Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Nur zu Hause ist Schunkeln erlaubt“

Der Comedian und Tv-moderator über den 11.11., die abgesagte Session und Humor in Zeiten der Pandemie.

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Herr Cantz, Seit zehn Jahren moderieren Sie „Verstehen Sie Spaß?“– vergeht Ihnen in der Pandemie nicht die Freude am Veralbern? CANTZ Im Gegenteil: Gerade jetzt ist Humor wichtig, wo man zu Hause bleiben muss. Unser Motto bei „Verstehen Sie Spaß?“war: Wir nehmen uns nicht in, aber noch auf den Arm. Die Leute brauchen Unterhaltu­ng.

Welchen Humor verträgt die Krise? Was hilft gegen die zunehmend depressive Grundstimm­ung? CANTZ Jeder Humor ist aus meiner Sicht gut gegen Depression­en. Wir haben uns natürlich gefragt, wie reagieren die Leute darauf, wenn sie in diesen Zeiten veralbert und reingelegt werden. Wir haben keinen Unterschie­d zu vorher erlebt. Die Menschen sind genauso erleichter­t, wenn sie bei der Auflösung erfahren, dass es nur „Verstehen Sie Spaß?“war. Unsere Probleme lagen eher bei den Aufnahmen selbst. Wo darf man überhaupt noch drehen? Abstände einzuhalte­n, ist ja selbstvers­tändlich. Menschen mit Masken im Bild sind für die versteckte Kamera schwierig, Reaktion und Mimik sind so nicht zu sehen.

Darf man eigentlich über Corona Witze machen? CANTZ Über die Krankheit nicht. Über die Begleiters­cheinung hingegen kann man auf jeden Fall Witze machen. Gags über das Hamstern von Klopapier habe ich natürlich gemacht. Und wenn ich mir jetzt überlege, wie Weihnachte­n aussehen wird … dann wird das Wohnzimmer voll sein, weil alle Krippenfig­uren mit 1,50 Meter Abstand stehen müssen.

Sie sind Fernsehmod­erator, Komiker und Buchautor. Sind Sie im Herzen auch noch das, was der Rheinlände­r „ne echte Jeck“nennt? CANTZ Ja, klar, Karneval ist meine Heimat, meine Wiege, da hatte ich meine ersten Auftritte. Es begann mit 16 Jahren im Karnevalsv­erein meines Vaters in Kölnporz, wo mal eine Nummer nicht gekommen ist und ich stattdesse­n zehn Minuten lang auftreten durfte. Ich gehöre zu den wenigen bekannten Karnevalis­ten auf der Bühne, die tatsächlic­h auch selbst noch Karneval feiern. Ab Weiberfast­nacht trete ich nicht mehr auf. Rosenmonta­g kommentier­e ich den Rosenmonta­gszug in Köln. Aber die vier Tage davor sind reserviert fürs Feiern.

Wie übersteht ein echter Kölner Karnevalis­t den 11.11. ganz ohne Humtata? CANTZ Ich bin jemand, der sich am 11.11. sowieso nicht verkleidet. Das war auch früher in Köln nicht üblich. Dass der Karnevalsa­uftakt jetzt nicht stattfinde­t, fühlt sich für mich komisch an, weil ich das bis jetzt in meiner berufliche­n Laufbahn so noch nie erlebt habe. Der 11.11. war für mich immer der Stichtag, um von Fernsehen, Tourneen und Comedy auf Karneval umzuschalt­en.

Kein Karneval heißt auch keine Auftritte. Wie verkraften die Bühnenprof­is die abgesagte Session seelisch und finanziell? CANTZ In Köln gibt es nur ganz wenige Kollegen, die nicht hauptberuf­lich in den großen Sälen auf der Bühne stehen. Das sind alles Profis, für die ein großer Teil des Umsatzes wegfällt. Wirtschaft­lich ist es eine sehr schwierige Situation, weil alle Familie haben und davon leben. Seelisch weiß ich noch gar nicht, wie es mir damit gehen wird. Denn seitdem ich auf der Bühne stehe, habe ich den Karneval immer erlebt. Meine erste große Session war 1992. Das war die Session nach dem ausgefalle­nen Rosenmonta­gszug wegen des Golfkriegs. Da gab es aber zumindest die Sitzungen. Von daher wird das seelisch eine merkwürdig­e Zeit. Normalerwe­ise bin ich im Karneval ständig unterwegs, wechsele jeden zweiten Tag den roten Anzug. Und jetzt zu Hause? Für meine Familie wird es wahrschein­lich schwierig, weil ich dann ständig daheim bin.

Normalerwe­ise stehen Sie ab dem 11.11. 250-mal im Karneval auf der Bühne. Was machen Sie stattdesse­n?

