Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Für Linke bin ich rechts, für Rechte links“
Der Kabarettist sieht sich als Zweifler von Berufs wegen. Sein neuer Bildband mit Reisefotos dokumentiert die Freude am Fremdsein.
Ihr neues Buch fragt: „Wo geht’s lang?“Würde der Kabarettist nicht eher behaupten: „Da geht’s lang“?
NUHR Das ist exakt das, was ich nicht tun möchte. Meine Hauptaufgabe besteht ja darin, Fragen zu stellen, anzuzweifeln und nicht, den eigenen Standpunkt durchzusetzen. Das löst in den Köpfen viel mehr aus. Allerdings – dadurch, dass ich alles infrage stelle, bin ich halt für Linke rechts, für Rechte links und für Religiöse bin ich ungläubig. Da wird die Debatte schnell mal unsachlich.
Nervt das? Sie wirken eher, als würden Sie vieles bestenfalls kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen.
NUHR In der Tat. Ich bin ja eigentlich ein eher ruhiger Mensch und kann deshalb hysterisch aufgeladenen Diskussionen oft nur noch kopfschüttelnd zusehen. Ich selbst bin ja eigentlich eher ein leise und ruhig sprechender Mensch, muss dann aber immer wieder lesen: „Nuhr wütet wieder gegen...“oder so. Das ist gelogen. Ich wüte nie, ich spreche so, wie ich jetzt spreche, ganz sachlich.
Warum darf man nichts gegen Greta Thunberg sagen?
NUHR Das darf man ja. Und ich habe das ja auch getan. Man muss nur heute damit rechnen, dass die vermeintlichen Verteidiger des Guten das als Majestätsbeleidung begreifen. Offenbar ist das heute die normale Form der Auseinandersetzung. Alles wird hysterisiert und sofort als Angriff betrachtet. Dabei weise ich nur auf Widersprüche hin und zweifle Heilsversprechungen an. Und nichts macht Leute, die Heilsversprechungen hegen, aggressiver, als wenn man sie und ihre Haltung hinterfragt. Je größer die Sehnsucht nach Erlösung ist, desto vehementer wird derjenige bekämpft, der den Erlöser infrage stellt.
Ist das eine vergleichbare Aufregung wie jetzt um Ihre Kritik an Alice Hasters, weil sie – aus ihrer Sicht als Opfer – alte, weiße Männer zu Rassisten erklärt?
NUHR Das würde ich nicht vergleichen wollen. Zumal ich in diesem Fall selber einen Fehler gemacht habe. Ich habe in der Sendung offenbar gesagt: „Dieses Buch war in den USA ein großer Renner.“Ich hatte mich vertan. Sagen wollte ich: Solche Bücher sind gerade in den USA ein großer Renner. So was passiert in der Hektik einer Sendung leider schon mal. Jetzt wird mir Unkenntnis vorgeworfen. Dabei hatte ich gesagt: Ich habe das Buch am Flughafen gesehen. So war es auch. Dass ich es dort gleich inhaltlich gescannt hätte, hatte ich nicht behauptet. Dass der Titel Menschen eine bestimmte Denkart aufgrund ihrer Hautfarbe unterstellt, ist dann kein Thema mehr. Und darum ging es ja eigentlich.
Sind es immer nur die viel gescholtenen sozialen Medien, die zur Polarisierung beitragen?
NUHR Ich als Person biete ja im Grunde wenig Anlass zur Polarisierung. Das, was ich sage, ist keinesfalls radikal. Ich glaube sogar, dass das, was ich sage, in den meisten Fällen von einem Großteil der Bevölkerung geteilt wird. In den sozialen Medien aber sind die lautesten Schreier am besten zu hören. Es wird aus dem Zusammenhang gerissen, gelogen und verzerrt. So entsteht der Eindruck, ich wäre ständig im Fokus krawalliger Auseinandersetzungen. Es ist die Anonymität des Internets, die zur Polarisierung führt. Wir alle verhalten uns anders in Anonymität – etwa als Autofahrer, wenn wir am Steuer rumbrüllen, in einer Sprache, die eigentlich völlig inakzeptabel ist.
Ist Ihr neuer Bildband mit Fotos aus aller Welt und Texten über die Welt eine Art Bekenntnis?
NUHR Eher ein Ausdruck von Lebensfreude! Das Buch zeigt Reisefotos von mir aus den vergangenen zehn, 15 Jahren aus mehr als 60 Ländern. Da geht es nicht um ein Glaubensbekenntnis, sondern um das Staunen über die Vielfältigkeit der Welt. Im Grunde ist es ein liebevoller Blick auf die absurde Realität. Und nebenbei gibt es Erlebnisberichte. Es geht um Faszination, auch um Schönheit, um überraschende Einblicke und vielleicht ungewohnte Blickwinkel.
Reisen hinterlassen Spuren bei den Menschen. Man werde sich fremd auf Reisen, schreiben Sie …
NUHR Ich habe mich oft gefragt, warum ich so gerne reise. Dann ist mir aufgefallen, dass es die Freude am Fremdsein ist, die mich antreibt. Auf Reisen muss ich nicht alles verstehen. Wir unterliegen ja dem Zwang des ständigen Verstehenmüssens. Aber wenn man die eigene Lebenswelt verlässt, merkt man plötzlich, dass es so viele Dinge gibt, die man überhaupt nicht begreift. Selbstverständlichkeiten fallen auf Reisen plötzlich weg. Man erfährt, dass auch die eigenen Standpunkte letztlich nur kulturell bedingt sind und von anderen Menschen als absurd empfunden werden. Gucken, staunen, weitergehen finde ich einen großartigen Vorgang. Genau das ist ja auch meine Arbeit auf der Bühne: Dinge anschauen und befragen.