Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Fahrplan für die Stilllegung der Kraftwerke
Bis Ende 2022 gehen alle Neurather Altblöcke vom Netz, 2021 endet die Bereitschaftszeit in Frimmersdorf. Wie es weitergehen soll.
GREVENBROICH 2038 soll die Braunkohleverstromung in Deutschland beendet werden, so sieht es das Kohleausstiegsgesetz vor. Noch 18 Jahre – das klingt weit weg. „Fridays for Future“und andere Klimaschützer fordern ein deutlich früheres Aus für die Braunkohle. Ungeachtet der Debatten und Demos: Der Kohlestromausstieg in Grevenbroich hat längst begonnen, mehrere Kraftwerksblöcke sind bereits in der bundesweiten Sicherheitsreserve. Ende 2022 sollen alle Blöcke im Alt-kraftwerk Neurath vom Netz sein – in etwas mehr als zwei Jahren. In Frimmersdorf gehen die letzten Blöcke bereits 2021 vom Netz. Für die Nachnutzung gibt es Überlegungen, Konzepte, Machbarkeitsstudien. Klar ist: Neue Arbeitsplätze sollen her, unklar ist, was genau angesiedelt wird.
Der Fahrplan fürs Abschalten Der so genannte Stilllegungspfad für die Braunkohle ist mit dem Ausstiegsgesetz geregelt. Bereits Ende 2021 sollen die Frimmersdorfer 300-Mw-blöcke Paula und Quelle aus der vierjährigen Sicherheitsreserve in den endgültigen Ruhestand gehen. Die alten 150-Mw-blöcke sind bereits seit Jahren vom Netz. Auch in Neurath erfolgt der Ausstieg in Raten: Seit Herbst 2019 befindet sich Block „C“in Reserve. Ende Dezember 2021 wird der 300-Mwblock „B“stillgelegt, am 1. April 2022 der gleich starke „A“, Ende 2022 die letzten aktiven Blöcke „D“und „E“des Altkraftwerks mit je 600 Megawatt – das Ende einer mehr mehr als 50-jährigen Epoche.
Das bedeutet, dass die Leistung des gesamten Kraftwerks Neurath in nur zwei Jahren fast halbiert wird. Denn ab 2023 bis 2038 sollen nur noch die neuen Boa-blöcke Friedrich und Gustav mit zusammen 2000 MW Strom produzieren, gemeinsam mit dem „K“(800 MW ) in Niederaußem. Dort startet der Ausstieg jetzt im Dezember mit einem 300-Mwblock, die beiden 600-Mw-anlagen gehen 2029 außer Dienst beziehungsweise 2033 in die Reserve.
Mitarbeiter An den Standorten Neurath und Frimmersdorf sind derzeit 750 Rwe-mitarbeiter beschäftigt. Wie viele davon nach 2023 noch bleiben, steht noch nicht fest. „Konkrete Vorhersagen, was wann wie viele Mitarbeiter und Standorte betrifft, sind – abgesehen von den Stilllegungsterminen im Gesetz – Spekulation“, betont Guido Steffen, Sprecher von RWE Power. „Es wird definitiv Stellenabbau geben
– den wollen wir sozialverträglich schaffen.“Dies könne beispielsweise mit Vorstands- und Altersteilzeitregelungen erfolgen. „RWE trägt in den ersten Jahren die Hauptlast des Kohleausstiegs, was unter anderem mit dem Abbau von rund 3000 Stellen bis Ende 2023 im Rheinischen Revier verbunden ist. Noch einmal rund 3000 Stellen werden bis 2030 folgen“, so Steffen. RWE Power werde nach dem im Juli beschlossenen Kohleausstiegsgesetz „einen Schritt nach dem anderen“machen. „Der nächste sei die Leitentscheidung der Landesregierung zur künftigen Braunkohlenplanung. Das Beteiligungsverfahren der Öffentlichkeit hat begonnen. „Auch RWE Power wird zum Entwurf Stellung beziehen“. Die neuen Rahmenbedingungen müssten in konkrete Maßnahmen umgesetzt werden.
