Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Unges Pengste fiel aus, wenn die Not groß war
Der Bundesgeschäftsführer des Bundes der Historischen Deutschen Schützenbrüderschaften blickt auf die Geschichte des Korschenbroicher Fests. Und den Umgang mit Kriegen und Hungersnöten. Ein Gastbeitrag.
KORSCHENBROICH Nach 71 Jahren endet 2020 zwar die wahrscheinlich längste Phase, in der Unges Pengste ohne Unterbrechung stattfinden konnte. Es ist jedoch bei weitem nicht das erste Mal, dass das Fest in seiner rund 500-jährigen Geschichte entfallen muss. Eine Reise durch die Historie des Korschenbroicher Schützen- und Heimatfestes.
Die St.-sebastianus-bruderschaft, förmlich 1504 gegründet, entstand vermutlich bereits 30 Jahre zuvor während der Neusser Belagerung durch Herzog Karl des Kühnen von Burgund. Zur Abwehr von Plünderungen wurden Wachposten an den Zugängen zur Millendonk eingerichtet. Schützenbrüder übernahmen wohl diese Dienste.
Von den Kriegshandlungen im Dreißigjährigen Krieg blieb die Region lange Zeit verschont. Erst 1636 gab es erste Einquartierungen in Korschenbroich. Die Korschenbroicher Sebastianer scheinen in den Kriegswirren so sehr gelitten zu haben, dass der damalige Landesherr Herzog Philipp von Croy die Bruderschaft wieder neu aufrichten musste. Er gab der Bruderschaft 1644 eine neue Ordnung, wurde ihr erster König und stiftete den heute noch am Königssilber befindlichen silbernen Königsvogel. Es gibt leider keine Überlieferungen wie sich die kriegerischen Auseinandersetzungen im 17. und frühen 18. Jahrhundert auf Unges Pengste auswirkten. Es ist jedoch davon auszugehen, dass in Zeiten höchster Not weder Vogelschuss noch Pfingstprozession stattfinden konnten.
Anders ist die Quellenlage beim
Siebenjährigen Krieg von 1756 bis 1763. Im Kassenbuch der Sebastianus-bruderschaft ist notiert: „Ao 1757 ist wegen des großen Kriegs und anderen gefahrlichen umbstanden halben kein Vogel geschoßen worden.“Trotz der Niederlage in der Schlacht von Hückesmay 1758 blieben die Franzosen in der Region präsent. 1759 schoss der französische Kriegskommissar Maria Franziskus de Durville den Vogel der Korschenbroicher Sebastianus-bruderschaft ab. Er stiftete erst 1761 die übliche Silberplatte, die – vom Neusser Silberschmied Henricus Tonnet gefertigt – als eines der schönsten Beispiele rheinischen Schützensilbers gilt und sich immer noch im Besitz der Bruderschaft befindet.
Wegen einer Hungersnot wurde auch in den Jahren 1770 bis 1774 kein Vogel schossen. 1775 wurde dies vom Landesherrn Graf von Ostein zwar wieder gestattet, ausschweifende Feierlichkeiten aber untersagt. Der Landesherr, der selbst 1764 während seiner Hochzeitsreise Schützenkönig der Sebastianus-bruderschaft in Korschenbroich war, wollte offensichtlich die rheinische Feierfreude nach den Hungerjahren bremsen. Auch 1816 und 1817 verhinderte eine Hungersnot Unges Pengste. Der Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora im April 1815 führte zu weltweiten Missernten. Zwischen 1795 und 1800 waren es wiederum kriegerische Zustände durch die Besetzung der Rheinlande durch die französischen Revolutionsarmee sowie 1859 der drohende Krieg zwischen Österreich und Frankreich, die ein Schützenfest unmöglich machten.
Ein schwerer Einschnitt war der Beginn des Ersten Weltkriegs 1914. Mit ihm endeten alle öffentlichen Aktivitäten der Bruderschaften. Die Sebastianus-bruderschaft schrieb alle ihre „zur Fahne eingezogenen“Mitglieder zur Kriegsversicherung der Landesbank ein. Am Ende waren es 62. Zudem zeichnete die Bruderschaft Kriegsanleihen des Reiches für insgesamt 2100 Reichsmark. Aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Krise nach dem Ende des Krieges wurde Unges Pengste erst 1920 wieder gefeiert, stark beschränkt durch die belgische Besatzungsmacht. Sogar von Warnschüssen belgischer Wachsoldaten wird berichtet, als die Junggesellen 1921 ihren König Pfingstmontag in Pesch abholen wollten.
1923 machte die herrschende Hyperinflation Vogelschuss und Feierlichkeiten zu Pfingsten unmöglich. Erst nach Abzug der Belgier am 31. Januar 1926 konnte Unges Pengste wieder in altem Glanz gefeiert werden. Wurden über die Jahrhunderte zu Pfingsten die Festbälle in den einzelnen Honschaften veranstaltet, feierten 1928 beide Bruderschaften erstmals gemeinsam in einem großen Festzelt. Bis 1931 die weltweite Bankenkrise für den nächsten Ausfall sorgte.
Nachdem 1933 die Nationalsozialisten mit Adolf Hitler die Macht übernommen hatten, drängten diese das kirchliche Leben auch im Schützenwesen zurück. Ab 1937 organisierte ein weltlicher Bürgerschützenverein das Schützenfest in Korschenbroich. Die Junggesellen lösten sich auf und die St. Sebastianus-bruderschaft bestand als rein katholische Bruderschaft weiter. Beim letzten Schützenfest 1939 fand die Parade auf der oberen Hindenburgstraße statt und nicht mehr direkt an der Kirche. Das Schützenfest zu Pfingsten wurde somit von den Nationalsozialisten auch geographisch von der Kirche gelöst. Mit Kriegsbeginn 1939 endeten alle Schützenaktivitäten für viele Jahre.
1948 richteten sich beide Schützenbruderschaften wieder auf, erhielten allerdings erst 1949 von der englischen Besatzungsbehörde die Genehmigung für Unges Pengste. Das Fest wurde in einem Ort gefeiert, der im Krieg schwer beschädigt wurde. Seit 1949 fand Unges Pengste in ununterbrochener Reihenfolge statt. Bis zu diesem denkwürdigen Jahr 2020.
Kriege, Missernten, Seuchen, Unruhen und Wirtschaftskrisen, teilweise weit entfernt von Korschenbroich, führten über Jahrhunderte hinweg dazu, dass Unges Pengste nicht stattfinden konnte. Wer hätte gedacht, dass Unges Pengste im 21. Jahrhundert wegen einer Seuche ausfallen würde?