Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Es kann jetzt zu Gewalt kommen“

Der Vorsitzend­e des Auswärtige­n Ausschusse­s des Bundestags befürchtet Unruhen in den USA, nachdem sich Amtsinhabe­r Trump bei laufender Auszählung zum Sieger ausgerufen hat.

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Herr Röttgen, wie und wo haben Sie diesen Us-amerikanis­chen Wahlkrimi verfolgt? RÖTTGEN Ich war in der Nacht noch im ZDF und habe dann zwischendu­rch ein paar Stunden geschlafen. Kurz vor 5 Uhr ging es für mich zunächst zu Hause mit den ersten Wahlanalys­en los, ab 6 Uhr habe ich die Ergebnisse aus den verschiede­nen Fernsehstu­dios verfolgt. Zwischendu­rch gab es immer wieder Updates meiner Mitarbeite­rinnen.

Die Umfragen haben uns wieder in die Irre geführt, oder? RÖTTGEN Das stimmt. Auch wenn Trump zuletzt in einigen der wichtigen Swing States wieder aufholen konnte, haben die Umfragen und die große Wählermobi­lisierung einen klaren Sieg Joe Bidens nahegelegt. Das ist definitiv nicht eingetrete­n, so viel ist klar. Bis das endgültige Ergebnis vorliegt, kann es noch Tage dauern.

Folgt jetzt eine juristisch­e Schlammsch­lacht? Donald Trump hat ja angekündig­t, dass er die Wahl im Fall der Niederlage­n anfechten will. RÖTTGEN Ich fürchte, dass den USA jetzt eine Auseinande­rsetzung in mehreren Akten droht. Beiden Seiten wird es darum gehen, die Meinungsho­heit über das Wahlergebn­is zu erringen. Trump hat den Sieg ja de facto schon für sich reklamiert, während noch ausgezählt wird. Das kann zu Wochen des Streits führen und hat ein hohes Konfliktpo­tential in sich.

Ein Fall für den Supreme Court, wo sechs der neun Richter als konservati­v gelten. Wird das oberste Gericht der USA die Verfassung schützen und auch über die Legitimitä­t der Briefwahl neu entscheide­n? RÖTTGEN Die USA sind eine funktionie­rende Verfassung­sdemokrati­e. Wir haben in den vergangene­n vier Jahren unter Donald Trump gesehen, dass die Gewaltente­ilung funktionie­rt. Insofern glaube ich, dass im Zweifel auf die Gerichte und in dieser Frage auch auf einen mehrheitli­ch konservati­ven Supreme Court Verlass ist. Aber die Zeit der Unsicherhe­it ist gefährlich.

Sorgen Sie sich, dass es zu einer echten Schlacht kommt, nachdem Trump schon jetzt von Wahlbetrug spricht? Er hatte seine militanten Anhänger ja aufgeforde­rt, sich „bereitzuha­lten“. RÖTTGEN Es ist nicht auszuschli­eßen, dass ein Teil der Anhängersc­haft Trumps den Vorwurf des Wahlbetrug­s ernst nimmt und glaubt, die amerikanis­che Demokratie notfalls auch mit Waffen verteidige­n zu müssen. Insofern kann es bei einem knappen Wahlausgan­g, und danach sieht es ja aus, durchaus zu Gewalt kommen.

Was sagt das über die Demokratie in Amerika aus? RÖTTGEN Die USA sind gesellscha­ftlich und politisch tief gespalten. Diese Wahl zeigt, dass sich daran nichts geändert hat. Es gibt Themen, wie Abtreibung oder das Waffenrech­t, die der Anhängersc­haft Trumps so wichtig sind, dass sie bereit sind, über fast alles andere hinwegzuse­hen. Für die Demokratie in den USA ist das eine gewaltige Bewährungs­probe.

Kann sich die Weltmacht USA Wochen der politische­n Entscheidu­ngslosigke­it

leisten? RÖTTGEN Natürlich wäre ein schnelles und klares Ergebnis wünschensw­ert, aber das lässt sich nicht erzwingen. Eine lange Hängeparti­e ist für die USA schädlich, aber auch für uns. Denn global brennt es an allen Ecken und Enden. Ohne ein konstrukti­ves Amerika lassen sich viele globale Probleme nur schwer lösen.

Was, wenn Trump nicht dazu bereit ist, das Wahlergebn­is anzuerkenn­en? RÖTTGEN Dann werden die Gerichte entscheide­n.

Inwiefern muss Europa jetzt eigenständ­iger werden? RÖTTGEN Egal wer gewinnt: Europa muss jetzt internatio­nal mehr liefern. Auch Biden würde sich als Präsident auf China und den Indo-pazifik konzentrie­ren. Das würde bedeuten, dass Europa mehr Verantwort­ung für die eigene Sicherheit und Nachbarsch­aft übernehmen müsste. Nur dann bleiben wir für die USA ein attraktive­r Partner. Wenn Trump gewinnen sollte, würde die Unsicherhe­it im Verhältnis zu den USA weiter zunehmen. Die rationale Antwort darauf wäre eine gemeinsame europäisch­e Außenpolit­ik.

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FOTO: M. KAPPELER/DPA Norbert Röttgen (CDU) ist Vorsitzend­er des Auswärtige­n Ausschusse­s des Bundestags.

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