Der Abbruch In Grevenbroich beschäftigt eine wichtige Frage nicht nur Politiker: Wann können auf den alten Kraftwerksflächen in Frimmersdorf – mit Nebenanlagen geht es um rund 160 Hektar – neue Arbeitsplätze entstehen? Zuvor müssen die Anlagen – die Kühlwasseraufbereitungsanlage
wird noch weiter für Neurath benötigt – abgerissen werden. Einen Rückbauzeitplan gibt es laut Konzern noch nicht. „Theoretisch könnten ab Mitte der 20er Jahre 45 Hektar zur Verfügung stehen“, sagt Steffen. Und er erklärt:
„RWE hat keine weiteren Pläne zur Weiternutzung.“
Die Nachnutzung in Frimmersdorf Jetzt kommt FRITZ ins Spiel, das Frimmersdorfer Innovations- und Technologiezentrum. „Dabei handelt es sich um ein formelles Projekt im Rahmen des Strukturwandels im Rheinischen Revier“, sagt Ralf Müller von der Wirtschaftsförderung der Stadt. „Wir stehen aber noch am Anfang, da liegt noch viel Arbeit vor uns.“Vorgesehen ist die
Ansiedlung von Industrie und Gewerbe. Es gehe aber auch um eine angemessene städtebauliche Entwicklung und um eine Aufwertung der Erft als Raum für die Naherholung. Die SPD hat kürzlich das Projekt für eine „Smart Social City“vorgeschlagen. Teile der Rwe-flächen am Ortsrand von Frimmersdorf könnten für neue Formen des Wohnens genutzt werden.
Klar, dass Wirtschaftsförderer Müller lieber früher als später neue Arbeitsplätze auf dem alten Kraftwerksareal sehen würde. „Zurzeit befassen wir uns mit konzeptionellen Fragen, etwa der Verkehrsanbindung des Gebietes an Straßen und öffentlichen Personennahverkehr“. Wenn die künftige Nutzung womöglich mehr Verkehr als heute bedeute, „dann darf das nicht zu Lasten von Gustorf, Gindorf, Neuenhausen, Frimmersdorf und Neurath gehen“, sagt Müller. Denkbar sei etwa ein Anschluss der Gewerbeflächen an die L 116. Und für die Pendlerströme müssten die Haltepunkte Frimmersdorf und Gustorf modernisiert werden. Die geplante S-bahn sei auch für FRITZ wichtig. Eine weitere Frage ist, „einen Weg für den Rückbau des Kraftwerks zu finden, bei dem wir uns alle Möglichkeiten der Nachnutzung offenhalten.“
Doch für was? Möglich sind Ansiedlungen etwa in den Bereichen Metall, Chemie, Medizin und Ernährung. Auch Kreislaufwirtschaft kann ein wichtiges Thema sein. Dabei soll es aber laut Ralf Müller um mehr gehen als um das öfter genannte Beton-recyling für die gewaltigen Kraftwerksgebäude. Denkbar sei etwa eine Wiederverwertung von Wertstoffen aus E-autos und von deren Akkus. Und in der heutigen Wasseraufbereitungsanlage könnte in weiterer Zukunft eine Algenzucht entstehen. Bis zu einem Baustart für neues Gewerbe werden laut Ralf Müller noch Jahre vergehen. Neben dem Abriss stehen Planungsverfahren an.
Nachnutzung des Alt-kraftwerks Neurath Dafür bestehen laut RWE noch keine Pläne. Wohl aber gebe es eine Machbarkeitsstudie für ein Wärmespeicherkraftwerk – wahrscheinlich mit einem keramischen Speicher.
Ein Abriss des Alt-kraftwerks nach dem Abschalten Ende 2022 kommt laut dem Rwe-konzern nicht in Frage: Die Infrastruktur für den gesamten Standort mit den beiden Boa-blöcken hänge zusammen – beispielsweise bei der Hilfsdampfund Frischwasserversorgung und bei Rohrleitungen.