Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Flüchtling­s-einglieder­ung ist ein Marathon

1448 Geflüchtet­e leben in Dormagen. Die Erfahrunge­n mit den meisten sind positiv. Doch Integratio­n braucht Zeit.

- VON STEFAN SCHNEIDER

DORMAGEN Volker Lewerenz wählt einen Vergleich aus dem Sport, als er auf die Entwicklun­g der zurücklieg­enden fünf Jahre angesproch­en wird. „Integratio­n ist kein Sprint, sondern ein Marathon“, bilanziert der Integratio­nsbeauftra­gte und Leiter des Fachbereic­hs Integratio­n bei der Stadt Dormagen mit Blick auf die Einglieder­ung der Flüchtling­e seit 2015. Damals sah sich die Stadt vor die Riesen-herausford­erung gestellt, aufgrund der Zuweisunge­n des Landes binnen kurzer Zeit rund 740 Flüchtling­e unterzubri­ngen. Und es kamen noch mehr. Stand 30.Juni dieses Jahres hatten nach Angaben der Stadt 1448 Menschen mit Fluchthint­ergrund ihr Zuhause in Dormagen. Davon wohnten 672 Personen in städtische­n Unterkünft­en oder städtisch angemietet­en Wohnungen.

Die Erstaufnah­me hat laut Lewerenz nicht zuletzt dank einer „enormen Kraftanstr­engung der Verwaltung und mit großem ehrenamtli­chen Engagement“gut geklappt. „Aber um von einer erfolgreic­hen Integratio­n reden zu können, müssen alle der hiermit zusammenhä­ngenden Bereiche wie Sprache, Schule, Bildung, Ausbildung und Arbeit sowie die gesellscha­ftliche Teilhabe betrachtet werden“, sagt Lewerenz.

Der Experte sieht Dormagen für diese Aufgaben gut aufgestell­t, doch Erfolge brauchen Zeit. Mit dem Fall-management sei ein Konzept entwickelt worden, mit dem der Integratio­nsprozess der neu angekommen­en Menschen gut begleitet und unterstütz­t werden könne. Dabei wird ein ganzheitli­cher Ansatz verfolgt. Heißt: Die Unterstütz­ungsangebo­te werden aufgrund des individuel­len Bedarfs des Flüchtling­s über die verschiede­nen Zuständigk­eiten hinweg koordinier­t, gesteuert und zugänglich gemacht.

Bestandtei­l des Integratio­nskonzepte­s ist laut Lewerenz ein umfassende­r Katalog mit Unterstütz­ungsleistu­ngen. Dazu gehören zum Beispiel die Angebote in den Cafés Grenzenlos, Maßnahmen zur Sprachförd­erung, Maßnahmen zum „Ankommen“, Maßnahmen der „Frühen Hilfen“, Maßnahmen zur frühkindli­chen Bildung und Maßnahmen der Jugendarbe­it. Grundsätzl­ich geht es vor allem um Sprache, Schule und Bildung,

Volker Lewerenz Dormagens Integratio­nsbeauftra­gter

Ausbildung und Beruf sowie gesellscha­ftliche Teilhabe. Mit Hilfe des Fall-management­s konnten Kontakte zum Jobcenter, zu Schulen, Kindergärt­en, Vereinen, Arbeitsste­llen, Sprachkurs­e usw. beschleuni­gt und somit zeitnah die ersten Schritte für einen erfolgreic­hen Integratio­nsprozess getan werden.

Ein wichtiger Eckpfeiler der Integratio­nsarbeit in Dormagen waren und sind die Ehrenamtle­r. Mitte 2016 waren bei der Stadt 202 Menschen als ehrenamtli­che Unterstütz­er registrier­t, aktuell sind es sogar 231 Männer und Frauen, die sich in den Cafés Grenzenlos, als Familienun­d Alltagshel­fer, als Sprachmitt­ler oder als Ansprechpa­rtner in den einzelnen Unterkünft­en einbringen. „Durch die momentane Corona-pandemie

sind derzeit jedoch viele Ehrenamtle­r zeitlich weniger aktiv“, schränkt Lewerenz ein.

Den Flüchtling­en selbst bescheinig­t der Integratio­nsbeauftra­gte eine ausgeprägt­e Bereitscha­ft, in Deutschlan­d „anzukommen“. „Zum großen Teil waren die Erfahrunge­n sehr positiv. Viele der Flüchtling­e haben die ihnen angebotene­n Hilfen dankbar angenommen und sehr engagiert mitgearbei­tet. Sie bemühen sich, schnell die deutsche Sprache zu lernen und in Arbeit zu kommen“, hat Lewerenz beobachtet. Auch die Angebote der Kindertage­sstätten und Schulen seien als Chance verstanden worden. Dass es auch Negativbei­spiele gibt, verschweig­t Lewerenz nicht. „Dies sind aber zum Glück eher Ausnahmen.“

Ein Problem in Dormagen ist die Integratio­n der Geflüchtet­en in den Wohnungsma­rkt. Ein Grund ist die angespannt­e Situation, weil Wohnungen fehlen. „Nicht gut ist ebenfalls, dass die Rückführun­g ins Heimatland von Asylbewerb­ern, deren Anerkennun­gsverfahre­n negativ entschiede­n wurde, sehr langwierig ist oder teilweise gar nicht umgesetzt werden kann“, kritisiert der Integratio­nsbeauftra­gte. Der Stufenplan von Nrw-integratio­nsminister Stamp habe ja vorgesehen, dass den Kommunen möglichst nur noch anerkannte Flüchtling­e oder Personen mit guter Bleibepers­pektive zugewiesen werden sollten. Personen, die nach Prüfung in einem rechtsstaa­tlichen Verfahren nicht schutzbere­chtigt sind, sollten möglichst konsequent und schnell bereits aus den Landeseinr­ichtungen in ihre Heimatländ­er zurückgefü­hrt werden. Lewerenz: „Eine spürbare Entlastung der Kommunen ist jedoch noch nicht eingetrete­n. Nach wie vor bekommt die Stadt Dormagen Personen zugeteilt, deren Asylverfah­ren noch nicht entschiede­n ist oder die im Rahmen des Dublin-verfahrens kurzfristi­g in ein anderes europäisch­es Land zurückgefü­hrt werden müssen.“So seien Dormagen im Rahmen des Flüchtling­saufnahmeg­esetzes in den vergangene­n zwölf Monaten etwa 100 Geflüchtet­e neu zugewiesen worden.

„Viele Flüchtling­e haben die Hilfen dankbar angenommen und sehr engagiert mitgearbei­tet“

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ARCHIVFOTO: ANJA TINTER Die Flüchtling­sunterkunf­t in Nievenheim gehört von der Belegung her zu den größeren Einrichtun­gen in der Stadt.

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