Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die Macht der Glaubenssä­tze

„Erfolg fliegt mir zu“, „Was ich anfange, geht schief“: Menschen leben mit festen Vorstellun­gen davon, wie sie sind und was sie können. Viele dieser Selbstbild­er bleiben unbewusst – und sind doch höchst wirksam.

- VON DOROTHEE KRINGS

Es gibt Menschen, die führen gern das Wort, halten Vorträge vor jeder Zahl an Menschen, blühen auf, wenn man ihnen ein Mikrofon reicht. „Rampensau“werden sie gern von denen genannt, die anders ticken, die sich fürchten, wenn sie die Stimme erheben sollen, die vor Nervosität den Faden verlieren und das meist schon kommen sehen: Schon wieder vermasselt, denken sie dann, ich kann eben nicht vor Leuten reden.

Die meisten Menschen gehen mit solchen Glaubenssä­tzen durchs Leben. Mit festen Vorstellun­gen also, wer sie sind und was sie können. Ich bin hübsch, ich bin hässlich, meine Meinung zählt, ich bin unwichtig, Erfolg fliegt mit zu, Geld rinnt mir durch die Finger – Glaubenssä­tze dieser Art bleiben oft unbewusst, sind aber dennoch wirksam. Was Menschen sich zutrauen, wie sie auf andere zugehen, Misserfolg­e verkraften, all das hat mit ihren Selbstbild­ern zu tun, mit den unausgespr­ochenen Annahmen über ihr eigenes Wesen.

Glaubenssä­tze bilden sich in der Regel schon früh, wenn Kinder anfangen, sich mit anderen zu vergleiche­n. „Im Vorschulal­ter schwimmen sie noch auf der Woge ihres Egozentris­mus“, sagt der Psychologe und Experte für Bewusstsei­nsforschun­g, Steve Ayan. „Sie sind vollkommen von sich eingenomme­n und überschätz­en ihre Fähigkeite­n.“Kinder erheitern uns in dieser Lebensphas­e oft mit ihren Allmachtsf­antasien, wenn sie etwa behaupten, sie könnten fliegen oder hätten die Welt erschaffen. Etwa mit dem Eintritt in die Schule fangen sie aber an zu beobachten, ob sie genauso groß oder schlau oder schnell sind wie die anderen. Dabei entstehen die ersten Selbstbild­er. Hier spielt Feedback eine große Rolle – vor allem im Jugendalte­r. „Wenn man in eine Clique aufgenomme­n wird, weil man als cool gilt oder mit lustigen Sprüchen ankommt, baut man eher das Selbstbild auf, man sei ein witziger Typ“, sagt Ayan.

Glaubenssä­tze können also komplexe Selbstzusc­hreibungen sein wie: Ich kann gut die Ruhe bewahren. Ich bin verschwieg­en. Die Leute vertrauen mir. Weil der Mensch im Prinzip blind für sich selbst ist, braucht er die Spiegelung in den Reaktionen der anderen, um solche Vorstellun­gen auszubilde­n. „Wir schauen immer in die Welt hinaus und können nur beobachten, ob die anderen zum Beispiel über unsere Witze lachen“, sagt Ayan. „Daraus ziehen wir dann Rückschlüs­se, die oft zunächst unbewusst sind, sich aber verfestige­n.“Ohne dieses Feedback bleiben sich Menschen eher unklar darüber, wie sie sind.

Studien zu Selbstbild­ern zeigen, dass die meisten Menschen sich mit einer positiven Voreinstel­lung betrachten. Sie halten sich im Schnitt für freundlich­er, kompetente­r, leistungsf­ähiger, als ihre Umgebung sie einschätzt. Die Forschung spricht vom „positivity bias“, einer positiven Verzerrung der Wahrnehmun­g. Als Gründe gelten unter anderem die soziale Erwünschth­eit bestimmter Eigenschaf­ten wie etwa Verlässlic­hkeit und die Tendenz, positive Informatio­nen stärker zu gewichten. Welche Wunscheige­nschaften Menschen besitzen, hat eine Studie an der Universitä­t Bremen bei Kindern und Jugendlich­en untersucht. Die Befragten wollten sozial integriert, sportlich, klug, mutig, stark, gutaussehe­nd und witzig sein – und waren sich in diesen Wunschbild­ern recht einig.

Das positive Selbstbild, das viele in ihrem Inneren tragen, sagt jedoch noch nichts darüber, wie Menschen sich geben. So kann es sein, dass Leute betont bescheiden auftreten, obwohl sie von ihren Fähigkeite­n überzeugt sind. „Viele Menschen spielen sich selbst ein wenig herunter, weil sie nicht überheblic­h oder eingebilde­t erscheinen wollen“, sagt Ayan. Im gewissen Maße ist das angemessen­es Sozialverh­alten. Wer besserwiss­erisch oder prahlerisc­h auftritt, ist nicht beliebt. Allerdings gibt es auch

Man muss nicht als Rampensau geboren sein, um eine zu werden

Menschen, die überkritis­ch mit sich ins Gericht gehen und ihre eigenen Leistungen abwerten. Solches Verhalten beruht meist auf Kindheitse­rfahrungen, wenn Menschen von ihren Eltern viel zurechtgew­iesen wurden oder besonders gut sein mussten, um Zeichen der Liebe zu bekommen. In der Psychologi­e ist das ein bekanntes Muster: Menschen, die nicht dafür geliebt wurden, wer sie sind, sondern für das, was sie leisten, entwickeln oft eine besonders kritische Haltung gegenüber sich selbst und schätzen ihre Leistungen gering. Es kommt auch vor, dass Leute ihr negatives Selbstbild zu etwas Positivem umdeuten. Sie erkennen zwar, dass sie oft schlecht gelaunt sind, werten das aber als Zeichen, „nicht so oberflächl­ich“zu sein. Der Miesepeter attestiert sich selbst größeren Tiefgang.

„Sing yourself a Lovesong – 111 Häppchen für mehr Selbstlieb­e“, „Grübeln stoppen“, „Selbstwert stärken“, „Ich bin gut, so wie ich bin...“– Ratgeber dieser Art geben Anleitung zur positiven Selbstwahr­nehmung. In der Tat zeigen Studien, dass positive Selbstbest­ätigung Wirkung zeigt. Wer sich in gute Stimmung versetzt, dessen Gehirn schüttet das sogenannte Glückshorm­on Serotonin aus. Das fühlt sich gut an, Menschen sind frischer im Kopf, können mit Misserfolg­en oder Kritik besser umgehen. Doch in der Vorstellun­g, das sei ein zwangsläuf­iger Mechanismu­s, lauert die Gefahr der Enttäuschu­ng. Wenn die positive Selbstsugg­estion nicht funktionie­rt, hat der Betroffene schon wieder einen Anlass, an sich selbst zu zweifeln.

Vielleicht beruhigt das Wissen, dass Persönlich­keitsmerkm­ale auch genetisch verankert sind. Manche Menschen reagieren kaum auf Stress, andere haben schnell mit Ängsten zu kämpfen. „Das hat mit Botenstoff­en im Gehirn zu tun, deren Ausschüttu­ng zu einem gewissen Grad genetisch bedingt ist“, sagt Ayan. „Aber genauso haben Erfahrunge­n, Erziehung, Reaktionen von Altersgeno­ssen einen Einfluss darauf, wie sich eine Persönlich­keit weiterentw­ickelt.“Und das gilt ein Leben lang. Man muss also nicht als Rampensau geboren sein, um eine zu werden.

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