Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Krise nicht gegen Klimaschutz ausspielen“
Die Chefin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft warnt vor einer Verschiebung der Energiewende wegen der Corona-pandemie. Und sie fordert Entschädigungen für Kohlekraftwerks-betreiber.
Die Energiewende ist ins Stocken geraten. Ist das eine Folge der Corona-krise oder wer trägt daran Schuld? ANDREAE Sicher leidet die Energiewende auch krisenbedingt an Verzögerungen. Doch ins Stocken geraten ist der Ausbau der erneuerbaren Energien schon lange vor Ausbruch der Corona-krise. Die Bundesregierung sollte der Energiewende jetzt dringend neuen Schwung geben. Das würde in der Corona-krise auch konjunkturstützend wirken: Während in anderen Branchen Investitionen zurückgestutzt werden, will unsere Branche auch jetzt investieren.
Welche Probleme sehen Sie? ANDREAE Oft fehlen Projekte wegen mangelnder Planungskapazitäten in den Kommunen, oder es fehlen Genehmigungen. Damit in die Photovoltaik investiert wird, muss endlich der Solar-förderdeckel fallen, und es dürfen keine pauschalen Abstandsregelungen bei Windanlagen an Land eingeführt werden. Außerdem hinkt der Netzausbau stark hinterher.
Bundeswirtschaftsminister Altmaier kann in die zuständigen Länder aber nicht einfach hineinregieren. Wird er nicht zu Unrecht verantwortlich gemacht, wenn etwas nicht funktioniert? ANDREAE Natürlich ist es nicht allein der Bundeswirtschaftsminister, und gerade beim Netzausbau hat er sich stark engagiert. Aber: Beim Netzausbau muss es noch viel schneller gehen. Hier müssen Bund und Länder Hand in Hand für mehr Tempo sorgen. Ein gutes Zusammenspiel zwischen Bund und Ländern kann dem dringend nötigen Netzausbau, dem Ausbau der Erneuerbaren, aber auch der Initiative zu einer Wasserstoffstrategie den nötigen Schub geben.
Was genau erwarten Sie von Altmaier beim Kohleausstieg? ANDREAE Die Unternehmen brauchen einen klaren Fahrplan, damit klar ist,wann und zu welchen Bedingungen sie in welche Kraftwerke investieren können, um Kohlekraftwerke zu ersetzen. Wenn sie Kohlekraftwerke stilllegen, brauchen sie Entschädigungszahlungen, und zwar nicht nur bei Braun-, sondern auch bei Steinkohle. Nicht für ein goldenes Ende, sondern für
Investitionen, um auch zukünftig unsere Versorgung mit Strom und Fernwärme zu sichern.
Bis 2030 will die Bundesregierung 65 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien erreichen. Schaffen wir das überhaupt noch? ANDREAE Das können wir noch schaffen, wenn die Investitionsbremsen rasch beseitigt werden. Der Solardeckel muss nun wie längst verabredet schnell ersatzlos wegfallen. Möglicherweise erreichen wir schon im Sommer die maximale Fördersumme für Betreiber von Solaranlagen. Das bedeutet, dass derzeit nicht weiter in den Ausbau von kleineren Solarparks und Pv-dachanlagen investiert wird. Dazu kommt die offene Frage, in welcher Entfernung künftig neue Windräder zu Wohnhäusern stehen dürfen, das verhindert den weiteren Zubau. Auch das Klimaziel von 2020, die Co2-emissionen um 40 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 zu reduzieren, kann erreicht werden.
Aber doch nur wegen der Coronakrise! Ohne sie wären wir in diesem Jahr weit von den 40 Prozent entfernt. ANDREAE Die Energiebranche selbst hat das 40-Prozent-ziel schon Anfang des Jahres erreicht und sogar übererfüllt. Wir können also liefern und die Ziele erreichen, aber eben nur dann, wenn die Rahmenbedingungen, die die Politik setzt, künftig stimmen. Ein schnellerer Netzausbau etwa ist dafür zwingend erforderlich, ebenso wie mehr Speicherkapazitäten
oder die Umstellung von Kohle- auf Gaskraftwerke. Wir brauchen dringend einen neuen großen Schub für die Energiewende und neue Technologien.
Befürchten Sie, dass diese Impulse wegen der Corona-krise ausbleiben? Es rufen ja jetzt alle nach staatlicher Hilfe, da bleibt am Ende für die Energiewende vielleicht nicht genügend übrig. ANDREAE Wichtig ist, dass die bevorstehenden Konjunkturprogramme nicht nur der Wirtschaft auf die Beine helfen sollen. Sie müssen zugleich den Weg in eine nachhaltige, klimafreundliche Wirtschaft unterstützen. Zum Beispiel könnten Kaufanreize im Automobilbereich die nachhaltige Mobilität voranbringen. Die Energiewirtschaft hat zuletzt fast 16 Milliarden Euro investiert – mit Ausnahme der Automobilwirtschaft investiert keine andere Industriebranche mehr als wir. Die Investitionsintensität ist in unserer Branche mehr als achtmal höher als im Durchschnitt der deutschen Industrie. Das zeigt, welche enorme Wichtigkeit auch bei der Krisenbewältigung den Energie-investitionen zukommen wird.
Es gibt auch Forderungen, die Einführung des Co2-preises wegen der Krise zu verschieben. Welche Folgen hätte das? ANDREAE Ich warne davor. Wir dürfen Krisenbewältigung und Klimaschutz nicht gegeneinander ausspielen. Der Co2-ausstoß im Verkehr und in Gebäuden ist zu hoch. Alte Ölkessel zum Beispiel müssen raus aus den Heizungskellern, damit wir hier deutlich mehr Treibhausgas einsparen. Auf der anderen Seite müssen Bürger und Unternehmen aber auch entlastet werden durch einen geringeren Strompreis. Deshalb sollen die Einnahmen aus dem Co2preis in die Senkung der Eeg-umlage fließen. Diese Ökostrom-umlage sollte mit Haushaltsmitteln noch deutlicher als bisher geplant verringert werden. Darüber hinaus muss aber auch die Stromsteuer gesenkt werden. Zudem sollen die Ausnahmen bei der Eeg-umlage für stromintensive Unternehmen nicht mehr vom Stromverbraucher, sondern aus dem Bundeshaushalt finanziert werden.
Ist die Energiebranche auch selbst betroffen? ANDREAE Wir spüren die Krise zwar nicht so stark wie viele andere, etwa der Einzelhandel oder die Gastronomie. Dennoch: Der Stromverbrauch ist in dieser Krise bereits um rund neun Prozent geringer als im vergleichbaren Zeitraum der letzten drei Jahre. Und Stadtwerke stehen zusätzlich vor großen Einnahmeausfällen im Bereich des Nahverkehrs, da die Fahrgastzahlen drastisch gesunken sind. Diese Faktoren können zu dauerhaften Umsatzverlusten in den Unternehmen führen.
Sie waren Vize-chefin der Grünen-fraktion im Bundestag und führen jetzt die Geschäfte beim mächtigen Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft. Ist der BDEW jetzt grün geworden? ANDREAE Der Verband ist schon lange vor mir in Richtung erneuerbare Energien und Energiewende marschiert.