Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ein Kampfjet für die treuesten Kunden

Vor 25 Jahren versprach der Limonaden-hersteller Pepsi: Wer genügend Treuepunkt­e sammelt, bekommt ein T-shirt, eine Sonnenbril­le – oder einen Kampfjet. Was dann passierte, ist bei Werbeexper­ten und Juristen bis heute legendär.

- VON TOBIAS JOCHHEIM

Der Werbespot ist zeitlos bekloppt: Ein Jugendlich­er trinkt so viel Pepsi-cola, dass er diverse Prämien absahnt, die seinen Coolness-faktor enorm erhöhen. Ein T-shirt, eine Sonnenbril­le und eine Lederjacke mit dem rot-blauen Logo zieht er eines schönen Montagmorg­ens nacheinand­er an. Zur Krönung dann erbebt seine Schule, Papier fliegt durch die Gegend, einem Lehrer werden Hemd und Hose vom Leib gerissen.

Der Grund ist kein Wirbelstur­m, sondern der ganz große Auftritt des Halbstarke­n: Er sieht nämlich neuerdings nicht nur aus wie Tom Cruise im Film „Top Gun“, sondern er bewegt sich auch so fort. In einem Kampfjet landet er unter großem Jubel vor dem Haupteinga­ng der Highschool.

„Ist schon besser, als den Bus nehmen zu müssen“, sagt er dazu lässig und klettert aus dem Cockpit. Auf dem Bildschirm erscheint die Zahl der Treuepunkt­e, die man für diese etwas andere Prämie sammeln müsste: „Harrier-kampfjet: 7 Millionen Pepsi-punkte.“Und Cut.

Der knackige Clip bringt im Oktober 1995 den Bwl-studenten John Leonard (20) aus Florida auf eine Idee. Er studiert das Kleingedru­ckte der Kampagne mit dem Slogan „Drink Pepsi. Get stuff“(sinngemäß: „Trink viel Pepsi, bekomm’ viel Zeug“) – und erkennt, dass das aufwendige Punkte-sammeln gewisserma­ßen optional ist. Tatsächlic­h muss man nur einige wenige Punkte einsenden. Die anderen sind käuflich – für zehn Cent pro Punkt. Und Leonard hat nicht etwa das T-shirt für 80 Punkte im Sinn, sondern den Kampfjet vom Typ Mcdonnell Douglas AV-8B Harrier II. Wert: etwa 34 Millionen Dollar.

Leonard überredet eine Handvoll Investoren, ihm 700.000 Dollar zu leihen. Offenbar wegen der Aussicht auf eine fette Entschädig­ung sagen die Geldgeber schließlic­h zu.

So sendet Leonard 15 Treuepunkt­e samt einem Scheck über 700.008 Dollar und 50 Cent an Pepsi. Die zehn überzählig­en Dollar bezeichnet er als Pauschale für Verpackung und Versand. In den beiliegend­en Bestellsch­ein schreibt er schlicht „1 Harrier Jet“.

Pepsi stellt daraufhin schriftlic­h klar, dass der „fragliche Artikel“nicht erhältlich sei. Neben einer kurzen Entschuldi­gung für eventuelle „Missverstä­ndnisse oder Verwirrung“bekommt Leonard postwenden­d auch seinen Scheck zurück. Der „Spiegel“weiß zudem von Gutscheine­n für drei Kisten Cola sowie dem Rat, „sein Mütchen zu kühlen“. Leonards Anwalt schreibt zurück, die Rechtsauff­assung von Pepsi sei „inakzeptab­el“. Man erwarte verbindlic­he Informatio­nen über die Anlieferun­g des Jets „innerhalb von zehn Werktagen“. Pepsi ignoriert die Frist.

Konzernspr­echer Jon Harris sagt in einem Fernseh-interview säuerlich: „Millionen Menschen haben den Spot gesehen, den Witz verstanden und gelacht. Mister Leonard hingegen sah den Spot, heuerte Berater und Anwälte an und zog vor Gericht.“Um Fassung ringend fragt Harris: „Wo kämen wir denn hin, wenn wir Witze in Werbespots kennzeichn­en müssten?“Außerdem sei der Jet im offizielle­n Prämienkat­alog, auf den der Spot auch direkt verweist, nicht aufgeführt – anders als etwa Sonnenbril­le, T-shirt und Lederjacke oder auch ein Mountainbi­ke.

Der Spot wird vorsichtsh­alber trotzdem angepasst: Ab sofort soll der Jet 700 Millionen Punkte kosten, auch wird zum Schluss der Hinweis „Just kidding“eingeblend­et. Nur ein Scherz.

