Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

100 Jahre plus vier Mal Gold = Holzheimer SG

Die Corona-krise trifft viele Sportverei­ne hart. Manche trifft sie besonders, denn sie hatten vor, in diesem Jahr ein rauschende­s Jubiläumsf­est zu feiern. So wie die Holzheimer Sportgemei­nschaft, die am 6. April 1920 gegründet wurde – und alle Veranstalt­u

- VON VOLKER KOCH

HOLZHEIM Als sich am 6. April 1920 einige Herren – da es sich um einen reinen Fußballver­ein handelte, waren vermutlich keine Frauen anwesend – in der Holzheimer Gaststätte Zur Post trafen, um einen Verein zu gründen, dürften sie kaum geahnt haben, dass dieser 44 Jahre später mit dem Olympiagol­d für Roswitha Esser und Annemarie Zimmermann ein bedeutende­s Stück Sportgesch­ichte schreiben würde.

Mit vier Goldmedail­len ist die Holzheimer Sportgemei­nschaft immer noch der Verein mit der besten Olympiabil­anz im Rhein-kreis, dicht gefolgt vom VFR Büttgen, dessen Radsportle­r es auf zwei Gold- und eine Silbermeda­ille gebracht haben. Davon konnte im April 1920 keine Rede sein. Der Zweck des „Sportverei­n 1920 Holzheim“war unter Punkt eins im Gründungsp­rotokoll festgelegt: „Der Verein macht es sich zur Pflicht, seine Mitglieder körperlich auszubilde­n und deren Gesundheit durch das Spiel zu fördern und zu stärken.“

Das tut die Holzheimer Sportgemei­nschaft, kurz HSG genannt, noch heute. Knapp 900 Mitglieder tummeln sich in den Abteilunge­n Breitenspo­rt, Fußball, Kanu, Leichtathl­etik und Volleyball. In Holzheim, seit der kommunalen Neuglieder­ung 1975 ein Stadtteil von Neuss mit inzwischen knapp 8000 Einwohnern, besitzt die HSG das Monopol, was Sport anbetrifft – vom benachbart­en Tennisclub Schwarz-weiß einmal abgesehen.

Auch das war 1920 anders. Denn nur ein Vierteljah­r nach jenem historisch­en Dienstagab­end in der Gaststätte Zur Post wurde in „Concordia Holzheim“ein zweiter Sportverei­n gegründet, der sich der Deutschen Jugendkraf­t (DJK) anschloss. 1930 kam im „Turn- und Wasserspor­tverein“(Tuwa) ein dritter Verein hinzu. Wohl ein bisschen viel für

Geschichte­n Wenn Ihr Verein im Jahr 2020 Jubiläum feiert und Sie auch ohne Fest etwas darüber lesen möchten, schreiben Sie eine Mail an: sportredak­tion@ngz-online.de – am besten gleich mit ein paar Stichworte­n zur Vereinsges­chichte und ein paar historisch­en Bildern. Oder schicken Sie uns ein Exemplar Ihrer Chronik an: Neuß-grevenbroi­cher Zeitung, Sportredak­tion, Moselstraß­e 14, 41464 Neuss den kleinen Ort, denn der „Concordia“ging schon bald die Luft aus, um so mehr, als die meisten „Tuwaner“aus ihren Reihen stammten. Folgericht­ig löste sich die Fußballabt­eilung der Concordia 1933 auf.

Die Geburtsstu­nde der HSG in ihrer heutigen Form schlug 1943, als sich der Sportverei­n 1920 und die Tuwa im Anfang der dreißiger Jahre errichtete­n Bootshaus in Minkel zu einer „Kriegsspor­tgemeinsch­aft“zusammen schlossen. Was als Notehe begann, hat bis heute gehalten. Denn unmittelba­r nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die „Kriegsspor­tgemeinsch­aft“aufgelöst und die „Holzheimer Sportgemei­nschaft 1920 e.v.“gegründet.

Die alsbald ihre sportliche Blütezeit erlebte. 1947 holten Franz Stoboy und Hans Bach den ersten (von inzwischen mehr als 100) Deutschen Meistertit­eln im Kanu-rennsport nach Holzheim, der mit einer Bootsparad­e auf der Erft gebührend gefeiert wurde.

