Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Gastronomen bieten Kunden Gänsetaxi an
Das Martinsgansmenü im Restaurant fällt wegen des Lockdowns aus. Die Tiere werden trotzdem weiter gemästet, geschlachtet und eingefroren. Die Gastronomen setzen auf das Weihnachtsgeschäft.
DÜSSELDORF Vier Tonnen Gans hat Ciro Colella vom Düsseldorfer Landgasthaus Freemann im September gekauft. Für das traditionelle Martinsessen mit den traditionellen Beilagen: Knödel, Bratapfel und Rotkohl. Schon im Oktober bereute er es: Wegen der neuen Corona-beschränkungen musste Colella 900 Vorbestellungen für sein wöchentliches Gänseessen im November absagen. Dann kam der Lockdown und der Gastwirt war gezwungen, sein Geschäft vorübergehend zu schließen. Aber: „Jammern hilft ja nichts“, sagt er. Es gebe andere Lösungen: Wochenmarkt, Gänsetaxi, Abholservice, Foodtrucks.
So wie Colella geht es nun vielen Gastwirten. Sie haben für den November so viel eingekauft wie in den Jahren vor Corona, weil sie nicht damit gerechnet hatten, trotz umfassender Hygienekonzepte wieder schließen zu müssen. Wenn sie nicht auf den Gänsen sitzenbleiben wollen, müssen sie kreativ werden. Colella hat deshalb nicht nur einen Abhol- und einen Lieferservice etabliert, er verkauft seine Ware auch auf Wochenmärkten und in einem Foodtruck auf Parkplätzen in ganz Düsseldorf. Damit er seinen Kunden dieselbe Qualität wie in den vergangenen Jahren bieten kann, hat er die Gänse im frisch angerichteten Zustand vakuumiert. Nun müssen sie nur noch 15 Minuten in den Ofen, damit die Haut wieder knusprig wird.
Wie sich das Geschäft mit der Gans, die im Rheinland traditionell zu Ehren des Heiligen Martin rund um den 11. November gegessen wird, weiterentwickelt, ist noch unklar. Laut dem Zentralverband der deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) haben die Gänsezüchter bislang keinen Nachfragerückgang erlebt. Das Hauptgeschäft beginne allerdings erst in der Vorweihnachtszeit. Die Weihnachtsgans sei für das Geschäft ein noch größerer Faktor als die Martinsgans. Sollten sich die Tiere im Dezember schlechter verkaufen, werden sie weiter gemästet oder geschlachtet und direkt eingefroren, damit sie auch 2021 noch zubereitet werden können.
Der Pro-kopf-verbrauch von Gänsen in Deutschland ist ohnehin niedrig: 400 Gramm hat der Durchschnittsbürger 2019 gegessen. Zum Vergleich: Vom Hähnchen, dem beliebtesten Geflügel, verspeiste der Deutsche rund 16 Kilogramm.
Auch bei Heidrun Möller aus Hilden, die einen Geflügelhof betreibt und ihre Gänse auf dem Wochenmarkt verkauft, läuft das Geschäft bislang normal weiter – mit einer Einschränkung. „Weil sich keine größeren Gruppen mehr privat treffen dürfen, verkaufen wir weniger ganze Tiere und mehr Einzelteile.“An die Gastronomie verkauft sie nicht. Dort kommen laut Möller sowieso nur selten deutsche Gänse auf den Tisch, weil diese vielen zu teuer seien. „Das weiß der Kunde oft nicht“, sagt Möller: „Ich finde aber, man sollte auch in Restaurants sagen, wo das Fleisch herkommt.“Laut ZDG sind im vergangenen Jahr nur 16 Prozent der Gänse in Deutschland gezüchtet worden – die meisten Tiere werden aus Osteuropa, vorwiegend Polen, importiert.
Bei Astrid und Tobias Bähner, die das Restaurant „Renzis“in Duisburg betreiben, können die Kunden entscheiden, ob sie eine Gans aus Deutschland oder Polen kaufen wollen. Eine komplette deutsche Gans kostet bei ihnen mit Beilagen 165 Euro – 45 Euro mehr als die osteuropäische Variante.
Im „Renzis“läuft die Planung anders als bei Gastwirt Colella: Die Bähners kaufen das Fleisch im November und Dezember wöchentlich ein. Vor der Pandemie waren es rund 200 Kilogramm, dieses Jahr sind es lediglich 80 Kilogramm Gans pro Woche. Das Ehepaar kann so abschätzen, wie viel Fleisch es wirklich braucht und bleibt selten auf dem Einkauf sitzen.
In Corona-zeiten bewährt sich auch, was die Bähners bereits vor acht Jahren etabliert haben: das Gänsetaxi. Im Umkreis von 20 Kilometern liefern sie die heiße Gans mit den klassischen Beilagen wie Klößen, Rotkohl und Bratensoße in einer Thermobox aus. Das funktioniert kontaktlos: Die Bähners stellen die Box vor der Haustür ab und klingeln, der Kunde holt die Ware heraus und der Lieferfahrer nimmt die Transportkiste wieder mit. Und sogar die Bezahlung des Bratens funktioniert kontaktlos.
So wie die Bähners dürften es 2020 viele Gastronomen machen. Denn viele Kunden wollen auch in Corona-zeiten nicht auf ihre Martinsgans verzichten – und die so hart von der Pandemie und den Schließungen betroffenen Gastronomen auch
nicht.
„Jammern hilft ja nichts“
Ciro Colella Restaurantbesitzer