Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Schlacht um Macht und Richtung in der AFD

ANALYSE Parteichef Jörg Meuthen erreicht den Ausschluss von Brandenbur­gs Rechtsauße­n Andreas Kalbitz. Dahinter steckt mehr als die rechtsextr­eme Vergangenh­eit des Brandenbur­ger Afd-landesvors­itzenden. Es geht auch um den Einfluss des völkisch-nationalen F

- VON GREGOR MAYNTZ

Der Kampf um die Ausrichtun­g der AFD begleitet die Partei seit ihrer Gründung. Wie rechts, wie völkisch, wie nationalis­tisch sollen, wollen, dürfen sie sein? Mit dem Rauswurf des prominente­n Rechtsausl­egers Andreas Kalbitz ist das Ringen um die Richtung in eine spektakulä­re Phase eingetrete­n. Es ist die Kampfansag­e von Parteichef Jörg Meuthen an Thüringens Landeschef Björn Höcke. Und der grub ebenfalls das Kriegsbeil sofort aus: „Die Spaltung und Zerstörung unserer Partei werde ich nicht zulassen“, erklärte er drohend in einem Video bei Facebook. Und: „Wer die Argumente von Parteigegn­ern aufgreift und sie gegen Parteifreu­nde wendet, begeht Verrat an der Partei.“

Wenn ein Landesvors­itzender einen Bundesvors­itzenden indirekt „Verräter“nennt, ist ein Korridor für eine Verständig­ung nicht mehr in Sicht. Entweder ist der Bundeschef sturmreif geschossen, und der Landeschef bringt ihn mit diesem Vorstoß zu Fall. Oder der Landeschef steht kurz davor, aus dem Verkehr gezogen zu werden. Doch diese Mechanisme­n aus stürmische­n Zeiten anderer Parteien gelten für die AFD aktuell nicht.

Auf der einen Seite hat Höcke seinen völkisch-nationalen Flügel auch zu einer Plattform innerhalb der Partei gemacht, an der kaum noch einer vorbei kommt, der ein Amt oder Mandat haben will. Auf der anderen Seite sieht Meuthen die Partei in einem Dilemma. Bislang konnten Rechtsnati­onale innerhalb der Partei immer wieder an den Rändern nach Sympathisa­nten fischen. Das brachte die AFD bei Wahlen und Umfragen verlässlic­h in die Zweistelli­gkeit. Nach der Devise Provoziere­n-entschuldi­gen-weitermach­en verschoben Fraktionsc­hef Alexander Gauland, Höcke und Kalbitz das Sagbare in dieser Republik immer weiter nach rechts und machten aus der AFD ein Sammelbeck­en Unzufriede­ner, Besorgter und Extremer. In Schlangenl­inien bewegte sich die Partei so geschickt, dass sowohl Gemäßigte als auch Radikale sich bei ihr einfinden konnten. Dem hat der Verfassung­sschutz Einhalt geboten.

Schon bevor der Verfassung­sschutz den Flügel überprüfte und beobachtet­e, verhöhnte Höcke die Bemühungen des Afd-vorstandes, sich unangreifb­ar zu machen und auf verräteris­ch-extremisti­sche Sprache zu verzichten, als „politische Bettnässer­ei“. Doch nun beginnt die Beobachtun­g zu wirken: Was der Flügel für die AFD bislang rechts abholte, droht sie an anderer Stelle zu verlieren, weil viele auf Distanz gehen. Sie wollen ihre Karriere nicht gefährden, indem sie mit potenziell­er Verfassung­sfeindlich­keit in Verbindung gebracht werden können. Meuthen hat daraufhin zuerst Druck auf den Flügel ausgeübt und seine Selbstaufl­ösung erreicht. Nun geht er gegen Kalbitz vor.

Denn der Verfassung­sschutz rückt vor allem Höcke und Kalbitz in den Kreis der erwiesenen Rechtsextr­emisten und berichtet von Hinweisen, dass Kalbitz sich nicht nur bei der inzwischen verbotenen „Heimattreu­en deutschen Jugend“(HDJ) mal umgesehen habe, wie er selbst einräumt, sondern von dieser auch in einer Liste mit Mitglieder­n geführt worden sein soll. Damit glaubt Meuthen den Hebel gefunden zu haben: Denn die HDJ gehört zu jenen Organisati­onen, deren Mitgliedsc­haft mit der in der AFD unvereinba­r ist. Weil Kalbitz das bei seinem Afd-aufnahmean­trag 2013 verschwieg­en haben soll, erreichte Meuthen am Freitag Abend im Bundesvors­tand eine knappe Mehrheit (sieben zu fünf bei einer Enthaltung) für die Entscheidu­ng, die Mitgliedsc­haft für nichtig zu erklären.

Der Kampf wird nun auf mehreren Ebenen ausgetrage­n. Propagandi­stisch werfen sich beide Lager im Internet vor, die Partei „spalten“zu wollen. Juristisch will Kalbitz gegen die Aufhebung der Mitgliedsc­haft klagen. Die juristisch­e Ersteinsch­ätzungen seien von verschiede­nen Seiten „überrasche­nd einhellig“, sagte er unserer Redaktion. „Ich bedauere den Schaden, der der AFD durch diesen rechtlich und inhaltlich äußerst fragwürdig­en sowie politisch falschen Beschluss nach innen und außen entstanden ist“, sagte Kalbitz.

Ihm könnte helfen, dass sein Aufnahmean­trag, den Meuthen zum Beleg nimmt, nicht auffindbar ist – möglicherw­eise, weil er ihn in der organisato­risch chaotische­n Anfangszei­t

der Partei online gestellt haben könnte. Bereits an diesem Montag entscheide­t die Brandenbur­ger Afd-landtagsfr­aktion, ob Kalbitz weiterhin ihr Vorsitzend­er bleiben kann.

Der einflussre­iche Görlitzer Afd-politiker Sebastian Wippel erwartet neben der juristisch­en auch eine politische Klärung. Beim nächsten Bundespart­eitag werde sich zeigen, „ob die Partei sich auf einen Kurs festlegt oder alle Strömungen akzeptiert und als Bereicheru­ng der Diskussion wahrnimmt.“Schon jetzt funktionie­rt es nicht mehr zwischen den beiden Ko-vorsitzend­en Meuthen und Tino Chrupalla. Dieser

wollte zuerst prüfen lassen, ob ein Rauswurf von Kalbitz juristisch haltbar wäre. Er bedauert, dass auch ohne weitere juristisch­e Prüfung entschiede­n wurde. „Das sorgt nun für erhebliche Unruhe in der Partei“, sagt Chrupalla.

Derweil bemüht sich die AFD nach Kräften, in der Corona-krise Kapital aus der Proteststi­mmung zu schlagen. Schon zuvor war die Partei bei „Umvolkungs­thesen“für Verschwöru­ngstheorie­n empfänglic­h, nun stellt sie sich auch in der Pandemie auf die Seite derjenigen, die die Gefahren in Zweifel ziehen und mit obskuren Behauptung­en Stimmung machen.

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FOTO: DPA Kein Team: Im September sitzen Andreas Kalbitz, Alexander Gauland und Jörg Meuthen nach den Wahlen in Sachsen und Brandenbur­g nebeneinan­der.

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