Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Die ungelösten Probleme zum Schulstart
Die Infektionszahlen steigen, draußen wird es kühler, der Schulbetrieb beginnt wieder. Viele Schulen sind nach den Herbstferien darauf nicht vorbereitet. Das liegt unter anderem an altbekannten Gründen.
DÜSSELDORF Schulen ohne W-lan, fehlende Geräte, eine so dünne Personaldecke, dass der Ausfall eines Lehrers Quarantäne für die ganze Klasse bedeuten kann. An diesem Montag beginnt in NRW wieder die Schule, für die meisten Schüler mit Maske und unter besonderen Bedingungen. Spricht man mit Schulleitern und Experten aus der Region, bekommt man schnell den Eindruck: Es gibt weiterhin deutlich mehr Probleme als Lösungen. Die Hürden werden dabei nicht kleiner, im Gegenteil. Das Coronavirus trifft auf ein unvorbereitetes System, mal wieder. Das sind die größten Problemfelder:
Lüften und Heizen Für viele Schulen stellt sich mit zunehmender Dringlichkeit die Frage, wie man genug lüften soll, damit sich das Virus nicht ausbreitet, die Raumtemperatur aber dennoch angenehm bleibt. Alle 20 Minuten lüften, mit weit geöffneten Fenstern, am besten fünf Minuten lang, das empfiehlt das Umweltbundesamt. „Die Kinder sollten sich warm anziehen“, sagt Wilfried Schönherr, Schulleiter an der Realschule An der Fleuth in Geldern. Er empfiehlt mehrere Schichten warmer Kleidung. Aber bitte keine Jacke, es gehe auch ohne.
Monika Maraun ist deutlich skeptischer. Die Sprecherin der Fachgruppe Grundschule der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW ), die auch die Paulusschule in Düsseldorf leitet, sieht das Thema Heizen als eines der größten Probleme für den aktuellen Schulbetrieb. Viele Schulen hätten ältere Gebäude, also oft auch eine alte Heizanlage. Dann komme es schon mal vor, dass von vier Heizkesseln nur einer laufe, sagt Maraun. So sei es selbst in einem normalen Winter schwierig, die Schule warmzuhalten: „Wie man das mit 20 Minuten Lüften vereinbaren kann, weiß ich nicht.“An einer Förderschule in Düsseldorf gab es schon vor den Ferien beim Lüften immer eine „Bewegungspause“, damit die Schüler warm blieben, berichtet die dortige Schulleiterin.
Hinzu kommt ein Investitionsstau. Eigentlich hatte die Bundesregierung ein Programm mit 500 Millionen Euro aufgestellt, um Lüftungsanlagen für öffentliche Gebäude zu finanzieren. Viele Schulen profitieren allerdings nicht davon. Das Geld ist nur für Gebäude vorgesehen, die bereits über Lüftungsanlagen verfügen, mit der Förderung können dafür Filter finanziert werden. Über solche Anlagen verfügen die meisten Schulen jedoch nicht. Also fingen die Eltern an, Geld zu sammeln, um die Luft für ihre Kinder virenfrei zu halten. Mitte vergangener Woche wendete sich das Blatt zumindest für NRW – das Schulministerium kündigte weitere 50 Millionen Euro an, speziell für mobile Lüftungsgeräte. Für Andreas Bartsch, Präsident des Nordrhein-westfälischen Lehrerverbands, hat das zu lange gedauert: „Dass der Herbst und der Winter nicht nur im Kalender stehen, sondern auch auf der Wetterkarte, haben alle gewusst.“
Lehrermangel „Das Thema Fachkräftemangel haben wir ja sowieso“, sagt Bartsch. In den Klassenzimmern fehlen seit Jahren Lehrer. Nun fällt ein Teil von ihnen auch noch aus. 3,9 Prozent der Lehrer in NRW konnten Ende September nach Angaben des Schulministeriums nicht eingesetzt werden. Das klingt erst einmal nicht viel, in absoluten Zahlen geht es aber um mehr als 6000 Personen. Ein Teil von ihnen befand sich in Quarantäne, nach den Herbstferien dürfte diese Gruppe größer sein, denn die Infektionszahlen sind in die Höhe geschossen. Hinzu kommen Lehrer, die wegen eines Attests im Präsenzunterricht gar nicht einsetzbar sind.
