Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Wie ein Befreiungsschlag
des Sieges Joe Bidens ein ironischer Abschiedsgruß an den Amtsinhaber.
Michael Wille hat es sehr höflich so formuliert: „Please concede, Mr. President!“Ins Deutsche übersetzt, heißt es, dass der Präsident seine Niederlage bitte eingestehen möge. Fragt man den 34-Jährigen, für wie wahrscheinlich er hält, dass der Mann im Weißen Haus seiner Bitte nachkommt, verzichtet er auf jegliche Höflichkeitsfloskeln. „Er wird lügen, er wird twittern, er wird Leute verklagen. Und dann wird er gehen.“Spätestens am 14. Dezember, wenn das Electoral College mit seinen 538 Wahlmännern und -frauen den nächsten Präsidenten zu benennen hat, werde er aufgeben. Glaubt Michael Wille.
Was sie von ihm halten, die Bewohner der Stadt, in der Donald Trump seit vier Jahren lebt, haben sie am Wochenende in aller Deutlichkeit klargemacht. Nachdem die Fernsehsender Biden zum Wahlsieger ausgerufen hatten, war der Verlierer gerade in seinem Golfclub in Virginia eingetroffen. Auf dem Rückweg zum Weißen Haus fuhr seine Wagenkolonne an Schaulustigen vorbei, die ihn ausbuhten und ihm den Mittelfinger zeigten. Ansonsten ließ die Stimmung an argentinische, brasilianische, französische, italienische oder auch deutsche Städte nach dem Titelgewinn bei einer Fußball-weltmeisterschaft denken. Sternenbanner wurden geschwenkt, mit Topfdeckeln Konzerte improvisiert. Kaum eine Straßenkreuzung, an der nicht Menschen standen, die Autofahrer zum Hupen aufforderten.washington, kann man sagen, war am Samstag ein einziges Hupkonzert.
Fragte man Latifah Ferguson und Samantha Sargent nach ihren Gefühlen, kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen: „Erleichterung.“Die endlosen Tage, in denen sich die Auszählung der Stimmen hinzog, hätten ihr Nervenkostüm arg strapaziert, räumte Ferguson ein, 31 Jahre alt, Afroamerikanerin, von Beruf Management-beraterin. Zwischenzeitlich habe sie auch damit gerechnet, dass Biden noch den Kürzeren ziehen könnte. Umso mehr fühle es sich nun an wie ein Befreiungsschlag. Nein, mit der Welle der Euphorie, die 2008, nach dem ersten Sieg Barack Obamas, durchs Land rollte, könne man den 7. November 2020 nicht vergleichen. „Aber vielleicht ist es die Chance, dass wieder etwas mehr Normalität einzieht.“
Sargent, 28, ebenfalls dunkelhäutig, in der Pr-branche tätig, sprach von dem Durchbruch, der sich für sie mit der Wahl von Kamala Harris
verbinde. „Als ich Kind war, war es schwer, irgendwo schwarze Barbie-puppen zu finden. Und jetzt haben wir eine schwarze Vizepräsidentin.“Hoffentlich sei dies die Ouvertüre vor dem großen Finale, der Wahl der ersten Frau ins Oval Office.
Und Trump? Wird er gehen? Mick Mulvaney, eine Zeit lang Stabschef im Weißen Haus, glaubt, dass sein einstiger Dienstherr den Tatsachen über kurz oder lang ins Auge sieht. So schnell, orakelt der einstige Adlatus, werde er das Resultat allerdings nicht akzeptieren, sondern nur nach hartem juristischen Kampf, der gleichsam mit einem K.o.-schlag ende. Dass ihn Medienvertreter, die ihn hassten, zum Verlierer stempelten, sei für Trump bedeutungslos.
Man müsse sich die Stimmzettel in Städten wie Philadelphia noch einmal genauer anschauen, schrieb der Präsident am Sonntag in einem Tweet. Philadelphia ist die größte Stadt Pennsylvanias, des Staates, in dem Biden am Samstag zum Sieger ausgerufen worden war, womit der Demokrat die entscheidende Hürde genommen hatte. „Wir glauben, diese Leute sind Diebe“, protestierte Trump und behauptete einmal mehr, dass ihm der Wahlsieg gestohlen worden sei. Die Maschinerie in den Großstädten sei durch und durch korrupt, wetterte er.