Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Wenn die Pflege im Heim arm macht
Seit Anfang des Jahres lebt Werner Baues’ Frau in einem Seniorenheim. Nach einem dreiviertel Jahr ist ein Großteil des Ersparten des Glehner Ehepaars aufgebraucht. Bald ist das Haus dran. Der Rentner hofft auf eine Gesetzesänderung.
GLEHN Kürzlich reichte es Werner Baues. Er schrieb. Darüber, dass seine Frau im Januar in ein Pflegeheim eingewiesen werden musste. Darüber, dass nach einem dreiviertel Jahr sein Erspartes deswegen aufgebraucht sei. Und darüber, dass er bald das gemeinsame Haus verkaufen müsse. „Ist eine Alterskrankheit ein Verbrechen, weil ich so büßen muss? Ich weiß nicht mehr weiter“, heißt es am Ende des Leserbriefs, den unsere Zeitung veröffentlichte.
„Da war ich wütend“, sagt Baues über den Tag, als er den Brief geschrieben hat. Der 84-Jährige sitzt am Esszimmertisch des Hauses, das
Werner Baues Rentner er wohl bald verlieren wird. Neben ihm ein Berg an Unterlagen. Nun wirkt er nicht mehr wütend. Eher niedergeschlagen und traurig. „Meine Frau war pflegebedürftig“, sagt Baues. Mehrere Jahre habe er sich zu Hause um sie gekümmert, trotz kaputtem Rücken. Als sie kurz vor Weihnachten ins Krankenhaus musste, machten ihm die Ärzte klar: Sie muss ins Pflegeheim. Seit Januar lebt sie in einer Grevenbroicher Senioreneinrichtung. Und ihr Mann muss jeden Monat 2350,86 Euro überweisen.
„Das ist ja normal, aber warum beschwert sich da keiner“, fragt Baues. Alle Betroffenen ließen das mit sich machen, es sei ja schließlich Gesetz. „Aber Gesetze kann man ändern“, sagt er. Nur 10.000 Euro dürfe er behalten, 5000 Euro für seine Frau und 5000 für sich, für die Beerdigung. An diesem Punkt sei er jetzt angekommen. „Da hat man jahrelang gespart und dann nehmen die einem einfach alles ab.“
Werner Baues ist kein Einzelfall. Das zeigt schon die Recherche. Da wird in Gesprächen darauf verwiesen, dass das für Baues sicherlich traurig sei. Aber es noch deutlich schlimmere Schicksale gebe. Baues habe ja immerhin noch das Haus, könne also von dem Erlös noch eine Weile weiterzahlen, bevor er zum Sozialfall werde. Das Heim, in dem
Baues’ Frau lebt, will sich zu der politischen Dimension des Falls öffentlich nicht äußern, wie eine Sprecherin mitteilt.
Die Baues waren so etwas wie eine frühe Patchwork-familie. Beide waren schon einmal verheiratet, die Partner starben jung. Er brachte zwei, sie drei Kinder in die Ehe. Sie alle können beziehungsweise müssen nicht mehr zahlen. Am 1. Januar dieses Jahres trat das Angehörigen-entlastungsgesetz in Kraft. Kinder werden demnach erst ab einem Jahresbruttoeinkommen von 100.000 Euro zum „Elternunterhalt“verpflichtet. Die Regelung gilt explizit nicht für Ehepartner, mit der Ehe sei laut Gesetzgeber eine besondere gegenseitige Einstandspflicht verbunden. Sprich: Baues muss so lange für seine Frau zahlen, bis er selbst nichts mehr hat.
Das Sozialamt Korschenbroich kennt diese Fälle, wenn Menschen nicht mehr in der Lage sind, die Heimpflegekosten selber zu leisten. Auf Anfrage teilt die Stadt mit, dass dort Bürgern beim Ausfüllen der entsprechenden Formulare geholfen werde. Auch eine Beratung finde statt. Letztendlich entscheide allerdings der Kreis über die Anträge.
Auch Baues hat seine Unterlagen für das Sozialamt bereits vorbereitet. Eine Frau von der Seniorenhilfe habe ihm dabei geholfen. Viereinhalb Stunden habe es gedauert, die ganzen Formulare auszufüllen. Zwischendurch sei sogar sein Drucker ausgefallen. „Der konnte nicht mehr“, sagt Baues. Ein Gefühl, das ihm vertraut vorkommt.
Dass er das Haus behalten kann, hat Baues bereits aufgegeben. „Da gehen die jetzt dran“, glaubt er. Er wüsste auch was, wo er erst einmal unterkäme. Der gelernte Zweiradmechaniker blickt auf ein bewegtes Arbeitsleben zurück, in dem er sich immer irgendwie durchgeschlagen hat. Heute hat Baues neben seiner Frau, die er drei Mal in der Woche besucht, noch seinen Männerchor in Pesch. „Ich bin der Einzige, der immer da ist“, sagt er.
„Wenn ich das hier weg hätte“, sagt Baues, wäre es weniger schlimm und zeigt auf seine Brust. Herzprobleme machen ihm zu schaffen. Wenn ihm alles zu viel wird, hat er Symptome wie bei einem Herzinfarkt. Er müsse aufpassen, dass er sich nicht zu sehr aufrege, sagt er daher. „Oder mehr, damit ich weg bin.“
„Da hat man jahrelang gespart und dann nehmen die einem einfach alles ab“