Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Anfälliges System Kirche
Die Aufklärung der Missbrauchsfälle darf mit den Gutachten nicht enden.
Zehn Jahre ist es her, da der sexuelle Missbrauch Minderjähriger durch katholische Priester publik wurde. Seither ringt die Kirche in Deutschland um Aufklärung, um Entschädigung, um Prävention. Es war richtig, sich zunächst den Betroffenen zuzuwenden und die Täter ausfindig zu machen. Und es ist jetzt richtig, jene Verantwortlichen in den Bistumsleitungen zu benennen, die aus erschütternd falsch verstandener „Kollegialität“unter Priestern ausgerechnet jenen Schutz gewährten, die Abscheuliches taten. Es geht jetzt also um das System Kirche. Diese Aufklärung gelingt mitunter gut – wie jüngst in Aachen – und kehrt sich manchmal um ins Desaströse, wie mit dem Gezerre um die Veröffentlichung eines Gutachtens im Erzbistum Köln. Dass jetzt auch Bischöfen schlimmes Fehlverhalten attestiert wird, macht solche Untersuchungen in gewisser Weise spektakulär, überraschen aber kann es nicht. Denn hätten Bischöfe und andere Geistliche in Personalverantwortung stets verantwortungsvoll gehandelt, wären Tausende Missbrauchsfälle nicht erst vor zehn Jahren bekannt geworden – und etliche verhindert worden. Man wird auch darum bei ähnlichen Gutachten aus anderen Bistümern weitere Bischöfe genannt bekommen, die Schuld auf sich geladen haben. Darunter vielleicht auch solche, die der Kirchenpolitik wertvolle Dienste erwiesen, aber nicht erkennen konnten oder wollten, dass das System Kirche furchtbaren Taten das Feld bereitete. Es ist richtig und unumgänglich, auch solche Verantwortlichen zu benennen. Aber es ist falsch zu glauben, dass der Missbrauch beendet wäre, nur weil man Einzelne an den Pranger stellt. Der Aufklärung muss ein glaubwürdiger Wandel folgen: mit dem Ende eines Systems strenger Hierarchien, der hermetischen Räume, der priesterlichen Isolation. Das System Kirche hat keinen Wert, wenn es nicht die Würde des Menschen achtet und im Dienst nahbarer Seelsorger steht.