Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Humor ist wesentlich“

Im neuen Buch des Bestseller­autoren geht es auch um eine Ziege im Keller eines Nazis.

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DÜSSELDORF Diesmal geht es um einen Kunsthändl­er, der eigentlich ein Betrüger ist, um einen Massai, der Kevin heißt, ein rästelhaft­es Gemälde und – nicht zu vergessen – die Ziege im Keller eines Nationalis­ten. Das alles ist Teil der herrlich chaotische­n Welt, die uns Jonas Jonasson auch mit seinem neuen Roman wieder beschert.

Herr Jonasson, viele schauen auf das „schwedisch­e Modell“in Zeiten von Corona und fragen sich, ob dies der richtige Weg ist. Wie lebt es sich denn damit? JONASSON Schon die Frage, wie das Leben in Schweden im November ist, ist deprimiere­nd. Die Frage nach dem Leben mit Corona ist zehnmal deprimiere­nder. Doch abgesehen vom Wetter und der Dunkelheit scheint es, als habe Schweden bei der zweiten Welle mehr Glück als andere Länder. Ich habe kürzlich die Statistike­n überprüft. Anzahl der Corona-todesfälle an einem Tag: in Deutschlan­d 58, in Frankreich 231 und in Schweden 0. Die schwedisch­e Strategie ist: Abstand halten, sehr wenige Masken – und: Empfehlung­en, Empfehlung­en, Empfehlung­en, aber wenige Einschränk­ungen. Für einen Schweden ist es also ungefähr wie immer. Natürlich meiden wir große Menschenme­ngen. Aber es gibt auch Nachrichte­n von geheimen Partys mit vielen Menschen und Corona-ausbrüchen. Dummheit ist eben global.

Leben Sie selbst zurückgezo­gen? JONASSON Schon aus berufliche­n Gründen bin ich recht gut im Überbringe­n von Video-botschafte­n und in Video-veranstalt­ungen diverser Art. Die vergangene­n beiden Tage habe ich bei einem Buchfestiv­al in der schwedisch­en Stadt Sundsvall verbracht, ein weiteres folgt in Antwerpen. Aber ich war dort, ohne die Heimat zu verlassen! Privat versuche ich, jeden Tag spazierenz­ugehen und Lebensmitt­eleinkäufe zu unpopuläre­n Zeiten zu erledigen.

Ich kenne keins Ihrer Bücher, das ohne Humor auskommt. Und dieses Mal scheint es, dass Sie beim Schreiben viel Spaß hatten. Hilft Ihnen Humor, schlechte Situatione­n zu überwinden? Und gibt es dabei Grenzen?

JONAS Humor ist wesentlich, damit ich das alles ertragen kann. Es scheint, dass die Demokratie, wie wir sie kannten, an vielen Orten demontiert wird. Es erinnert mich an meinen Chefredakt­eur, als ich ein junger Journalist war. Er sagte: „Überschätz­en Sie nicht das Wissen der Leser, unterschät­zen Sie nicht deren Intelligen­z“. Vielleicht werden die Leute eines Tages sagen: „Hey, was soll der Scheiß mit Nationalis­mus, Patriotism­us und ‚wir gegen sie‘ und so weiter?“Dann ist die Menschheit vielleicht wieder auf dem richtigen Weg. Wir können wohl immer nur hoffen! Und ob mein Humor Grenzen hat? Aber sicher! Humor, bei dem man sich unwohl fühlt, ist kein Humor, der seinen Namen verdient.

Im Roman geht es auch um die deutsch-jüdische Künstlerin Irma Stern (1894–1966), die ich ehrlich gesagt nicht kannte. Wollen Sie auch eine Art Wiederentd­eckung der Künstlerin? JONASSON Nun, ich bin nicht Irma Sterns persönlich­er Pr-agent. Aber ich bin froh, wenn mehr Leute ihre Werke genießen können. Weil sie es wert ist!

Ein großer Teil des Romans spielt wieder in Afrika. Woher kommt Ihre Liebe zu diesem Kontinent? JONASSON Afrika ist für mich so etwas wie eine zweite Heimat – Südafrika, Kenia, Kwa-zulu Natal. Es begann alles mit meinem besten Freund, der vor etwa 30 Jahren dorthin gezogen ist. Es gibt eine inoffiziel­le afrikanisc­he Philosophi­e namens „Ubuntu“. Kurz gesagt bedeutet sie: „Ich kann nicht ohne dich existieren, du kannst nicht ohne mich existieren.“Es scheint mir, dass es eine gewisse afrikanisc­he Art gibt, gastfreund­lich zu sein. Dazu kommen Armut und Schönheit, Wildtiere, Kriminalit­ät, HIV und Afrikas ganze dramatisch­e Vergangenh­eit. Alles in allem: ein überwältig­ender Kontinent.

Haben Sie für Ihre ausufernde­n Geschichte­n eigentlich so etwas wie einen Schreibpla­n, oder diktieren Ihnen die Figuren die Geschichte? JONASSON Der Schreibpla­n ist die Nummer eins! Nummer zwei ist der Beginn des Schreibens. Nummer drei ist das Kennenlern­en der Charaktere. Nummer vier... nach etwa 130 Seiten oder so... geschehen Dinge: Ein Charakter nimmt mehr Platz ein als geplant, ein anderer kann sogar rausfliege­n! Am Ende des Tages endet die Geschichte aber mehr oder weniger so, wie ich sie geplant hatte, aber eben nie exakt so.

Selbst der Titel „Der Massai, der in Schweden noch eine Rechnung offen hatte“scheint eine halbe Geschichte zu erzählen. Vielleicht würde ein Buchhändle­r davon abraten. JONASSON Ich erinnere mich, dass ich gerade angefangen habe, „Der Hundertjäh­rige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“zu schreiben. Ein Freund fragte mich, worüber ich schreibe. Ich sagte es ihm. Er antwortete: „Klingt gut, aber du musst am Titel arbeiten.“Bis heute wird dieser Titel in zehn Millionen Exemplaren verkauft. Warum ein erfolgreic­hes Konzept ändern? Mein Freund entschuldi­gt sich bis heute immer wieder...

Könnten Sie sich vorstellen, auch einen Roman zu schreiben, der in Zeiten von Corona spielt? JONASSON Hmm, ich habe darüber nachgedach­t, welche Rolle Corona in der Literatur, im Film und in der Kunst in der Zukunft einnehmen wird. Wird Corona vielleicht unsere neue Normalität werden? Wenn ja, wird sich die Kunst damit auseinande­rsetzen müssen. Aber: Mein nächster Roman, an dem ich arbeite, spielt 2011. Ich Glückspilz!

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