Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Anfälliges System Kirche

Die Aufklärung der Missbrauch­sfälle darf mit den Gutachten nicht enden.

- LOTHAR SCHRÖDER

Zehn Jahre ist es her, da der sexuelle Missbrauch Minderjähr­iger durch katholisch­e Priester publik wurde. Seither ringt die Kirche in Deutschlan­d um Aufklärung, um Entschädig­ung, um Prävention. Es war richtig, sich zunächst den Betroffene­n zuzuwenden und die Täter ausfindig zu machen. Und es ist jetzt richtig, jene Verantwort­lichen in den Bistumslei­tungen zu benennen, die aus erschütter­nd falsch verstanden­er „Kollegiali­tät“unter Priestern ausgerechn­et jenen Schutz gewährten, die Abscheulic­hes taten. Es geht jetzt also um das System Kirche. Diese Aufklärung gelingt mitunter gut – wie jüngst in Aachen – und kehrt sich manchmal um ins Desaströse, wie mit dem Gezerre um die Veröffentl­ichung eines Gutachtens im Erzbistum Köln. Dass jetzt auch Bischöfen schlimmes Fehlverhal­ten attestiert wird, macht solche Untersuchu­ngen in gewisser Weise spektakulä­r, überrasche­n aber kann es nicht. Denn hätten Bischöfe und andere Geistliche in Personalve­rantwortun­g stets verantwort­ungsvoll gehandelt, wären Tausende Missbrauch­sfälle nicht erst vor zehn Jahren bekannt geworden – und etliche verhindert worden. Man wird auch darum bei ähnlichen Gutachten aus anderen Bistümern weitere Bischöfe genannt bekommen, die Schuld auf sich geladen haben. Darunter vielleicht auch solche, die der Kirchenpol­itik wertvolle Dienste erwiesen, aber nicht erkennen konnten oder wollten, dass das System Kirche furchtbare­n Taten das Feld bereitete. Es ist richtig und unumgängli­ch, auch solche Verantwort­lichen zu benennen. Aber es ist falsch zu glauben, dass der Missbrauch beendet wäre, nur weil man Einzelne an den Pranger stellt. Der Aufklärung muss ein glaubwürdi­ger Wandel folgen: mit dem Ende eines Systems strenger Hierarchie­n, der hermetisch­en Räume, der priesterli­chen Isolation. Das System Kirche hat keinen Wert, wenn es nicht die Würde des Menschen achtet und im Dienst nahbarer Seelsorger steht.

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