Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Ein Virus, das zunehmend Spannung auslöst
In Stuttgart und Dortmund demonstrieren Gegner der Corona-maßnahmen, während die Wirtschaft den zweiten Lockdown fürchtet.
BERLIN Die Gegner der Corona-schutzmaßnahmen haben seit diesem Wochenende einen prominenten Mitstreiter: Thomas Berthold, Fußball-weltmeister von 1990, trat am Samstag in Stuttgart als Redner vor einigen Hundert Demonstranten auf und erklärte, sein Vertrauen in die politische Führung sei bei „unter Null“angekommen. Die staatlichen Corona-regeln seien „völlig überzogen“. Er werde auch am 29. August bei einer weiteren Demonstration in Berlin dabei sein, sagte der 55-Jährige. Wie in Stuttgart gingen auch in Dortmund am Sonntagnachmittag wieder viele Menschen auf die Straße, um den Stopp der Kontaktbeschränkungen und der Maskenpflicht zu fordern.
Während die Demonstrationen auch durch Prominente wie Berthold Aufmerksamkeit gewinnen, wächst bei Politikern und Wirtschaftsvertretern die Sorge vor einem zweiten bundesweiten Lockdown mit Geschäfts- und Restaurantschließungen. Die Zahl der Corona-neuinfektionen war in der vergangenen Woche wieder auf über 1000 pro Tag gestiegen, ein Wert, der zuletzt im März vor dem ersten Lockdown erreicht worden war. Am Sonntag meldete das Robert-koch-institut mit 555 Neuansteckungen zwar deutlich weniger, doch sei der Rückgang an Sonntagen üblich und nicht aussagekräftig.
„Wir müssen einen zweiten Lockdown mit aller Macht verhindern“, sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Der Anstieg der Neuinfektionen sei alarmierend. „Einen zweiten Lockdown darf es nicht geben – und muss es auch nicht“, sagte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer der „Bild am Sonntag“. „Wir haben gelernt, dass bei größeren Infektionsherden nicht alles stillgelegt werden muss.“Es reichten regional begrenzte Maßnahmen. „Das beeinträchtigt die Wirtschaft insgesamt nicht so stark, setzt aber verantwortungsvolle Bürger voraus, die nicht demonstrativ ohne
Abstand und Mundschutz die Ansteckung in großen Menschenmengen riskieren“, sagte Kramer.
Diese Verantwortungsbereitschaft ist bei den Demonstranten jedoch nicht vorhanden. In einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa gaben zwar 91 Prozent der Befragten an, kein Verständnis für die Proteste zu haben. Doch gerade in Ballungsräumen wie Berlin und in den Urlaubshochburgen an den Küsten nehmen Ordnungskräfte eine zunehmende Nachlässigkeit beim Einhalten der Abstandsregel von 1,50 Meter oder der Maskenpflicht wahr.
In der Politik haben die Demonstrationen und die Regelverstöße eine Diskussion über die Konsequenzen
ausgelöst. „Es macht keinen Sinn, wenn wir uns Regeln geben, die dann nicht durchgesetzt werden“, sagte Innenstaatssekretär Günter Krings (CDU). Ordnungskräfte müssten künftig konsequenter durchgreifen und auch gegen Demonstranten, die Abstandsregeln nicht einhalten, Bußgelder verhängen. „Neue Demonstrationen von Veranstaltern, die bereits gezeigt haben, dass bei ihren Demos massiv gegen Regeln verstoßen wird – wie etwa am 1. August in Berlin – sollten grundsätzlich verboten werden“, forderte Krings. Die Versammlungsfreiheit sei ein hohes Gut, aber die Städte müssten häufiger vorbeugend entscheiden, um Rechtsverstöße zu verhindern.
Auch Reisen in Risikogebiete sollten nicht generell verboten werden. Doch „sollten wir darüber nachdenken, ob wir eine vorherige Anzeigepflicht einführen“, sagte Krings. „Wer in ein Risikogebiet reisen will, sollte das vorher dem Gesundheitsamt melden, damit es hinterher leichter überprüfen kann, ob der verpflichtende Corona-test bei der Einreise gemacht und gegebenenfalls die Quarantäne eingehalten wurde“, sagte der Cdu-politiker.
Grüne und Linke lehnten strengere Regeln dagegen ab. „Ich sehe mit einer gewissen Sorge, dass jetzt unglaublich viel diskutiert wird über Repression und höhere Strafen“, sagte Linken-chefin Katja Kipping. Auch der Grünen-innenexperte
Konstantin von Notz warnte vor übertriebenen Reaktionen auf Demonstrationen und Verstöße. „Wir brauchen derzeit keine härteren Sanktionen und mehr Kontrollen. Der weit überwiegende Teil der Bevölkerung verhält sich doch vernünftig und steht hinter den Abstandsund Hygieneregeln und der Maskenpflicht“, betonte von Notz. Die Zahl der Demonstranten sei überschaubar. „Wir dürfen diese Demos nicht überbewerten. Da treffen sich die unterschiedlichsten Menschen, die zum Teil sehr verrücktes Zeug von sich geben und sich mit ihren teilweise krass esoterischen bis offen wahnsinnigen Positionen oft auch schlicht lächerlich machen“, sagte von Notz.