Keine Lehrer bedeutet keine Schule – vor diese einfache Rechnung würden viele Schulleiter nach den Ferien gestellt sein, sagt Gew-sprecherin
Maraun: „Wenn eine Lehrerin in Quarantäne geht und ich keinen Ersatz für sie habe, muss ich im Zweifel die ganze Klasse nach Hause schicken.“
Mobile Endgeräte Wenn alle Stricke reißen, lernen Kinder und Jugendliche wieder an den heimischen Laptops und Tablets – falls sie denn welche haben. Für viele Nrw-schüler fehlen die Geräte noch, zum Beispiel in Geldern. Schulleiter Wilfried Schönherr sagt, etwa 15 Prozent seiner Schüler bräuchten ein mobiles Endgerät. In einer Bedarfsabfrage hatte Schönherr die genaue Anzahl ermittelt; das war komplizierter, als man denkt. „Die Kriterien, die darüber entscheiden, wer ein Endgerät bekommt, sind nicht klar geregelt“, sagt Schönherr. Der Bund ließ die Kriterien absichtlich offen. Die Schulen und Kommunen kennen die Bedürfnisse vor Ort am besten, so die Argumentation. Das Ergebnis: noch mehr Unsicherheit.
Wenn Laptops und Tablets doch da sind, kommt ein weiteres Hindernis auf die Schulen zu, für das sie schlecht gewappnet sind: Wer soll die Geräte einrichten, wer allen beibringen, wie man sie nutzt? Oft sei das eine Frage der Eigeninitiative, sagt Maraun, die für die GEW für die Grundschulen spricht. „Man muss das Glück haben, dass einer da ist, der sich mit den Plattformen auskennt“, sagt sie. Einer, der sich schnell Wissen aneignet, neben dem regulären Job eine neue Rolle annimmt, seine Freizeit opfert. An der Paulusschule in Düsseldorf war es ein Sozialpädagoge, der sich kümmerte, Maraun hatte Glück. Das haben nicht alle Schulen.
Digitale Infrastruktur Über funktionierende Endgeräte wäre auch Dominique Limbach von der Mathilde-von-mevissen-grundschule in Köln froh. Doch es hapert schon am W-lan, denn das gibt es an der Kölner Schule gar nicht. Vor gut einem halben Jahr habe sie die drahtlose Internetverbindung für ihre Schule bei der Stadt Köln beantragt, sagt Limbach. Auf eine Einrichtung wartet sie noch immer. Dabei braucht es nicht nur irgendein W-lan, sondern idealerweise schnelles, wenn Videokonferenzen zum Schulalltag gehören sollen. „Bei uns reicht die Internetverbindung einfach nicht aus, um alle zu vernetzen“, sagt Monika Maraun.
Schulleiter Wilfried Schönherr berichtet von ähnlichen Zuständen. Bis kurz vor den Herbstferien sei die Bandbreite an seiner Schule so schlecht gewesen, dass das Internet nicht in mehreren Klassenräumen gleichzeitig funktionieren konnte. Zumindest an Schönherrs Schule in Geldern wurde das Problem gelöst. Es gab einen runden Tisch mit der Stadt, daraufhin kam ein Techniker vorbei, und nun läuft das W-lan wieder überall.
Eine hinreichend funktionierende Internetverbindung – für manche Schulen in NRW gilt das schon als großer Erfolg. „Bei der Digitalisierung sind wir noch ein bisschen in der Steinzeit“, sagt Lehrerverbands-präsident Andreas Bartsch: „Das haben wir die letzten Jahre verpennt.“