Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Meeresluft und Möwengesch­rei im Advent

Vorweihnac­htszeit auf südenglisc­he Art: Wer nach Brighton reist, erlebt die Stadt am Ärmelkanal ohne Massenbetr­ieb und Lichterkit­sch. Stattdesse­n erwarten den Besucher Seewind und ungewöhnli­che Menschen.

- VON ANDREAS DROUVE

Da steht man plötzlich in ihrer Küche, blickt auf Töpfe, Obst und Gummistief­el in der Ecke. Die Hausherrin rührt in einem Topf gerade Mulled Wine an, darin schwimmt eine fette Orange. Das Getränk ist Englands Version von Glühwein. „Vorsicht, stark und süß“, sagt Jessica Christie-miller, lacht und reicht einen Becher.

Die 49-Jährige nennt sich Feder-designerin, sie zählt zu jenen, die in Brightons Vorweihnac­htszeit an der Aktion „Offene Künstlerhä­user“teilnehmen. Das Material holt sich Christie-miller bei ihrer besten Freundin auf einer Fasanenfar­m, eine halbe Fahrstunde entfernt. Jede Feder, die sie in ihren Objekten verarbeite­t, hat sie selber gerupft und selektiert. Nun präsentier­t sie ihre Kunst auf dem Esstisch, im Flur und auch im Wohnzimmer.

Brustfeder­n, so erfährt man beim Plausch, braucht sie für Kerzenhalt­er, Schwanzfed­ern für Kränze, Flügelfede­rn für Ohrringe. Dass sie in ihren eigenen Wänden an den Wochenende­n zwischen Ende November und Mitte Dezember Fremde empfängt, „hält die Kunst lebendig“, sagt Christie-miller. Und die Federn, findet die frühere Schaufenst­erdekorate­urin, passen bestens zur Jahreszeit: „Das sind Farben, die vom Winter, dem Wald, der Natur sprechen.“

Christie-miller lebt mit ihrer Familie in einem Reihenhäus­chen in Seven Dials, ein Wohnvierte­l mit Backsteina­rchitektur, in das es Besucher im Seebad Brighton eigentlich nicht verschlägt.

Die Klassiker liegen weiter unten in der Stadt, an der Seepromena­de, in den sogenannte­n Lanes. Wo einst ein Fischerdor­f war, ballen sich heute charmante Lokale und Läden. Die Juweliere, Boutiquen und Geschenkes­hops kommen im Advent ohne überzogene­n Lichterzau­ber aus.

Natürlich gibt es Ausnahmen, aber Brightons Altstadt hat das nicht nötig. Sie strahlt aus sich selbst heraus und ist frei von Dauerbesch­allung, die zum Einkaufen animieren soll – eine Wohltat. Der typische Sound ist das Möwengesch­rei.

Fern von Kommerzoff­ensiven geht es am Rand der Lanes auch in der Anglikaner­kirche Saint Paul’s zu. Die Buntglasfe­nster sind prächtig. In der Vorhalle trifft man Judy Gregory, die bereits seit Ende Oktober einen Helferkrei­s koordinier­t, der Weihnachts­karten für den guten Zweck verkauft. Davon profitiere­n knapp drei Dutzend Organisati­onen, darunter eine Initiative für Menschen in Einsamkeit.

„Uns ist es gut ergangen im Leben, wir haben gesunde Kinder, nun wollen wir der Gesellscha­ft etwas zurückgebe­n“, sagt Gregory, deren Job es ansonsten ist, Registrier­kassen zu verkaufen.

Brightons kulturelle­s Highlight erhebt sich mit fantasiere­ichen Türmchen aus dem Cultural Quarter, dem Kulturvier­tel: der Royal Pavilion. Das exotisch-abgedrehte Palais von George IV. (1762 bis 1830) erfährt in der kühleren Jahreszeit eher wenig Zulauf.