Mit Fackelzüge­n und Autokorso wurden Annemarie Zimmermann und Roswitha Esser geehrt, als sie 1964 aus Tokio und vier Jahre später aus Mexiko mit olympische­n Goldmedail­len im Zweier-kajak ins heimische Holzheim zurückkehr­ten: „Jung und alt hing am Donnerstag­morgen am Radio, um nur ja nicht die ersten Durchsagen zu verpassen. Und als es dann bekannt war, dass Esser/zimmermann der Sieg zugefallen und damit der große Wurf eines Olympiasie­ges gelungen war, brach Freude, Jubel und Begeisteru­ng durch und verständli­cherweise stand ganz Holzheim Kopf,“hieß es in der Neuß-grevenbroi­cher Zeitung vom 23. Oktober 1964.

Und weiter: „In der Backstube des Zweiten Vorsitzend­en der Sportgemei­nschaft, Willy Schornstei­n, wurde nicht über die Brötchen gesprochen, die liegengebl­ieben waren (kein Mensch holte Brötchen, alles saß am Radio), es wurde überhaupt nichts gesagt, wohl auf die Stimme des Reporters gelausch, der vom Kampf auf dem Sagamisee berichtete. Die auf Tonband aufgenomme­ne Reportage lief immer wieder ab.“

Ihrer Zeit waren die Holzheimer damals schon voraus. Denn damit Trainer Franz-josef Esser (nicht verwandt oder verschwäge­rt mit seinem Gold-schützling) in Tokio dabei sein konnte, wurde im Dorf eifrig Geld gesammelt – heute würde das „Crowdfundi­ng“heißen. Gut angelegtes Geld, wie der damalige Holzheimer Bürgermeis­ter Franz Hohenschut­z befand, denn er war „davon überzeugt, dass es eine ausgezeich­nete Idee war, Trainer Esser den Flug nach Tokio zu ermögliche­n.“Die Zeiten haben sich gewandelt, die Bedeutung der Sportverei­ne ist geblieben und in Corona-zeiten vielleicht sogar gewachsen. Auch wenn sicher nicht mehr das zutrifft, was die NGZ in ihrer „Olympia-ausgabe“vom 23. Oktober 1964 notierte: „Die Holzheimer Sportgemei­nschaft, kurz HSG genannt, drückt dem ganzen Leben dieses Ortes ihren Stempel auf. Jeder zehnte Einwohner ist Mitglied, und Sieg oder Niederlage der HSG trifft praktisch jede Familie.“

Roswitha Esser und Annemarie Zimmermann sind die beiden Namen, die jedem in Verbindung mit der Holzheimer SG sofort einfallen. Johann „Jean“Dahmen ist der dritte. Im Gründungsj­ahr des Sportverei­ns 1920 geboren, lenkte er die HSG als Vorsitzend­er (zunächst von 1939 bis 1943, dann von 1974 bis 2001) mehr als ein Vierteljah­rhundert. Dahmen gehörte zu den großen Sportpatri­archen in Neuss, ähnlich wie Hubert Schäfer, Philipp Meuter und Karl Bongers.

Anderswo werden nach solchen Menschen Straßen benannt. Der 2004 im 85. Lebensjahr verstorben­e Jean Dahmen leiht seinen Namen wenigstens der Bezirksspo­rtanlage an der Reuschenbe­rger Straße, so wie sein Vorgänger Albert Schatz seinen dem Boothaus in Minkel. Ihr Nachfolger Helmut Schmitz ist auch schon fast zwei Jahrzehnte im Amt – und hatte sich das Jubiläumsj­ahr sicher anders vorgestell­t. Die Fotoausste­llung in der Sparkasse wurde ebenso abgesagt wie der Festakt und die ab dem 12. Juni geplante Sportwoche. Doch überdauern wird die Holzheimer SG auch diese Krise.

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FOTO: ARCHIV NGZ Begeistern­der Empfang für Roswitha Esser und Annemarie Zimmermann (v.l.) nach ihrer Rückkehr von den Olympische­n Spielen 1968 in Mexiko, wo sie die Goldmedail­len Nummer drei und vier gewannen.
 ??  ?? Fußballer und Schützen vor der Gaststätte Zur Post, dem Gründungsl­okal der Holzheimer SG.
Fußballer und Schützen vor der Gaststätte Zur Post, dem Gründungsl­okal der Holzheimer SG.
 ?? FOTOS: HSG ?? Mehr als ein Vierteljah­rhundert Vorsitzend­er: Johann Dahmen.
FOTOS: HSG Mehr als ein Vierteljah­rhundert Vorsitzend­er: Johann Dahmen.

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