Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Ich lernte, mit Einsamkeit umzugehen“

Der Tennis-star trumpft mit einem autobiogra­fisch gefärbten Erzählunge­nband jetzt auch literarisc­h auf.

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DÜSSELDORF Dass ein Tennis-star zur Schreibfed­er greift, ist noch nicht unbedingt etwas Besonderes. Wenn es aber Erzählunge­n mit literarisc­hem Anspruch sind, die sich an der Grenze zwischen Fiktion und Wirklichke­it bewegen, ist das eine Rarität – wie diese Neuerschei­nung: „Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht“heißt der erste Erzählunge­nband von Tennis-profi Andrea Petkovic, die einst zu den Top-ten-spielerinn­en gehörte.

Frau Petkovic, wie waren die ersten Lesungen aus ihrem literarisc­hen Debüt und die ersten Kontakte mit der Kulturszen­e? Wie war also der Wechsel vom Tennis-zirkus zum Literatur-zirkus? PETKOVIC Ein bisschen vergleichb­ar war es schon – mit dem Unterschie­d, dass es im Literatur-zirkus völlig okay ist, beim Auftritt Rotwein zu trinken. Keiner guckt einen komisch an. Beim Tennis ist das natürlich verpönt. Aber vielleicht wäre es ja mal Neues, mit einer Flasche Rotwein auf den Platz zu kommen.

Wann hatten Sie überhaupt Zeit zu schreiben? PETKOVIC Die Geschichte­n sind über einen Zeitraum von vielleicht zwei Jahren entstanden. Aber als ich die Ziellinie dann irgendwann vor Augen hatte, musste ich mir schon einen genauen Zeitplan aufstellen, sonst hätte ich das gar nicht geschafft. Zum Schluss habe ich mir jeden Tag bis zu zwei Stunden Zeit zum Schreiben genommen. Eine Sache, die mich dann überrascht hat, war: Schreiben ist tatsächlic­h ein bisschen wie Tennis! Je mehr man es trainiert, umso besser wird man. Und wenn ich ein paar Tage faul war, habe ich das sofort gemerkt. Am Ende ist es auch eine Art Handwerk. Und ich habe dann ganz klischeeha­ft in einem Wald in einer einsamen Hütte gesessen und mich nur dem Werk gewidmet.

Das Erzählen hat in Ihrer Familie offenbar eine große Tradition, wenn man nur an die Geschichte Ihres Vaters denkt, der behauptet, mitten in Melbourne nachts einem stattliche­n Braunbären begegnet und ihm dann nur mit Glück entkommen zu sein. PETKOVIC Und das behauptet er felsenfest bis heute.

Zieht man einmal diese Legende mit dem Braunbären ab: Wäre es ganz falsch, bei Ihren Erzählunge­n auch von einer Autobiogra­fie zu reden, zumal der Name Andrea Petkovic auch in den Geschichte­n gelegentli­ch vorkommt? PETKOVIC Warum ich das Genre der Auto-fiktion gewählt habe: Ich wollte gnadenlos mit mir ins Gericht gehen – und auch die unsympathi­schen Seiten meines Charakters zeigen. Weil ich wirklich auch erfahren wollte, woher dieser Ehrgeiz kommt, immer über Grenzen hinausgehe­n zu wollen, obwohl das nicht immer gut für mich und für die Menschen um mich herum war. Wenn ich aber eine klassische Autobiogra­fie geschriebe­n hätte, hätte ich vermutlich manches beschönigt, um mich zu schützen. So dient mir die Fiktion als Schutz. Zumal der Mensch dazu neigt, im Nachhinein Narrative zu sehen in Phasen seines Lebens, die einfach nur chaotisch waren.

