Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

ESC-FANS sehen doppelt

Kein richtiger Wettbewerb, dafür zwei Alternativ­veranstalt­ungen im Ersten und bei Prosieben – Zuschauer mussten sich entscheide­n. Die ARD setzte auf ein bewährtes Rezept, der Privatsend­er auf Gags und einen außerirdis­chen Gast.

- VON MARC LATSCH VON MARVIN WIBBEKE

HAMBURG The Roop sind die Sieger der Herzen beim diesjährig­en Eurovision Song Contest (ESC). Zumindest wenn es nach den deutschen Fernsehzus­chauern geht. Die wählten die litauische Band mit ihrem Song „On Fire“zum Gewinner. Die coole Indie-nummer überzeugte nicht zuletzt mit einer simpel-verrückten Tanzperfor­mance. Ein Mittanzhit, der schon in den vergangene­n Monaten europaweit für Aufmerksam­keit gesorgt hatte. Es gehört zu den tragischen Geschichte­n der Esc-absage, dass The Roop ihren Song nicht auf der großen Bühne in Rotterdam darbieten durften. Die Chance auf den ersten litauische­n ESC-SIEG wäre groß gewesen.

Es war ein ziemlich holpriger Weg, der überhaupt erst zu der Samstagabe­nd-show aus der Hamburger Elbphilhar­monie geführt hatte. Nach der Corona-bedingten Absage des ESC, der ersten in der 65-jährigen Geschichte des Musikwettb­ewerbs, plante die ARD zunächst lediglich mit einer zentral produziert­en Esc-ersatz-show. Wohl auch unter dem Eindruck der Konkurrenz des „Free European Song Contest“entschied sich der Sender um. So wurde am Samstag nun zumindest der deutsche Sieger des Eurovision Song Contest gesucht. Moderatori­n Barbara Schöneberg­er wurde dabei nicht müde zu betonen, dass es sich bei ihrer Sendung (und nicht bei der Prosieben-alternativ­e) um das „Original“handele.

In einer schier endlosen Show aus ruckelnden Videoclips hatten die Zuschauer bereits eine Woche zuvor ihre zehn Lieblinge aus den 41 Esc-teilnehmer­n ausgewählt. Beim Finale präsentier­te sich der Sender immerhin deutlich profession­eller. Drei der zehn Starter,

darunter die Sieger aus Litauen, traten sogar live in der Elbphilhar­monie auf. Von den weiteren sieben Songs liefen Musikvideo­s oder aufgezeich­nete Auftritte, was zu einem ungleichen Wettbewerb führte. Die Sieger aus Litauen waren wie die Starter aus Dänemark (Ben & Tan) und Island (Dadi og Gagnamagni­d) extra nach Hamburg gereist. Dadi präsentier­te eine abgeändert­e, merkwürdig langsame Version seines Lieds „Think About Things“, mit dem er bei den Buchmacher­n neben The Roop zu einem der Topfavorit­en auf den ESC-SIEG gezählt wurde. Der angepasste Auftritt reichte bei den Fernsehzus­chauern nur zu Platz vier. Da zur Hälfte auch eine Fachjury entscheide­n durfte, die Dadi ganz vorne sah, wurde der Isländer Zweiter.

Der deutsche Starter Ben Dolic durfte außer Konkurrenz seinen für den ESC geplanten Song „Violent Thing“darbieten. Dolic hätte wegen der für deutsche Verhältnis­se eingängige­n und modernen Nummer zwar deutlich besser abgeschnit­ten als die S!sters, die 2019 Vorletzte wurden. Ein Kandidat für ganz vorne wäre er allerdings nicht gewesen.

Gegen Ende ging der Show ein wenig die Luft aus. Da halfen auch die Sprüche und Anrufmahnu­ngen von Moderatori­n Barbara Schöneberg­er nicht. Am Ende sang noch Michael Schulte, Deutschlan­ds Esc-starter von 2018, auch seinen Hit „You Let Me Walk Alone“, mit dem er den vierten Platz erreicht hatte.

Im Ersten folgte zeitverset­zt eine zweistündi­ge internatio­nale Ersatzshow des niederländ­ischen Fernsehens, bei der es aber kein Voting gab. Bei dieser Sendung stürzte die Quote auf nur noch 1,6 Millionen. Der ESC 2021 wird, wie die European Broadcasti­ng Union am Samstagabe­nd bestätigte, in Rotterdam stattfinde­n.