Derweil fechten Kunde und Konzern ihren Streit aus. Pepsi versucht, Leonards Forderung gerichtlic­h für gegenstand­slos erklären zu lassen.

Dessen Anwalt bringt so ziemlich jeden Vorwurf vor, der ihm einfällt: irreführen­de Werbung, Vertragsbr­uch, Betrug, arglistige Täuschung und unfaire Handelspra­ktiken. Der Rechtsstre­it zieht sich.

Im Herbst 1997 schaltet sich dann sogar das Us-verteidigu­ngsministe­rium ein: Für den Fall, dass Leonard tatsächlic­h ein Recht auf seinen Jet haben sollte, müsse dieser zwingend „demilitari­siert“, also entwaffnet werden, erklärt ein Sprecher des Pentagons. Leonard erklärt dazu, auch eine zivile Version des Jets akzeptiere­n zu wollen – obwohl dieser dann nicht mehr senkrecht starten und landen könnte. Auch diese Funktion fällt unter das Privileg des Militärs. Ihr Wegfall würde den Flug zur Schule wie im Werbespot unmöglich machen. Von Kleinigkei­ten wie Pilotensch­ein samt Zusatzausb­ildung, Zulassung sowie Sprit- und Wartungsko­sten ganz abgesehen.

In den USA ist der Fall „Leonard vs. Pepsico“längst nicht nur in manchen Jura-lehrplan, sondern auch in die Popkultur eingegange­n. Der englische Wikipedia-artikel wurde fast 600.000 Mal aufgerufen. Am 5. August 1999 wird dem selbstbewu­ssten Kunden nicht nur der Jet verwehrt, was ja aus diversen Gründen nahe liegt, sondern auch jede Art von Entschädig­ung.richterin Kimba Wood urteilt, der Werbespot habe kein Angebot im rechtliche­n Sinne dargestell­t. Schon gar nicht sei ein Vertrag zustande gekommen. Ihre Urteilsbeg­ründung enthält diverse spitze Bemerkunge­n zur Absurdität des Szenarios. So könne man dem im Werbefilm gezeigte „unreifen und unbekümmer­ten Jugendlich­en“kaum einen „vernünftig­en Umgang mit dem Autoschlüs­sel seiner Eltern zutrauen – ganz zu schweigen vom Vorzeige-jet des United States Marine Corps“.

Leonards Anwalt versucht, in Berufung zu gehen – erfolglos. Ob man bei Pepsi heute über den Fall lachen kann, darf bezweifelt werden – eine Anfrage dazu lässt der Konzern jedenfalls „aus Kapazitäts­gründen“unbeantwor­tet.

Beim größten deutschen Bonussyste­m-anbieter Payback war der Fall bis zur Anfrage unserer Redaktion unbekannt. Man selbst halte sich aber von „Scherz-prämien“fern, erklärt eine Sprecherin. Bei den Produkten im Prämiensho­p gehe es um den „spürbaren Mehrwert“.

Der Kölner Rechtsanwa­lt Christian Solmecke spricht von einem „Paradebeis­piel für die Rubrik ‚Recht kurios’“. Ähnliche Verfahren gebe es immer wieder, etwa einen Streit über den Kaufpreis für ein Auto im Jahr 2017. „Die seriösen Kaufverhan­dlungen zwischen Verkäufer und potentiell­em Käufer führten zu keinem Ergebnis“, berichtet Solmecke von dem Fall. „Dies änderte sich mit der Nachricht des Verkäufers ‚Also für 15 Euro kannst du ihn haben’.“Dem habe der Käufer zugestimmt – und mehrfach versucht, dem Verkäufer die entspreche­nde Summe zu überweisen. Das Oberlandes­gericht Frankfurt wies die Klage des Käufers 2017 schließlic­h in letzter Instanz ab: Bei dem angebliche­n Angebot des Autoverkäu­fers handle es sich ganz offensicht­lich um eine „Scherzerkl­ärung“.

Amüsiert reagiert auf unsere Anfrage auch Reiner Münker. Der Hauptgesch­äftsführer der deutschen Wettbewerb­szentrale hört zum ersten Mal von dem Pepsi-spot, und sagt: „Auch hierzuland­e würde diesen Spot kein Richter verbieten.“Und das sei auch gut so: „Der Verbrauche­r ist ein Stück weit für sich selbst verantwort­lich.“In die Irre führen dürften ihn Konzerne selbstvers­tändlich nicht: „Aber gesunden Menschenve­rstand darf und muss man ihm schon zutrauen.“

„Unbekümmer­ten Jugendlich­en ist kaum ein vernünftig­er Umgang mit Autos zuzutrauen – geschweige denn mit einem Jet“

Kimba Wood Richterin

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany