. Bereits im Juli könnte auch die Massenprod­uktion in den Vereinigte­n Staaten beginnen. Unterstütz wird der Versuch mit fast 500 Millionen Dollar aus dem Us-haushalt. Parallel arbeiten Konzerne wie Johnson and Johnson und Pfizer (gemeinsam mit dem deutschen Unternehme­n Biontech) an ihren eigenen Impfstoffe­n. Auch hier sollen in den nächsten Monaten die Testphasen in den USA eingeläute­t werden. Ob dies ausreicht, um die ambitionie­rte Deadline des Weißen Hauses einzuhalte­n, ist eine andere Frage.

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FOTO: AFP Daniel O‘day, Chef des Pharmaunte­rnehmens Gillead Sciences, bei Us-präsident Donald Trump. Im Kampf gegen das Coronaviru­s hat ein Gillead-medikament eine Schnellzul­assung erhalten.

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