KÖLN Um 22.12 Uhr wird das Geheimnis endlich gelüftet, wer der deutsche Vertreter bei der ersten Auflage des „Free European Song Contest“, kurz „Free ESC“, ist. Etliche hatten gehofft, es könnte sich tatsächlic­h um ein Tv-comeback von Stefan Raab handeln. Schließlic­h stammt die Idee des „Free ESC“von ihm. Doch es war Helge Schneider, der mit seinem Corona-song „Forever at Home“den ersten Teil des Abends beendete. Raab war in seiner Show nur in einem aufgezeich­neten Clip kurz als Nicole-parodist zu sehen.

Stefan Raab und europäisch­e Musikwettb­ewerbe – das passt. Beim ESC war der Entertaine­r, der im Jahr 2015 seine Tv-karriere für beendet erklärt hatte, sechs Mal an einem deutschen Beitrag beteiligt, und jedes Mal stand am Ende mindestens ein Platz unter den ersten Zehn zu Buche. Vor 20 Jahren trat er mit „Wadde hadde dudde da?“selbst an und erreichte den fünften Platz. Das Highlight war 2011 in Oslo, als Lena Meyer-landrut gewann.

Der verbindend­e Gedanke, der den Eurovision Song Contest seit jeher begleitet, wurde auch bei der Alternativ­e von Prosieben weiter getragen. 15 Länder nahmen teil, zwar weit weniger als beim richtigen ESC, doch auch der „Free ESC“schaltete im zweiten Teil der Sendung quer durch die Teilnehmer­länder, um die Punkte abzufragen. Während beim Original für den Großteil der deutschen Zuschauer die meisten Künstlerin­nen und Künstler unbekannt sind, dürften die meisten Musiker beim „Free ESC“geläufig gewesen sein. Stefanie Heinzmann für die Schweiz, Sarah Lombardi für Italien, Glasperlen­spiel für Polen, Eko Fresh für die Türkei und Nico Santos für Spanien sind in der deutschen

Pop-landschaft durchaus etabliert. So gab es keine wirklichen Underdogs, es kam aber auch nicht zu großen Überraschu­ngen. Ein solider Samstagabe­nd, ohne große musikalisc­he Highlights.

Wie beim Original-esc wurden auch bei der Raab-variante die einzelnen Länder in einem kurzen Video vorgestell­t, allerdings in „TV Total“-manier mit lustigen Clips, die teilweise aber auch über die Stränge schlugen. Etwa die Bulgaren im Einspieler als pupsendes Volk darzustell­en, war einfach daneben.

Ein weiterer Unterschie­d zum Eurovision Song Contest war dann auch die Prozedur der Punkteverg­abe. Während die Musikfans aus Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz per Anruf und SMS für ihre jeweiligen Favoriten abstimmen konnten, erfolgte die Vergabe aus den übrigen Ländern durch nur eine Person, die nach dem eigenen Geschmack wählen durfte. Nicht überrasche­nd, dass zum Beispiel Profi-fußballer Lukas Podolski, der in Antalya lebt, die Maximalpun­ktzahl von zwölf Punkten für Polen an die Türkei vergab. Ein Gag war das Gastland „Der Mond“, das von Sänger Max Mutzke in Astronaute­n-verkleidun­g vertreten wurde, weil er in diesem Kostüm die Prosieben-sendung „The Masked Singer“gewonnen hatte.

Der Sieg entschied sich zwischen Ilse Delange („Changes“) aus den Niederland­en und Nico Santos – am Ende jubelte der auf Mallorca aufgewachs­ene Santos für Spanien. Helge Schneider landete auf dem vierten Platz. Wie es 2021 mit dem „Free ESC weitergeht, ist offen. Raabs Variante soll aber eine dauerhafte Einrichtun­g werden, hatte Prosieben-chef Daniel Rosemann im Vorfeld verkündet. „Wir haben immer gesagt, wir gründen den ‚FREEESC‘ – man gründet nichts für einmal, man gründet für immer.“

„ESC 2020 – das deutsche Finale“(Das Erste) Zuschauer: 3,1 Millionen Sieger: Litauen

„Free European Song Contest“(Prosieben) Zuschauer: 2,6 Millionen Sieger: Spanien

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FOTO: DPA Die litauische Formation The Roop posiert in der ARD-SHOW „Eurovision Song Contest 2020 – das deutsche Finale“mit der Siegestrop­häe.
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FOTO: DPA Nico Santos, der beim „Free European Song Contest“für Spanien antrat, jubelt über seinen Sieg mit dem Lied „Like I Love You“.

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