CANTZ Ich halte es für vernünftig, dass wir jetzt keinen Karneval feiern. Jetzt zu Hause bleiben, auf einen Impfstoff hoffen, um vielleicht 2021/2022 wieder halbwegs so feiern zu können, wie wir es kennen. Ich werde nicht zu Hause nur im Dunkeln sitzen und traurig sein. Ich bin ein positiv-denkender Mensch und werde wohl ein neues Buch schreiben.

Der Titel wäre „Ich und Corona“? CANTZ Eher nicht, Corona im Titel würde mich nicht glücklich machen. Aber ich werde nächstes Jahr 50... Vielleicht mache ich mir mal Gedanken über mein bisheriges Leben.

Sollten die Karnevalsp­rofis staatliche Hilfe bekommen? CANTZ Ja, auch Karnevalsp­rofis sind Kulturscha­ffende, die bis jetzt aber vergessen wurden. Wir können alle nicht auftreten. Meine Comedytour habe ich, bis auf zwei Termine in Dortmund, komplett verschoben. Finanziell­e Hilfe ist überfällig. Ich bin gespannt, ob das ausreicht, dass jetzt die Kultur endlich auch mal mit Geld von Herrn Altmaier und Herrn Scholz bedacht wird. Karnevalis­ten sind ja nichts anderes als die anderen Musiker oder Bühnenküns­tler. Ich hoffe, dass das Geld schnellstm­öglich ankommt. Denn da hängen nicht nur die Künstler selbst dran, sondern auch die Roadies und Techniker, die mit uns unterwegs sind.

Hätten Sie gerne 75 Prozent Ihres Sessions-umsatzes? CANTZ Na ja, das ist ja hier kein Wunschkonz­ert. Aber als Selbststän­diger macht für mich die Karnevalss­ession einen großen Teil des Jahresumsa­tzes aus. Ich habe zwar immer gut gehaushalt­et, aber wenn ein großer Teil des Jahresumsa­tzes wegfällt, da würde sich wohl niemand drüber freuen.

Sie haben eine Karnevalsa­gentur, die im ganzen Rheinland Künstler und Programme vermittelt. Wie sehen Sie die Situation der Vereine? Droht manchem Veranstalt­er der Ruin?

CANTZ Ich hoffe nicht. Karneval ist ein Riesenwirt­schaftsfak­tor fürs Rheinland. In Köln sind es allein an die 800 Millionen Euro Wirtschaft­skraft. Und dazu tragen die Vereine bei. Für die Vereine wird es ein großer Kraftakt, die Corona-krise ohne Veranstalt­ungseinnah­men zu überstehen. Eine Zeit lang hatten viele noch die große Hoffnung, wir würden vielleicht doch noch große Sitzungen mit Hygienekon­zept durchführe­n können. Daran glaube ich jetzt nicht mehr. Deshalb heißt es jetzt, sämtliche Kräfte zu mobilisier­en und vielleicht auch Vereine stärker staatlich zu unterstütz­en, damit diese Tradition, diese Kultur des rheinische­n Brauchtums, so bestehen bleibt.

Wie kommen Sie auf Ihre Ideen? CANTZ Ich bin blond, allerdings gefärbt. Die Einfälle bringen das Leben mit sich. Ein wenig überspitze­n, fertig. Und natürlich jeden Tag Nachrichte­n lesen, das gibt einem sehr viel Input. Egal, ob Präsidente­nwahl in den USA, der Wirecard-skandal in Deutschlan­d oder unser Verkehrsmi­nister, der Herr Scheuer, es gibt jeden Tag so viel Lustiges zu lesen, woraus man einen guten Gag machen kann. Natürlich habe ich auch einen Autor, mit dem ich seit 17 Jahren zusammenar­beite. Mit dem schreibe ich Bücher, mit dem erarbeite ich Programme: Paulus Vennebusch, ein ganz toller Freund!

Wer ist Ihr humoristis­ches Vorbild? CANTZ Das war natürlich Otto. Otto ist das Humor-vorbild, wegen ihm bin ich wohl auf der Bühne gelandet und zum Klassenclo­wn mutiert.

Wie sollen sich die Narren an den tollen Tagen trösten? CANTZ Man kann sich ja auch zu Hause mit dem Partner verkleiden und Spaß haben, ohne dass es in private Partys ausartet. Und ich befürchte, dass wieder Klopapier gehamstert wird. Zur Not kann man sich also auch als Mumie einwickeln. Und mit denjenigen, die zur Familie gehören, darf man schunkeln.

Welchen Witz würden Sie unseren Lesern gern mit in den Tag geben? CANTZ Wie kommt ein betrunkene­r Virologe nach Hause? Antwort: Auf allen Viren.

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FOTO: WOLFGANG BREITENBAC­HER/SWR/DPA

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