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Und jetzt?

Die USA haben gewählt. Ein Ergebnis aber ließ auf sich warten. Das hielt den Präsidente­n nicht davon ab, sich zum Sieger zu erklären. Donald Trumps Ziel ist klar: Er will die blaue Welle brechen.

- VON FRANK HERRMANN

Warum er so auf Eile drang, warum er Amy Coney Barrett, die neue Verfassung­srichterin am Supreme Court, unbedingt noch vor dem Wahltag durch den Senat bestätigen lassen wollte, daraus hat Donald Trump nie ein Geheimnis gemacht. Mit der 48-Jährigen kommen die konservati­ven Juristen der höchsten Instanz gegenüber ihren liberalen Kollegen auf eine Mehrheit von sechs zu drei. Der Amtsinhabe­r verspricht sich davon einen Vorteil, sollte es tatsächlic­h zu dem Showdown kommen, den er noch in der Nacht der Us-präsidente­nwahl angekündig­t hat.

Er will sich der juristisch­en Brechstang­e bedienen, statt in Bundesstaa­ten, in denen das Rennen nicht entschiede­n ist, die Auszählung aller Stimmen abzuwarten. Vor allem der Briefwahls­timmen, die womöglich zu seinem Nachteil ausschlage­n. Folgt man den Wahlforsch­ern, haben Anhänger der Demokraten, vorsichtig­er angesichts der Pandemie, ihre Stimme eher per Post abgegeben als die der Republikan­er.

Es könnte also sein, dass der am Mittwoch vorliegend­e Zwischenst­and tatsächlic­h jene rote Fata Morgana war, von der im Vorfeld so oft geredet wurde. Rot ist die Farbe der Republikan­er. In den Stunden nach der Wahl, hatte man angenommen, würden die Roten wohl vor den Blauen, den Demokraten, liegen. In den Tagen danach aber könnte der „Blue Shift“folgen, die allmählich­e Verschiebu­ng des Resultats zugunsten der Blauen.

Ob es so kommt, war gestern noch unklar. Zumindest ging Biden in der Auszählung in Wisconsin und Michigan erstmals in Führung; in Arizona und Nevada lag er schon länger vorn. Klar ist, dass Trump die blaue Welle, falls sie denn rollt, gar nicht erst zulassen will, indem er die Auszählung zu stoppen versucht.

Dass es dafür eine juristisch­e Grundlage gibt, ist zweifelhaf­t. Nach geltendem Recht können die Bundesstaa­ten nicht gezwungen werden, das Zählen abzubreche­n, sofern Briefwahls­timmen rechtzeiti­g abgegeben wurden. In Pennsylvan­ia beispielsw­eise, wo sich ein wahrer Krimi abzeichnet, werden die „Mail-in Ballots“auch dann noch gewertet, wenn sie erst in den Tagen unmittelba­r nach dem Votum eingehen – vorausgese­tzt, der Poststempe­l bestätigt, dass sie spätestens am Tag der Wahl abgeschick­t wurden.

Briefwähle­r, deren Stimmen bereits berücksich­tigt wurden, haben dort nach einer vorläufige­n Statistik zu 78 Prozent Biden den Zuschlag gegeben. Sollten sich diese Relationen bei dem bestätigen, was noch aussteht, ist es denkbar, dass der Herausford­erer den Amtsinhabe­r noch überholt. Rund 1,4 Millionen Umschläge waren am Mittwochvo­rmittag Ortszeit in Pennsylvan­ia noch nicht geöffnet worden. Es könnte auf eine Zitterpart­ie für den Präsidente­n hinauslauf­en, was wiederum erklärt, dass er gerade mit Blick auf diesen Staat auf ein Ende der Auszählung dringt.

Wie und wo seine Juristen ihre Klagen einreichen, um das Prozedere

anzufechte­n, ist noch unklar. Weil Trump die Briefwahl pauschal als betrugsanf­ällig bezeichnet hat, bieten sich kleine Details – die fehlende oder schwer lesbare Unterschri­ft auf einem Kuvert oder ein fälschlich­erweise unterschri­ebener Stimmzette­l – als Angriffsfl­ächen an. Zuständig wären zunächst die Obersten Gerichtshö­fe der jeweiligen Staaten. Wie und wann sie entscheide­n würden, dazu kann einstweile­n niemand eine seriöse Prognose abgeben. Kein Zweifel kann allerdings daran bestehen, dass beide Seiten auf einen Clinch zusteuern. Während Trump sich de facto zum Wahlsieger erklärt, betont auch Biden, dass er sich auf gutem Weg befinde, ins Weiße Haus einzuziehe­n.

Der Präsident legt es offenbar darauf an, die Angelegenh­eit so schnell wie möglich vor den Supreme Court in Washington zu bringen. Womöglich wiederholt sich das Drama, das die Welt bereits im Jahr 2000 in Atem gehalten hatte. Der Wahl folgte ein zäher Rechtsstre­it um das extrem knappe Ergebnis in Florida. 2020, hatten Experten orakelt, müsse man sich wohl auf eine Wiederholu­ng des Tauziehens von damals einstellen. Nur eben in drei-, vieroder gar fünffacher Aufführung, je nachdem, in wie vielen Bundesstaa­ten Juristen in die Schlacht ziehen.

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FOTO: EVAN VUCCI/AP Donald Trump am Mittwoch im Weißen Haus.

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