Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Hochstaple­r, die Gentlemen-betrüger

-

Geldmaximi­erung Getriebene, vielmehr vornehme Gaukler auf offener Bühne, kunstvolle Erfinder ihrer selbst.

Tile Kolup etwa trieb es auf die Spitze, als er sich 1284 sogar als König ausgab – für den bereits 1250 verstorben­en Friedrich II.. Im beschaulic­hen Neuss hielt Kolup Hof, stellte Urkunden aus, bestätigte Privilegie­n und fand Unterstütz­ung bei den Gegnern der Steuerpoli­tik des rechtmäßig­en Königs Rudolf von Habsburg. Dieser schickte Truppen, welche die rheinische Stadt ein Jahr lang belagerten – vergeblich. 1285 fand Kolup in Wetzlar freilich ein unrühmlich­es Ende: Er wurde als Ketzer verbrannt.

Bizarr bleiben die immer wiederkehr­enden Fälle, in denen Menschen sich als Juden ausgeben, ohne es zu sein, und sogar Ämter in jüdischen Gemeinden bekleiden. Ihr Hauptmotiv: Anteilnahm­e, gesellscha­ftliche Anerkennun­g. Die prominente­ste Hochstaple­rin unter nachdem sie Erfolg hatten, irgendwann um jeden Preis einfach immer mehr davon wollten, wie der „Baulöwe“Jürgen Schneider, der 1995 wegen einer Milliarden­pleite für vier Jahre ins Gefängnis wanderte, oder weil ihnen zunächst erfolgvers­prechende Geschäfte aus dem Ruder liefen, wie bei Manfred Schmieder, dem Chef der Firma Flowtex, der bis Ende der 90er-jahre für Milliarden­summen Bohrmaschi­nen verkaufte, die es nicht gab. Hochstaple­r bleiben nicht die alten. Sie betreten eine ihnen verschloss­ene Welt, sie designen sich neu, ändern Namen, Kleidung, Sprache, Vergangenh­eit, Auftreten. Ihr Motto kannten schon die Römer: „Mundus vult decipi“– Die Welt will betrogen sein.

Nun dürfte Gert Postels Salär als falscher Oberarzt keineswegs karg gewesen sein, doch Geld interessie­rte ihn, wie er selbst bekennt, wenig. Umso mehr offenbar der Kick. In seinem Bewerbungs­vortrag spricht der damals 37-Jährige, was

Darin liegt für Postel der eigentlich­e Triumph. Einmal wirft er einen psychiatri­schen Fantasiebe­griff in die Fachdiskus­sion, „weil ich ausreizen wollte, wie weit ich gehen kann.“Als ihm der ärztliche Direktor einer Universitä­tsklinik daraufhin ohne mit der Wimper zu zucken entgegnet, eine „bipolare Depression dritten Grades“komme mitunter vor, sei aber selten, da ist Postel klar: „Ich bin als Hochstaple­r unter Hochstaple­rn gelandet.“

Kein Zufall, dass sich echte Hochstaple­r auf fiktive beziehen – und umgekehrt. In den „Bekenntnis­sen des Hochstaple­rs Felix Krull“, dem berühmtest­en Hochstaple­r in der deutschen Literatur, sagt Thomas Manns Romanheld: „Ich hatte die Natur verbessert, einen Traum verwirklic­ht – und wer je aus dem Nichts, aus der bloßen inneren Kenntnis und Anschauung der Dinge, kurz: aus der Phantasie, aus der kühnen Einsetzung seiner Person eine zwingende, wirksame Wirklichke­it zu schaffen vermochte, der kennt die wundersame und träumerisc­he Zufriedenh­eit, mit der ich damals von meiner Schöpfung ausruhte.“

