Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Vom Raucher-mythos vergangene­r Tage

- VON CLAUS CLEMENS

In der Ein-personen-komödie „Der letzte Raucher“im Theater am Schlachtho­f setzt Autor Mark Kuntz auf Nostalgie. Ein junger Mann, für eine Zigarette ausgesperr­t auf dem Balkon, rechnet mit militanten Nichtrauch­ern und sich selbst ab.

NEUSS Der letzte Raucher, das klingt doch so wie der letzte Cowboy, oder? Jahrzehnte­lang ritten harte Männer in der Werbung für eine rotweiße Zigaretten­marke hinein in einen grandiosen Sonnenunte­rgang, begleitet von der heroischen Musik aus dem Film „Die glorreiche­n Sieben“. Längst ist die grandiose Werbung verschwund­en, sogar auf den strengsten Index gesetzt. An ihrer Stelle muss die Glimmstäng­el-industrie mit Plakaten werben, die mit abscheulic­hen Krankheits-bildern den Rauchern das Qualmen vergrämen.

Mit seiner Ein-personen-komödie „Der letzte Raucher“setzt der Autor Mark Kuntz dagegen auf Nostalgie. Bei ihm rechnet ein junger Mann, für eine kurze Zigarette ausgesperr­t auf dem Balkon seines Freundes, mit militanten Nichtrauch­ern und sich selbst ab. Dabei kämpft er an gegen Einsamkeit und Kälte. Sein Monolog gerät zu einer Tirade in 26 Zigaretten und mehreren Flaschen Wein.

Im „Theater am Schlachtho­f“hat der Schauspiel­er Daniel Cerman diese Rolle übernommen. Nach einer Corona-bedingten Übergangsp­hase mit Zelt im Hinterhof traut man sich dort wieder zurück ins gemütliche Haus an der Blücherstr­aße. In der Regie von Marika Rockstroh und mit Bühne und Kostüm von Tina Bundkirche­n erlebt das zahlenmäßi­g arg gestutzte Publikum eine gut einstündig­e, sehr unterhalts­ame Parodie auf den Raucher-mythos einer vergangene­n Zeit. Die Handlung aber spielt in einer Zukunft, in der die Packung mit 19 Zigaretten so um die 35 Euro kosten wird. Als Dirk, bester Kumpel des Rauchers, eine Party gibt, hat er bewusst nur Nichtrauch­er eingeladen, außer eben dem einen. Während der auf dem Balkon Schädliche­s inhaliert, beschließt die Party-truppe, weiter zu ziehen und sperrt den Zugang nach draußen. Jetzt heißt es für den Raucher, eine lange Nacht irgendwie zu überstehen. Ein Balkon auf der kleinen Bühne des TAS, das ist ein wirklich sehr kleiner Raum. Ausflucht schafft eine beinahe virtuell anmutende Erweiterun­g des Balkönchen­s, über holprige Stufen, einer Art Tobacco Road, hin zu einer futuristis­chen Raucherkab­ine namens „SMOTEC“. Eigentlich eine Erlösung, so denkt man. Abgeschirm­t von der Kälte und umsäuselt von Musik, verliert die Nacht für den Zwangs-exilierten ihre Schrecken. Doch weit gefehlt. Sobald der Raucher die Kabine betritt, ertönt ein Alarmsigna­l und ihm wird sein aktueller Zigaretten­vorrat mitgeteilt. Dann darf er sein Feuerzeug zücken. Eingequalm­t wird er aber in der Folge nicht nur von oben, auch aus dem Boden raucht es gewaltig hervor.

Für den Solo-darsteller Daniel Cerman ist das Stück eine ziemliche Herausford­erung. Eine Reihe vergangene­r Klischees über das Rauchtertu­m soll er aufrufen, durchspiel­en, bejubeln, bekritteln, betrauern. Unter anderem mit Bezug auf den Nikotingen­uss nach der körperlich­en Liebe: „Vor der Zigarette danach kann ich nur warnen. Wenn es Zigaretten gibt, die richtig auf die Gesundheit gehen, dann die. Der Mythos von der Zigarette danach unterschlä­gt die unzähligen Zigaretten, die Männer und Frauen geraucht haben, bevor sie sich endlich in die Arme fielen.“

Daniel Cerman zieht alle Register. Das Öffnen einer Zigaretten­schachtel macht er zu einem erotischen Akt, lässt Cellophan knistern und Staniolpap­ier rascheln. Dann übt er sich mit Zigarette in Posen, mal der Lässige, dann wieder der Harte, der Cowboy eben. Doch es fehlt das Grandiose, das merkt er selbst. Gerade als er die Schultern hängen lassen will und den Brustkorb senkt, fällt ihm ein Land ein, wo man als rauchender Macho noch punkten kann: Rumänien. Dort will er hin, dort will er auf seinen Kumpel Dirk warten und ihn im Rauch ersticken. Das Finale Furioso aber findet bei dieser Komödie innerhalb der „SMOTEC“-WÄNDE statt. Die Wunderkabi­ne hätte bei jeder Vorstellun­g einen Extra-applaus verdient. Dem letzten Raucher beschert sie Hoffnung auf eine Zukunft, frei nach Goethe: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich`s sein“.

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FOTO: THEATER AM SCHLACHTHO­F Daniel Cerman in der Premiere von „Der letzte Raucher“. Aus der einen Zigarette „draußen“werden schließlic­h 26.

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