Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Eine Uni liest ein Buch
Bei der Aktion „Eine Uni – ein Buch“sollen Studenten, Lehrende und Mitarbeiter einer Hochschule miteinander ins Gespräch kommen. Das verbindende Element ist Literatur zum Anfassen.
Der Doktorand redet mit dem Erstsemester, der Verwaltungsmitarbeiter mit dem Klinikchef, die Historikerin mit dem Maschinenbauer, die Muslima mit dem Christen, der Flüchtling mit den Campus-anwohnern, die Sächsin mit dem Franken, die Professorin mit dem Sekretär, die It-spezialistin mit dem Bibliotheksmitarbeiter. Kurz: Möglichst viele Mitglieder einer Universität tauschen sich über ein gemeinsames Thema oder Anliegen aus. Das ist die
Idee hinter der Aktion „Eine Uni – ein Buch“, die der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und die Klaus-tschira-stiftung vor fünf Jahren erstmals ins Leben gerufen haben.
Alle deutschen Hochschulen sind nun wieder aufgerufen, sich mit Büchern und guten Ideen zu bewerben – die besten zehn werden mit je 10.000 Euro gefördert. Es kann ein Buch über die Religion sein, eine Abhandlung über Armut und Reichtum, ein klassischer Roman aus dem In- oder Ausland, ein zeitgenössisches Drama oder die beste Dissertation, die an der Hochschule ausgezeichnet worden ist. „In der Wissenschaft sehen wir zunehmend Tendenzen der Spezialisierung, des Fachdiskurses. Wir möchten mit der Aktion den Gedanken der ,universitas’ stärken, der Gesamtheit des Wissens, den Dialog zwischen den Disziplinen“, sagt Volker Meyer-guckel, stellvertretender Generalsekretär des Stifterverbandes: „Es sind alle aufgefordert, ein Buch zu lesen und darüber miteinander zu sprechen. Vielleicht sogar nicht nur an der ganzen Hochschule, sondern in der gesamten Stadt oder Region.“
Die Art und Weise der Auseinandersetzung mit dem Buch kann von der Hochschule selbst festgelegt werden: Man kann Lesekreise organisieren oder Debattierclubs, Slams oder moderierte Diskussionsgruppen. Man kann zu einer Ringvorlesung einladen, zu einer Diskussion mit dem Autor. Man kann das Buch in Seminare integrieren und es können szenische Inszenierungen organisiert werden. „In dieser Bewerbungsrunde ist sicherlich die aktuelle Situation eine große Herausforderung. Man muss bedenken, wie man solche Formate in Zeiten der Pandemie realisieren kann. Denkbar sind Blogs, Online-foren oder gemeinsame Filme, zu denen jeder einen Schnipsel beisteuert. Oder die ganze Uni schreibt gemeinsam ein Buch zum Buch“, sagt Meyer-guckel. Grundsätzlich gilt: Je origineller die Formate und je umfangreicher die Beteiligung möglichst unterschiedlicher Menschen und Gruppen an der Hochschule, desto besser.
Meyer-guckel hat in den Vorjahren übrigens beobachtet, dass die Hochschulen sich gern mit aktuellen gesellschaftlichen Themen beschäftigen – und rechnet deshalb in dieser Ausschreibungsrunde fest mit Bewerbungen rund um die Pandemie, die sich beispielsweise mit Büchern zu Freiheitsrechten oder Demokratie auseinandersetzen: „Das Format bietet in der aktuellen Zeit außerdem die Chance, Erstsemester und internationale Studierende, die es derzeit schwer haben, an den Hochschulen richtig anzukommen, einzubinden und in einen akademischen Austausch zu bringen.“
Wie breit das Themenspektrum der Bücher ist, mit denen sich die Hochschulen beschäftigen, zeigt ein Blick in die vergangenen Ausschreibungsrunden. So hatte sich die Fachhochschule Aachen das Buch „Blackout“von Marc Elsberg vorgenommen und einen Hackerangriff auf die eigene Hochschule simuliert, um die Auswirkungen zu untersuchen. Die Freie Universität Berlin wählte im vergangenen Jahr den „Knigge“mit dem Ziel, ausgehend von Knigges Ansichten aus dem Jahr 1788 zu ergründen, was in unterschiedlichen historischen und kulturellen Kontexten als ein guter Umgang miteinander gesehen wurde. „Die Rheinisch-westfälische Technische Hochschule Aachen hat gemeinsam „Asterix“gelesen und beispielsweise untersucht, welche mechanischen und physikalischen Gesetze sehr kreativ ausgelegt werden, wenn Obelix Römer verprügelt, und welche technischen Beschleunigungswerte erreicht werden müssten, um jemanden aus den Sandalen zu hauen“, so Meyer-guckel.
In diesem Jahr wurde die Uni Münster für ihre Ideen rund um das Buch „Der Mensch im Tier“des Verhaltensbiologen Norbert Sachser ausgezeichnet. Seine zentrale These: Tiere haben eine Persönlichkeit. Sie denken, fühlen, handeln, sind ängstlich oder mutig, lernen, lügen und leiden. In Zeiten, in denen Diskussionen um das Tierwohl in Bezug auf Schlachtund
Mastbetriebe immer wieder aufflammen, ein brandaktuelles Thema. Die Uni verfolgt dabei zwei primäre Ziele: die Sensibilisierung der Universitäts-angehörigen und der interessierten Stadt-gemeinschaft für die von Sachser beschriebene „Revolution im Tierbild“sowie den Eintritt in einen breiten öffentlichen Diskurs darüber, welche Implikationen dieser Wandel für das Selbstverständnis des Menschen und für den Umgang mit Tieren in unserer Gesellschaft hat.
Ebenfalls hochaktuell ist das Buch, mit dem sich die Uni Bremen in diesem Jahr beschäftigt: „Die Pest“von Albert Camus. Darin stellt sich der Autor die Frage, was Solidarität, Freundschaft und Menschenliebe bedeuten können in einer Zeit, in der die Menschen mit einem großen Übel umgehen müssen. Die Uni Bremen geht den Fragen nach, was genau unter Solidarität zu verstehen ist, ob sich die solidarische Stadt wissenschaftlich planen lässt, und was solidarisches Wirtschaften in der Gegenwart bedeutet.