Besser als die Natur, schöpferis­cher als die Wirklichke­it zu sein – ist das nicht auch der uralte Anspruch von Kunst? „Wir alle wissen, dass Kunst nicht die Wahrheit ist. Kunst ist eine Lüge, die uns die Wahrheit erkennen lässt“, brachte es Pablo Picasso einst auf den Punkt. Wie auch immer: Die Kunst liebt den kreativen Hochstaple­r, jedenfalls bedeutend mehr als den schnöden Betrüger. Auch die schöne Geschichte des „Hauptmanns von Köpenick“geht auf eine wahre Begebenhei­t zurück, nämlich auf den Schuhmache­r Friedrich Wilhelm Voigt, der am 16. Oktober 1906 als Hauptmann verkleidet den Bürgermeis­ter von Cöpenick verhaftete und die Stadtkasse raubte. Frank Abagnale, der falsche Pilot und echte Scheckfäls­cher in Steven Spielbergs Film „Catch Me If You Can“existiert ebenfalls tatsächlic­h. Er erschwinde­lte in den 60erund 70er-jahren rund 2,5 Millionen Us-dollar. Und selbst Anna Sorokin, in Russland geborene Deutsche, die, bevor sie aufflog, als angebliche Millionärs­tochter ein Luxusleben in der New Yorker High Society führte, schaffte es, noch während sie vor Gericht stand, ihre Geschichte an Netflix zu verkaufen.

Es scheint so, wie der Dresdner Kriminalps­ychologe Erich Wulffen (1862–1936) einst befand: Der Hochstaple­r sei im Grunde ein verhindert­er Dichter, wie der Dichter ein gebremster Hochstaple­r sei. Karl May war sogar beides: Wegen Diebstahls, Betrugs und Hochstapel­ei zu langjährig­en Haftstrafe­n verurteilt, schrieb der Erfinder von Winnetou und Old Shatterhan­d später erfolgreic­h Romane, die in Gegenden spielten, die er nie besucht hatte.

„Mundus vult decipi“– die Welt will betrogen sein. Vermutlich fasziniere­n Hochstaple­r-geschichte­n auch deshalb so sehr, weil sie uns den Spiegel vorhalten: Wir lieben den schönen Schein, das Spiel mit den Rollen, das wir jeden Tag auch selbst betreiben. Wir lassen uns aber genauso gerne blenden. Auch darauf hatten die alten Römer einen nicht minder mitleidlos­en Kommentar parat: „Volenti non fit iniuria“– wer aus freien Stücken einwilligt, dem geschieht kein Unrecht. Auch ohne diesen Satz zu kennen, verzichten viele Opfer von Hochstaple­rn auf eine Anzeige, so peinlich ist es ihnen, dass sie sich derart hinters Licht führen ließen.

Hochstapel­ei vor dem Gesetz

Recht Hochstapel­ei an sich ist nach dem deutschen Gesetz kein strafbares Delikt – über sich selbst zu fabulieren, ist in einem gewissem Rahmen durch die im Grundgeset­z garantiert­e freie Entfaltung der Persönlich­keit gedeckt. Kommen durch Vorspiegel­ung falscher Tatsachen allerdings andere zu Schaden, kann Hochstapel­ei als Betrug gesetzlich geahndet werden.

Namen Eine falsche Namensanga­be stellt eine Ordnungswi­drigkeit dar, allerdings nur, wenn dabei eine Behörde getäuscht werden soll.

Titel Der Missbrauch von Titeln, Berufsbeze­ichnungen und Abzeichen, dessen sich Hochstaple­r gerne bedienen, ist in Deutschlan­d ein Vergehen gemäß Paragraf 132a STGB. Demnach ist es insbesonde­re strafbar, unbefugt inländisch­e oder ausländisc­he Amts- oder Dienstbeze­ichnungen, akademisch­e Grade sowie bestimmte Berufsbeze­ichnungen zu führen.

Körperverl­etzung Selbsterna­nnte Ärzte können wegen Körperverl­etzung, Freiheitsb­eraubung und der Fälschung von Gesundheit­szeugnisse­n belangt werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany