Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
20.000 Neuinfektionen – was die Zahl bedeutet
In Deutschland wurde ein neuer Höchstwert erreicht. Das ist zwar eine logische Folge des Pandemieverlaufs. Beunruhigend ist es trotzdem.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn fand am Freitag einmal mehr eindringliche Worte. „Wir brauchen eine nationale Kraftanstrengung“, sagte Spahn im Bundestag, nachdem kurz zuvor die Zahl der täglichen Corona-neuinfektionen nachweislich erstmals über die Schwelle von 20.000 gestiegen war. Also neuer Rekord.
Doch der 20.000er-wert, so bedrohlich er anmutet, ist nichts anderes als die erwartbare Folge des Infektionsgeschehens der letzten Wochen und vor allem des jüngsten Wochenendes. Mit solchen Spitzenwerten sind wir vereint in schlechter Gesellschaft, in allen Nachbarländern gibt es diese Entwicklung, sogar in Schweden, wo sich die Zahlen im Vergleich zum Frühjahr ebenfalls verdoppelt haben. Die Ämter kommen mit der Kontaktnachverfolgung kaum noch hinterher.
Auch bei uns haben viele Menschen vor dem Lockdown noch einmal Kontakt gesucht statt gemieden. So verständlich das ist: Die Rechnung wird der gesamten Gesellschaft aufgemacht. Zwar werden die allermeisten Infizierten gar nicht oder nur kaum krank, trotzdem ist die Zahl schwerer und sogar tödlicher Verläufe doch nicht so gering, wie manche geglaubt haben.
Eine neue Antikörper-studie des Tropeninstituts der Münchner Ludwig-maximilians-universität errechnet nämlich anhand der Daten eine (auf andere Städte übertragbare) Infektionssterblichkeit für München von 0,76 Prozent. Das heißt, im Schnitt sterben 76 von 10.000 Menschen, die sich mit dem Virus infiziert haben. Der Wert liege, so die Forscher, um ein Vielfaches höher als bei der saisonalen Grippe. Die geschätzte Infektionssterblichkeit für die Influenza-grippe schwankt zwischen 0,02 und 0,08 Prozent.
Experten hoffen, dass die Maßnahmen in Deutschland die Neuinfektionszahlen in der kommenden Woche sinken lassen. Zugleich wissen sie, dass die Zahl der schweren Fälle vorerst unaufhaltsam steigen wird. Sie sind das Ergebnis der vergangenen Wochen und bescheren unseren Kliniken immer stärkere logistische Probleme. Dort gibt es von Tag zu Tag deutlich weniger freie
Intensivbetten – und das bei einer von Vakanzen und innerklinischen Krankheitsfällen gebeutelten Personalsituation.
Wenn die Kapazitäten der Intensivstationen immer stärker sinken, kommen die Tage auf uns zu, dass andere schwere Fälle, die ebenfalls auf eine Intensivstation gehören, nicht mehr aufgenommen werden können. Zweifellos sterben die Menschen heute nicht mehr so leicht an Covid-19, die Ärzte haben viel gelernt im Frühjahr, und die wenigen Medikamente, die es gibt, scheinen trotzdem gut zu wirken. Dennoch muss in manchen Fällen weiterhin künstlich beatmet werden. Und wer das Glück hat, nicht an die Maschine zu müssen, der liegt trotzdem über Wochen, engmaschig überwacht, in einem Bett. Und blockiert es für andere Patienten, die es mit anderen Krankheiten ebenso dringend benötigen.
Dies alles müssen wir uns jetzt in Ruhe ansehen. Zur Beruhigung besteht allerdings nicht der geringste Anlass. Solange sich eine kleine, aber unbelehrbare Menge von Menschen nicht um Gebote und Ermahnungen schert, bleibt die Lage heikel. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sich die allermeisten Deutschen zwar klagend, aber einsichtig und vorbildlich an alle Maßnahmen halten. Jedenfalls darf, ja sollte man es jetzt schon aussprechen: Ein gemütlicher und sorgenfreier Dezember (inklusive Weihnachten) ist in weiter Ferne. Nordrhein-westfalen