Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Neuss liest“im Landestheater mit szenischen Einlagen
Das RLT war Schauplatz von „Neuss liest“und hatte sich für den Tagebuch-roman „Winterbienen“von Norbert Scheuer entschieden.
NEUSS Es lässt sich offensichtlich gut stricken zu den Präludien und Fugen aus dem wohltemperierten Klavier von Johann Sebastian Bach. So jedenfalls empfing Katja König, Mitarbeiterin im Theateraktiv-bereich des Rheinischen Landestheaters (RLT), die knapp 30 Besucher auf der kleinen Bühne im oberen Foyer des Theaters. Das RLT war Schauplatz von „Neuss liest“und hatte sich für den Tagebuch-roman „Winterbienen“von Norbert Scheuer entschieden.
Der achte Roman des Autors, der in Kall in der Eifel lebt, ist im vergangenen Jahr erschienen und das Hauptwerk des Neusser Lesemonats. Dem Theater passte der Roman kongenial in sein Konzept, weil es im Februar nächsten Jahres ein Bienenfestival „Art und Artenschutz“plant. Die Schauspielerin Juliane Pempelfort las den Inhalt sehr gut vermittelnde Passagen aus dem unmittelbar nach seinem Erscheinen von der Kritik gefeierten Roman. Die Geschichte des Imkers Egidius Arimond, der in seinen präparierten Bienenstöcken Juden rettet, zeichnet die Jahre 1944/45 nach. Er ist wegen seiner Epilepsie als Lateinlehrer vorzeitig pensioniert worden, wurde zwangssterilisiert und ist der Erwachsenen-euthanasie, sprachlich als „Gnadentod“verharmlost, nur entgangen, weil sein Bruder Alfons hochdekorierter Kampfpilot ist.
Der Leser lernt in Norbert Scheuers Roman viel über Bienen, Königinnen, Harmonie und Schönheit.
Aber auch über den Massenmord an Drohnen. Gleichwohl setzt er den sanften Bienenstaat als denkbar größten Kontrast zum Ns-staat. In der Bibliothek von Kall geht Egidius Arimond in versteckten Büchern nicht nur den Aufträgen einer anonymen Flüchtlingsorganisation nach, sondern auch der Geschichte seiner Familie. Anfang des 16. Jahrhunderts ist der Benediktinermönch und „Bienenflüsterer“Ambrosius in die Eifel gekommen. „Die Christen hatten immer schon eine besondere Beziehung zu Bienen“, schreibt Egidius am 17. Januar 1944 in sein Tagebuch. Der am Kreuz sterbende Christus soll mit seinem süßen Blut Bienen angelockt haben.
Juliane Pempelfort und Katja König illustrieren die Texte mit kleinen eingestreuten Szenen. Das wirkt gelegentlich aufgesetzt, etwa wenn sie mit Lockenwicklern spielen. Egidius transportiert die Flüchtenden in präparierten Bienenkörben und heftet ihnen in Lockenwicklern gefangene Königinnen an die Kleidung. Wirkungsvoller sind die kurz eingespielten Musiksequenzen. Am 20. April 1944, Hitlers 55. Geburtstag, notiert Egidius: „Natürlich hat auch der Apotheker geflaggt.“Er ist auf seine immer teureren Medikamente angewiesen. Dazu ertönt der kölsche Marsch „Heidewitzka, Herr Kapitän“. Das „Heidewitzka“stammt nicht aus der kölschen Sprache. Es ist eine Verballhornung des Hitler-grußes: „Heil! Wie der Blitz.“Diese Absurdität passte, denn auch Scheuers Roman ist, obwohl manchmal lapidar erzählt, eine dunkle Chronik des Unheils.