Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Die Macht der Glaubenssätze
„Erfolg fliegt mir zu“, „Was ich anfange, geht schief“: Menschen leben mit festen Vorstellungen davon, wie sie sind und was sie können. Viele dieser Selbstbilder bleiben unbewusst – und sind doch höchst wirksam.
Es gibt Menschen, die führen gern das Wort, halten Vorträge vor jeder Zahl an Menschen, blühen auf, wenn man ihnen ein Mikrofon reicht. „Rampensau“werden sie gern von denen genannt, die anders ticken, die sich fürchten, wenn sie die Stimme erheben sollen, die vor Nervosität den Faden verlieren und das meist schon kommen sehen: Schon wieder vermasselt, denken sie dann, ich kann eben nicht vor Leuten reden.
Die meisten Menschen gehen mit solchen Glaubenssätzen durchs Leben. Mit festen Vorstellungen also, wer sie sind und was sie können. Ich bin hübsch, ich bin hässlich, meine Meinung zählt, ich bin unwichtig, Erfolg fliegt mit zu, Geld rinnt mir durch die Finger – Glaubenssätze dieser Art bleiben oft unbewusst, sind aber dennoch wirksam. Was Menschen sich zutrauen, wie sie auf andere zugehen, Misserfolge verkraften, all das hat mit ihren Selbstbildern zu tun, mit den unausgesprochenen Annahmen über ihr eigenes Wesen.
Glaubenssätze bilden sich in der Regel schon früh, wenn Kinder anfangen, sich mit anderen zu vergleichen. „Im Vorschulalter schwimmen sie noch auf der Woge ihres Egozentrismus“, sagt der Psychologe und Experte für Bewusstseinsforschung, Steve Ayan. „Sie sind vollkommen von sich eingenommen und überschätzen ihre Fähigkeiten.“Kinder erheitern uns in dieser Lebensphase oft mit ihren Allmachtsfantasien, wenn sie etwa behaupten, sie könnten fliegen oder hätten die Welt erschaffen. Etwa mit dem Eintritt in die Schule fangen sie aber an zu beobachten, ob sie genauso groß oder schlau oder schnell sind wie die anderen. Dabei entstehen die ersten Selbstbilder. Hier spielt Feedback eine große Rolle – vor allem im Jugendalter. „Wenn man in eine Clique aufgenommen wird, weil man als cool gilt oder mit lustigen Sprüchen ankommt, baut man eher das Selbstbild auf, man sei ein witziger Typ“, sagt Ayan.
Glaubenssätze können also komplexe Selbstzuschreibungen sein wie: Ich kann gut die Ruhe bewahren. Ich bin verschwiegen. Die Leute vertrauen mir. Weil der Mensch im Prinzip blind für sich selbst ist, braucht er die Spiegelung in den Reaktionen der anderen, um solche Vorstellungen auszubilden. „Wir schauen immer in die Welt hinaus und können nur beobachten, ob die anderen zum Beispiel über unsere Witze lachen“, sagt Ayan. „Daraus ziehen wir dann Rückschlüsse, die oft zunächst unbewusst sind, sich aber verfestigen.“Ohne dieses Feedback bleiben sich Menschen eher unklar darüber, wie sie sind.
Studien zu Selbstbildern zeigen, dass die meisten Menschen sich mit einer positiven Voreinstellung betrachten. Sie halten sich im Schnitt für freundlicher, kompetenter, leistungsfähiger, als ihre Umgebung sie einschätzt. Die Forschung spricht vom „positivity bias“, einer positiven Verzerrung der Wahrnehmung. Als Gründe gelten unter anderem die soziale Erwünschtheit bestimmter Eigenschaften wie etwa Verlässlichkeit und die Tendenz, positive Informationen stärker zu gewichten. Welche Wunscheigenschaften Menschen besitzen, hat eine Studie an der Universität Bremen bei Kindern und Jugendlichen untersucht. Die Befragten wollten sozial integriert, sportlich, klug, mutig, stark, gutaussehend und witzig sein – und waren sich in diesen Wunschbildern recht einig.
Das positive Selbstbild, das viele in ihrem Inneren tragen, sagt jedoch noch nichts darüber, wie Menschen sich geben. So kann es sein, dass Leute betont bescheiden auftreten, obwohl sie von ihren Fähigkeiten überzeugt sind. „Viele Menschen spielen sich selbst ein wenig herunter, weil sie nicht überheblich oder eingebildet erscheinen wollen“, sagt Ayan. Im gewissen Maße ist das angemessenes Sozialverhalten. Wer besserwisserisch oder prahlerisch auftritt, ist nicht beliebt. Allerdings gibt es auch
Man muss nicht als Rampensau geboren sein, um eine zu werden
Menschen, die überkritisch mit sich ins Gericht gehen und ihre eigenen Leistungen abwerten. Solches Verhalten beruht meist auf Kindheitserfahrungen, wenn Menschen von ihren Eltern viel zurechtgewiesen wurden oder besonders gut sein mussten, um Zeichen der Liebe zu bekommen. In der Psychologie ist das ein bekanntes Muster: Menschen, die nicht dafür geliebt wurden, wer sie sind, sondern für das, was sie leisten, entwickeln oft eine besonders kritische Haltung gegenüber sich selbst und schätzen ihre Leistungen gering. Es kommt auch vor, dass Leute ihr negatives Selbstbild zu etwas Positivem umdeuten. Sie erkennen zwar, dass sie oft schlecht gelaunt sind, werten das aber als Zeichen, „nicht so oberflächlich“zu sein. Der Miesepeter attestiert sich selbst größeren Tiefgang.
„Sing yourself a Lovesong – 111 Häppchen für mehr Selbstliebe“, „Grübeln stoppen“, „Selbstwert stärken“, „Ich bin gut, so wie ich bin...“– Ratgeber dieser Art geben Anleitung zur positiven Selbstwahrnehmung. In der Tat zeigen Studien, dass positive Selbstbestätigung Wirkung zeigt. Wer sich in gute Stimmung versetzt, dessen Gehirn schüttet das sogenannte Glückshormon Serotonin aus. Das fühlt sich gut an, Menschen sind frischer im Kopf, können mit Misserfolgen oder Kritik besser umgehen. Doch in der Vorstellung, das sei ein zwangsläufiger Mechanismus, lauert die Gefahr der Enttäuschung. Wenn die positive Selbstsuggestion nicht funktioniert, hat der Betroffene schon wieder einen Anlass, an sich selbst zu zweifeln.
Vielleicht beruhigt das Wissen, dass Persönlichkeitsmerkmale auch genetisch verankert sind. Manche Menschen reagieren kaum auf Stress, andere haben schnell mit Ängsten zu kämpfen. „Das hat mit Botenstoffen im Gehirn zu tun, deren Ausschüttung zu einem gewissen Grad genetisch bedingt ist“, sagt Ayan. „Aber genauso haben Erfahrungen, Erziehung, Reaktionen von Altersgenossen einen Einfluss darauf, wie sich eine Persönlichkeit weiterentwickelt.“Und das gilt ein Leben lang. Man muss also nicht als Rampensau geboren sein, um eine zu werden.