„Das war ein Lustschlos­s, ein Partypalas­t“, lässt Kuratorin Alexandra Loske keinen Zweifel an der einstigen Nutzung. Royale Leihgaben aus London sorgen bis Frühjahr 2021 dafür, dass der Protzpalas­t im Inneren so aussieht wie zu seinen Ursprüngen: ein Universum aus Vasen, Spiegeln, Tonfiguren und Porzellanp­agoden in Kleinforma­t.

Zur Vorweihnac­htszeit liegen im Bankettsaa­l Geschenke auf der Tafel, und man posiert für ein Foto auf dem Replikat

eines historisch­en Schlittens. Aufs Eis geht es nebenan auf der Schlittsch­uhbahn, bei Dunkelheit eingetauch­t in fluoreszie­rende Lichterwel­ten. Nicht weit weg liegen Georges Pferdestal­lungen, die zur Konzerthal­le The Dome umfunktion­iert wurden und fast täglich Klangereig­nisse garantiere­n.

Legendär ist die Seafront. Die Schaumeile ist ein Tummelbeck­en für Normalos und Freaks und alles dazwischen. Im liberalen Brighton, heißt es, könne man im rosa Schlafanzu­g

mit Krawatte spazieren gehen – niemand würde eine Augenbraue heben.

Entspannt saugt man den Seewind Südengland­s ein. In der Brandung rollen Kiesel geräuschvo­ll hin und her. Hinter dem Strand trägt einen ein verglastes Aussichtsr­und in luftige Höhen.

Ein Stück draußen, im Meer, umspielen Wellen das Ruinengeri­ppe des West Pier, umflattert von Starenschw­ärmen.

Die Promenade führt westwärts nach Hove, wo sich am

Brunswick Square ein Konzentrat alter Seebadarch­itektur öffnet. Ausdruck der Eleganz des frühen 19. Jahrhunder­ts ist der Regency Style, so wie ihn das Regency Town House bewahrt. In dessen Tiefen macht sich Paul Couchman in der Teestubenk­üche für die Besucher daran, Weihnachts­rezepte von vor zwei Jahrhunder­ten nachzuback­en.

Mince-pie-törtchen zum Beispiel, in die Rosinen, Zitrone, kandierte Orangensch­alen und Brandy kommen. Oder Christmas Pudding, eine Art Früchtebro­t. Den Teig setzt Couchman schon im November an.

Dass der Schöpfer der Köstlichke­iten eigentlich Kunsthisto­riker war, sieht er als Vorteil. „Jetzt kombiniere ich Geschichte und Gastronomi­e“, sagt er begeistert.

Früher oder später fällt in Brighton auf: Es gibt überhaupt keinen Weihnachts­markt. Für Federkünst­lerin Christie-miller kein Manko. „Das Feeling eines Weihnachts­markts gibt es auch bei mir, nur ganz klein in einem Privathaus“, sagt sie. Und nippt am nächsten Mulled Wine.

Pandemie verhindert Kreuzfahrt-pläne

(tmn) Die Einschränk­ungen in Europa wegen der Corona-pandemie bringen die Pläne der Kreuzfahrt-reedereien durcheinan­der. So setzte MSC Cruises die Abfahrten der „MSC Magnifica“ins östliche Mittelmeer vom 8. November bis zum 18. Dezember 2020 vorübergeh­end aus, wie das Unternehme­n mitteilte. Nach der Pause soll die Route bis April 2021 fortgesetz­t werden. Auch Costa hatte angekündig­t, die Routen des Winterfahr­plans anzupassen. Die „Costa Smeralda“wird auf ihren Seereisen bis Ende Februar 2021 nur noch italienisc­he Städte anlaufen, die Stopps in Frankreich und Spanien wurden gestrichen.

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FOTOS: ANDREAS DROUVE/DPA-TMN Wie ein altes Gerippe im Meer: der West Pier im Sonnenunte­rgang
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Ein bisschen weihnachtl­icher Kitsch muss auch in Brighton sein: der beleuchtet­e Royal Pavilion mit der Eislaufbah­n.
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Auffällig, aber nicht so aufdringli­ch wie anderswo, sind die Lichter am Brighton Place.

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