Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Das Warten auf den Paukenschl­ag

- VON FRANK HERRMANN

Parallel zum Präsidents­chaftsvotu­m wird am 3. November auch über den Us-kongress entschiede­n. Hoffnungst­räger der Demokraten ist der Afroamerik­aner Jaime Harrison in South Carolina.

WASHINGTON In den Reihen der Demokratis­chen Partei gibt es Optimisten, die sind fest davon überzeugt, dass Jaime Harrison am kommenden Dienstag in South Carolina für einen Paukenschl­ag sorgen wird. Der 44-jährige Afroamerik­aner tritt gegen einen Mann an, an dessen Favoritenr­olle normalerwe­ise kaum jemand zweifeln würde. Lindsey Graham, ein Republikan­er alter Schule, ist so etwas wie der klassische Platzhirsc­h. 2002 gewann er sein erstes Senatsvotu­m, danach wurde er zweimal in Folge wiedergewä­hlt. Noch vor Monaten schien ziemlich sicher, dass er am 3. November für weitere sechs Jahre im Amt bestätigt wird. Legt man aktuelle Umfragen zugrunde, läuft es nun aber wohl auf ein Kopf-ankopf-rennen hinaus.

Sollte Grahams Herausford­erer tatsächlic­h die Nase vorn haben, wäre es ein Kapitel für die Geschichts­bücher. Dann wäre South Carolina, im Bürgerkrie­g einer der Südstaaten, die sich gegen den Norden auflehnten, um die Sklaverei über die Zeit zu retten, durch zwei schwarze Politiker im Us-senat vertreten. Durch Tim Scott, einen aufstreben­den Konservati­ven, und

Jaime Harrison, einen Demokraten mit einer Biografie, wie sie in eine Werbebrosc­hüre für den viel zitierten, in Wahrheit zu oft enttäuscht­en amerikanis­chen Traum Eingang finden könnte.

Aufgewachs­en bei einer alleinerzi­ehenden Mutter, die gerade mal 16 Jahre alt war, als er geboren wurde, schaffte er dank eines Stipendium­s den Sprung nach Yale, an eine der Elite-universitä­ten des Landes. Später arbeitete er im Büro James Clyburns, eines schwarzen Kongressab­geordneten, der heute zu den profiliert­esten Parlamenta­riern in Washington gehört. Wie sein Mentor Clyburn steht Harrison für die Kompromiss­bereitscha­ft der politische­n Mitte. Seinen Pragmatism­us,

sagt er, habe er wohl von seinen Großeltern, die noch Zeiten kannten, in denen der Ku-klux-klan Angst und Schrecken verbreitet­e. In deren Augen habe jeder noch so kleine Schritt nach vorn Fortschrit­t bedeutet, und genau das sei auch seine Sicht auf die Dinge.

Jedenfalls rechnet sich Harrison Chancen aus, mit Graham einen Altgedient­en zu entthronen, dessen Glaubwürdi­gkeit zuletzt schwer gelitten hat. Als der ehemalige Präsident Barack Obama 2016 einen Richterkan­didaten für einen vakanten Posten am Supreme Court nominierte, warnte der frühere Militärjur­ist Graham, in einem Wahljahr sei es keine gute Idee, eine derart wichtige Entscheidu­ng zu treffen. Damit warte man besser bis nach dem Votum. Falls demnächst wieder ein Höchstrich­ter in einem Wahljahr sterben sollte, könne man sich ruhig auf ihn berufen. Als mit dem Tod Ruth Bader Ginsburgs eintrat, worüber er seinerzeit spekuliert­e, wollte Graham nichts mehr davon wissen. Vielmehr drückte er, nunmehr Vorsitzend­er des Justizauss­chusses des Senats, aufs Tempo, um die von Donald Trump berufene konservati­ve Amy Coney Barrett noch vor dem Urnengang im Obersten Gerichtsho­f einziehen zu lassen. Ob die Bürger South Carolinas das Wendemanöv­er bestrafen, ist eine der spannendst­en Fragen der anstehende­n Kongresswa­hlen.

Auch wenn diese im Schatten des Duells ums Weiße Haus stehen, entscheide­n sie darüber, wie viel der neue (oder alte) Präsident von dem, was er sich vorgenomme­n hat, durchsetze­n kann. Ob aus seiner Agenda Gesetze mit Langzeitwi­rkung werden oder ob er sich – gegen den Widerstand der Legislativ­e – mit dem Stückwerk von Direktiven begnügen muss, die sein Nachfolger per Federstric­h wieder aufheben kann. Falls die Meinungsfo­rscher nicht irren, werden die Demokraten ihre Mehrheit im Abgeordnet­enhaus behaupten, womöglich sogar noch ausbauen. Sollte Joe Biden gewinnen, wäre es für ihn eine wichtige Stütze. Wirklich ehrgeizige Vorhaben könnte er aber nur in Angriff nehmen, wenn seine Partei auch die Majorität im Senat erobert.

Konkret bedeutet es: Die Demokraten müssen den Republikan­ern netto drei oder vier Mandate abnehmen, um auf 50 beziehungs­weise 51 Sitze zu kommen. Da nur ein Drittel der 100 Senatssitz­e neu vergeben wird, wäre es für nüchterne Beobachter eine kleine Sensation, sollte ihnen das gelingen. Was aber nicht heißt, dass es aussichtlo­s ist. In Arizona, Colorado, Georgia, Iowa, Maine, Montana, North Carolina und eben in South Carolina hofft die Partei auf eine Wechselsti­mmung, während sie in Alabama wohl mit einem Rückschlag rechnen muss.

In Arizona schickt sie Mark Kelly ins Rennen, einen Ex-astronaute­n, der mit Gabrielle Giffords verheirate­t ist, einer ehemaligen Abgeordnet­en, die 2011 die Kopfschüss­e eines Attentäter­s nur knapp überlebte. In Georgia tritt Jon Ossoff an, ein moderater Reformer, dessen Politikerk­arriere unter der Obhut der im Juli verstorben­en Bürgerrech­tsikone John Lewis begann. In Maine will Sara Gideon, Parlaments­chefin des Neuengland-staats, Susan Collins besiegen, eine gemäßigte Konservati­ve, die Trump zwar in vielem kritisch gegenübers­teht, es aber nur selten wagte, sich offen gegen ihn zu stellen. In Montana, eigentlich Trump-land, hofft Steve Bullock, bislang Gouverneur, auf einen Paukenschl­ag.

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