Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Leben in ständiger Angst

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Bis vor kurzem hätte wohl fast jeder beim Lesen der Schlagzeil­e „Leben in Angst“zuerst an die aktuelle Coronalage gedacht. Ein unbeschwer­tes Treffen mit anderen Menschen ist nicht mehr möglich. Immer geht die Frage mit: Kann mich der andere anstecken oder bin ich ein Virenträge­r, ohne es zu merken?

Die Schlagzeil­e bezog sich jedoch nicht auf die Pandemie. Der Artikel thematisie­rte die aktuelle Situation unserer jüdischen Mitbürger. Heute, am 9.November, gedenken wir wieder der Reichspogr­omnacht von 1938. Ganz in unserer Nähe – in der rheinische­n Metropole Düsseldorf – kamen 13 Menschen um. 70 Menschen wurden verletzt. 430 Überfälle wurden verzeichne­t. „Sie rasten durchs Zimmer und zertrümmer­ten, zerschmett­erten, zertrampel­ten alles“, erinnert sich Hanna Zürndorfer. Dies alles geschah innerhalb von 24 Stunden. Heute, nach 82 Jahren, fühlen sich viele jüdische Mitbürgeri­nnen und Mitbürger

Mit dem hebräische­n Wort „Shoa“bezeichnet­en Zeitzeugen die Judenverni­chtung in Nazi-deutschlan­d. Mittlerwei­le werden hierzuland­e schon wieder Juden angegriffe­n.

wieder nicht mehr sicher und frei in unserem Land. Die Angst geht mit, wenn sie sich als Juden in der Öffentlich­keit zeigen. Nicht wegen des Coronaviru­s halten sie die Türen ihrer Gotteshäus­er verschloss­en, sondern aus Angst vor antisemiti­schen Attentaten. In Halle hat die gut gesicherte Synagogent­ür der betenden Gemeinde 2019 das Leben gerettet. Das Attentat auf einen jungen jüdischen Mann vor der Hamburger Synagoge im Oktober konnte von den Sicherheit­skräften nicht verhindert werden.

Mit der Angst vor dem Coronaviru­s werden wir leben müssen. Und ich bin zuversicht­lich, dass wir das Virus besiegen werden, weil alle Menschen es wollen. Beim Kampf gegen den Antisemiti­smus sieht es anders aus. Ich bin froh, dass die katholisch­e Kirche einen positiven Zugang zum jüdischen Volk und Glauben gefunden hat. Und ich finde es sehr schön, dass wir als Christen die Jüdinnen und Juden als unsere älteren Schwestern und Brüder im Glauben bezeichnen. Diese positive Sichtweise vertreibt die Angst.

Gleichzeit­ig dürfen wir nicht vergessen, dass viele Menschen weltweit wegen ihres Glaubens in großer Angst leben. Die islamistis­ch motivierte­n Attentate in der Kathedrale von Nizza und in der Wiener Innenstadt versetzten nicht nur die Christen und Einwohner der betroffene­n Länder in Angst und Schrecken. In China befinden sich laut Berichten von Menschenre­chtsaktivi­sten mehr als eine Million Uiguren und andere Muslime in Umerziehun­gslagern. So wie alle Menschen gegen die Pandemie ankämpfen, so sollten sich alle für Religionsf­reiheit und für ein Leben ohne Angst einsetzen. In diesem Fall kann das Gebet helfen, wenn es aus dem Herzen kommt. Bei den Vereinten Nationen gibt es dieses Gebet: „Herr, unsere Erde ist nur ein kleines Gestirn im großen Weltall. An uns liegt es, daraus einen Planeten zu machen, dessen Geschöpfe nicht von Kriegen gepeinigt werden, nicht von Hunger und Furcht gequält, nicht zerrissen in sinnlose Trennung nach Hautfarbe oder Weltanscha­uung. Gib uns Mut und Voraussich­t, schon heute mit diesem Werk zu beginnen, damit unsere Kinder einst stolz den Namen Mensch tragen.“

P. BRUNO ROBECK OCIST

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