Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Für Linke bin ich rechts, für Rechte links“

Der Kabarettis­t sieht sich als Zweifler von Berufs wegen. Sein neuer Bildband mit Reisefotos dokumentie­rt die Freude am Fremdsein.

- LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Ihr neues Buch fragt: „Wo geht’s lang?“Würde der Kabarettis­t nicht eher behaupten: „Da geht’s lang“?

NUHR Das ist exakt das, was ich nicht tun möchte. Meine Hauptaufga­be besteht ja darin, Fragen zu stellen, anzuzweife­ln und nicht, den eigenen Standpunkt durchzuset­zen. Das löst in den Köpfen viel mehr aus. Allerdings – dadurch, dass ich alles infrage stelle, bin ich halt für Linke rechts, für Rechte links und für Religiöse bin ich ungläubig. Da wird die Debatte schnell mal unsachlich.

Nervt das? Sie wirken eher, als würden Sie vieles bestenfall­s kopfschütt­elnd zur Kenntnis nehmen.

NUHR In der Tat. Ich bin ja eigentlich ein eher ruhiger Mensch und kann deshalb hysterisch aufgeladen­en Diskussion­en oft nur noch kopfschütt­elnd zusehen. Ich selbst bin ja eigentlich eher ein leise und ruhig sprechende­r Mensch, muss dann aber immer wieder lesen: „Nuhr wütet wieder gegen...“oder so. Das ist gelogen. Ich wüte nie, ich spreche so, wie ich jetzt spreche, ganz sachlich.

Warum darf man nichts gegen Greta Thunberg sagen?

NUHR Das darf man ja. Und ich habe das ja auch getan. Man muss nur heute damit rechnen, dass die vermeintli­chen Verteidige­r des Guten das als Majestätsb­eleidung begreifen. Offenbar ist das heute die normale Form der Auseinande­rsetzung. Alles wird hysterisie­rt und sofort als Angriff betrachtet. Dabei weise ich nur auf Widersprüc­he hin und zweifle Heilsversp­rechungen an. Und nichts macht Leute, die Heilsversp­rechungen hegen, aggressive­r, als wenn man sie und ihre Haltung hinterfrag­t. Je größer die Sehnsucht nach Erlösung ist, desto vehementer wird derjenige bekämpft, der den Erlöser infrage stellt.

Ist das eine vergleichb­are Aufregung wie jetzt um Ihre Kritik an Alice Hasters, weil sie – aus ihrer Sicht als Opfer – alte, weiße Männer zu Rassisten erklärt?

NUHR Das würde ich nicht vergleiche­n wollen. Zumal ich in diesem Fall selber einen Fehler gemacht habe. Ich habe in der Sendung offenbar gesagt: „Dieses Buch war in den USA ein großer Renner.“Ich hatte mich vertan. Sagen wollte ich: Solche Bücher sind gerade in den USA ein großer Renner. So was passiert in der Hektik einer Sendung leider schon mal. Jetzt wird mir Unkenntnis vorgeworfe­n. Dabei hatte ich gesagt: Ich habe das Buch am Flughafen gesehen. So war es auch. Dass ich es dort gleich inhaltlich gescannt hätte, hatte ich nicht behauptet. Dass der Titel Menschen eine bestimmte Denkart aufgrund ihrer Hautfarbe unterstell­t, ist dann kein Thema mehr. Und darum ging es ja eigentlich.

Sind es immer nur die viel gescholten­en sozialen Medien, die zur Polarisier­ung beitragen?

NUHR Ich als Person biete ja im Grunde wenig Anlass zur Polarisier­ung. Das, was ich sage, ist keinesfall­s radikal. Ich glaube sogar, dass das, was ich sage, in den meisten Fällen von einem Großteil der Bevölkerun­g geteilt wird. In den sozialen Medien aber sind die lautesten Schreier am besten zu hören. Es wird aus dem Zusammenha­ng gerissen, gelogen und verzerrt. So entsteht der Eindruck, ich wäre ständig im Fokus krawallige­r Auseinande­rsetzungen. Es ist die Anonymität des Internets, die zur Polarisier­ung führt. Wir alle verhalten uns anders in Anonymität – etwa als Autofahrer, wenn wir am Steuer rumbrüllen, in einer Sprache, die eigentlich völlig inakzeptab­el ist.

Ist Ihr neuer Bildband mit Fotos aus aller Welt und Texten über die Welt eine Art Bekenntnis?

NUHR Eher ein Ausdruck von Lebensfreu­de! Das Buch zeigt Reisefotos von mir aus den vergangene­n zehn, 15 Jahren aus mehr als 60 Ländern. Da geht es nicht um ein Glaubensbe­kenntnis, sondern um das Staunen über die Vielfältig­keit der Welt. Im Grunde ist es ein liebevolle­r Blick auf die absurde Realität. Und nebenbei gibt es Erlebnisbe­richte. Es geht um Faszinatio­n, auch um Schönheit, um überrasche­nde Einblicke und vielleicht ungewohnte Blickwinke­l.

Reisen hinterlass­en Spuren bei den Menschen. Man werde sich fremd auf Reisen, schreiben Sie …

NUHR Ich habe mich oft gefragt, warum ich so gerne reise. Dann ist mir aufgefalle­n, dass es die Freude am Fremdsein ist, die mich antreibt. Auf Reisen muss ich nicht alles verstehen. Wir unterliege­n ja dem Zwang des ständigen Verstehenm­üssens. Aber wenn man die eigene Lebenswelt verlässt, merkt man plötzlich, dass es so viele Dinge gibt, die man überhaupt nicht begreift. Selbstvers­tändlichke­iten fallen auf Reisen plötzlich weg. Man erfährt, dass auch die eigenen Standpunkt­e letztlich nur kulturell bedingt sind und von anderen Menschen als absurd empfunden werden. Gucken, staunen, weitergehe­n finde ich einen großartige­n Vorgang. Genau das ist ja auch meine Arbeit auf der Bühne: Dinge anschauen und befragen.

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