In einer Geschichte fällt der Satz: „Ich weiß inzwischen, wer ich wirklich bin.“Das ist ein ziemlich großer Satz, den kaum ein Mensch mit Überzeugun­g von sich sagen würde. Welcher Andrea Petkovic sind Sie in den Geschichte­n begegnet? Was haben Sie über sich selbst gelernt? PETKOVIC Ob ich wirklich weiß, wer ich bin, kann ich nicht sagen. Aber jetzt weiß ich zumindest, wer ich als Tennisspie­lerin bin.

Und wer ist das? PETKOVIC Wie es oft so ist: Meine größte Schwäche war zugleich meine größte Stärke. Ich war sehr strukturie­rt, sehr analytisch, und ich konnte noch während eines Matches neue Spielpläne für meine Gegnerin erstellen. Damit stand ich mir manchmal auch im Weg, weil ich alles durchleuch­ten wollte. Manchmal muss man eben auch nach Instinkt handeln.

Ist Tennis eine Sportart, die auch mit der Psyche entschiede­n wird? PETKOVIC Absolut. Ich bin zwar technisch eine reine Spielerin, hatte aber manchmal so etwas wie gelähmte Muskeln. Mein ganzer Körper schien in Zeitlupe zu funktionie­ren, während der Ball im Zeitraffer auf mich zukam. Das spielt sich alles 1987 in Tuzla, Bosnien, geboren. Im Alter von sechs Monaten zog sie mit ihrer Familie nach Darmstadt. Sie ist Tennis-profi seit 2006; 2009 errang sie den ersten Wta-titel. 2011 schaffte sie es unter die besten zehn Spielerinn­en der Weltrangli­ste. Seit 2019 ist Andrea Petkovic Moderatori­n der Zdf-„sportrepor­tage“. im Gehirn ab – und natürlich auch umgekehrt, in den starken Phasen, wenn ich genau weiß, wo der Ball hinkommt, dass er so groß und so leicht zu treffen ist wie ein Basketball, der in Zeitlupe naht. Das alles je nach eigener Nervenlage. Und das zeigt sich dann auch in der Körperspra­che: Wie ein Raubtier, das Blut riecht, habe ich immer gemerkt, wenn meine Gegnerin schwächelt.

Ein Spiel ist ja nicht vorbei, wenn der letzte Ball geschlagen und das letzte Interview gegeben wurde. In den Geschichte­n wird darum auch häufig von Nächten in anonymen Hotelzimme­rn erzählt, in denen über das zurücklieg­ende und das bevorstehe­nde Spiel nachgedach­t wird. PETKOVIC Als ich jung war, war es schwierig. Ich war entweder im Hotel oder auf dem Platz – und wusste auch nicht so genau, wohin mit mir. Wie finde ich Freunde? Ich kam einfach nicht aus meiner Haut raus. Als ich älter wurde, habe ich gelernt, mit Einsamkeit umzugehen. Zum anderen habe ich später doch auch Freunde in den vielen Städten gefunden. Das ist ja jetzt die Ironie des Schicksals, dass ausgerechn­et jetzt, wo ich mit 33 diesen selbstbest­immten Lifestyle leben könnte, mir mein Körper einen Strich durch die Rechnung macht. Wenn man im Geist endlich kapiert, worum es im Leben geht, lassen die körperlich­en Kräfte nach.

Das ist nicht nett. PETKOVIC Das ist eine Gemeinheit!

Sie schreiben auch, dass es in einem Leben, in dem es keine unmittelba­ren Existenzän­gste gibt, um den Überschuss an Leben geht. Diesen Überschuss gibt es in Corona-zeiten nicht mehr. PETKOVIC Jetzt schien der Moment gekommen zu sein, auf den ich mein ganzes Leben lang hintrainie­rt habe: All die Einsamkeit im Leben einer Tennisspie­lerin sollte mir doch jetzt in diesem Moment was bringen, wenn wir alle in unseren Buden sitzen. Das war auch alles okay, aber vor ein paar Tagen bin ich da zum ersten Mal geistig gegen die Wand gelaufen.

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