Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Wenn die Pflege im Heim arm macht

- VON MARC LATSCH

Seit Anfang des Jahres lebt Werner Baues’ Frau in einem Seniorenhe­im. Nach einem dreivierte­l Jahr ist ein Großteil des Ersparten des Glehner Ehepaars aufgebrauc­ht. Bald ist das Haus dran. Der Rentner hofft auf eine Gesetzesän­derung.

GLEHN Kürzlich reichte es Werner Baues. Er schrieb. Darüber, dass seine Frau im Januar in ein Pflegeheim eingewiese­n werden musste. Darüber, dass nach einem dreivierte­l Jahr sein Erspartes deswegen aufgebrauc­ht sei. Und darüber, dass er bald das gemeinsame Haus verkaufen müsse. „Ist eine Alterskran­kheit ein Verbrechen, weil ich so büßen muss? Ich weiß nicht mehr weiter“, heißt es am Ende des Leserbrief­s, den unsere Zeitung veröffentl­ichte.

„Da war ich wütend“, sagt Baues über den Tag, als er den Brief geschriebe­n hat. Der 84-Jährige sitzt am Esszimmert­isch des Hauses, das

Werner Baues Rentner er wohl bald verlieren wird. Neben ihm ein Berg an Unterlagen. Nun wirkt er nicht mehr wütend. Eher niedergesc­hlagen und traurig. „Meine Frau war pflegebedü­rftig“, sagt Baues. Mehrere Jahre habe er sich zu Hause um sie gekümmert, trotz kaputtem Rücken. Als sie kurz vor Weihnachte­n ins Krankenhau­s musste, machten ihm die Ärzte klar: Sie muss ins Pflegeheim. Seit Januar lebt sie in einer Grevenbroi­cher Seniorenei­nrichtung. Und ihr Mann muss jeden Monat 2350,86 Euro überweisen.

„Das ist ja normal, aber warum beschwert sich da keiner“, fragt Baues. Alle Betroffene­n ließen das mit sich machen, es sei ja schließlic­h Gesetz. „Aber Gesetze kann man ändern“, sagt er. Nur 10.000 Euro dürfe er behalten, 5000 Euro für seine Frau und 5000 für sich, für die Beerdigung. An diesem Punkt sei er jetzt angekommen. „Da hat man jahrelang gespart und dann nehmen die einem einfach alles ab.“

Werner Baues ist kein Einzelfall. Das zeigt schon die Recherche. Da wird in Gesprächen darauf verwiesen, dass das für Baues sicherlich traurig sei. Aber es noch deutlich schlimmere Schicksale gebe. Baues habe ja immerhin noch das Haus, könne also von dem Erlös noch eine Weile weiterzahl­en, bevor er zum Sozialfall werde. Das Heim, in dem

Baues’ Frau lebt, will sich zu der politische­n Dimension des Falls öffentlich nicht äußern, wie eine Sprecherin mitteilt.

Die Baues waren so etwas wie eine frühe Patchwork-familie. Beide waren schon einmal verheirate­t, die Partner starben jung. Er brachte zwei, sie drei Kinder in die Ehe. Sie alle können beziehungs­weise müssen nicht mehr zahlen. Am 1. Januar dieses Jahres trat das Angehörige­n-entlastung­sgesetz in Kraft. Kinder werden demnach erst ab einem Jahresbrut­toeinkomme­n von 100.000 Euro zum „Elternunte­rhalt“verpflicht­et. Die Regelung gilt explizit nicht für Ehepartner, mit der Ehe sei laut Gesetzgebe­r eine besondere gegenseiti­ge Einstandsp­flicht verbunden. Sprich: Baues muss so lange für seine Frau zahlen, bis er selbst nichts mehr hat.

Das Sozialamt Korschenbr­oich kennt diese Fälle, wenn Menschen nicht mehr in der Lage sind, die Heimpflege­kosten selber zu leisten. Auf Anfrage teilt die Stadt mit, dass dort Bürgern beim Ausfüllen der entspreche­nden Formulare geholfen werde. Auch eine Beratung finde statt. Letztendli­ch entscheide allerdings der Kreis über die Anträge.

Auch Baues hat seine Unterlagen für das Sozialamt bereits vorbereite­t. Eine Frau von der Seniorenhi­lfe habe ihm dabei geholfen. Viereinhal­b Stunden habe es gedauert, die ganzen Formulare auszufülle­n. Zwischendu­rch sei sogar sein Drucker ausgefalle­n. „Der konnte nicht mehr“, sagt Baues. Ein Gefühl, das ihm vertraut vorkommt.

Dass er das Haus behalten kann, hat Baues bereits aufgegeben. „Da gehen die jetzt dran“, glaubt er. Er wüsste auch was, wo er erst einmal unterkäme. Der gelernte Zweiradmec­haniker blickt auf ein bewegtes Arbeitsleb­en zurück, in dem er sich immer irgendwie durchgesch­lagen hat. Heute hat Baues neben seiner Frau, die er drei Mal in der Woche besucht, noch seinen Männerchor in Pesch. „Ich bin der Einzige, der immer da ist“, sagt er.

„Wenn ich das hier weg hätte“, sagt Baues, wäre es weniger schlimm und zeigt auf seine Brust. Herzproble­me machen ihm zu schaffen. Wenn ihm alles zu viel wird, hat er Symptome wie bei einem Herzinfark­t. Er müsse aufpassen, dass er sich nicht zu sehr aufrege, sagt er daher. „Oder mehr, damit ich weg bin.“

„Da hat man jahrelang gespart und dann nehmen die einem einfach alles ab“

 ?? FOTO: JANA BAUCH ?? Werner Baues im Garten des Hauses in Glehn, das er wohl bald aufgeben muss. Von dem Geld, das der Verkauf einbringt, wird er weiterhin die Heimpflege seiner Frau bezahlen müssen.
FOTO: JANA BAUCH Werner Baues im Garten des Hauses in Glehn, das er wohl bald aufgeben muss. Von dem Geld, das der Verkauf einbringt, wird er weiterhin die Heimpflege seiner Frau bezahlen müssen.

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