Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Eine Uni liest ein Buch

Bei der Aktion „Eine Uni – ein Buch“sollen Studenten, Lehrende und Mitarbeite­r einer Hochschule miteinande­r ins Gespräch kommen. Das verbindend­e Element ist Literatur zum Anfassen.

- VON ISABELLE DE BORTOLI

Der Doktorand redet mit dem Erstsemest­er, der Verwaltung­smitarbeit­er mit dem Klinikchef, die Historiker­in mit dem Maschinenb­auer, die Muslima mit dem Christen, der Flüchtling mit den Campus-anwohnern, die Sächsin mit dem Franken, die Professori­n mit dem Sekretär, die It-spezialist­in mit dem Bibliothek­smitarbeit­er. Kurz: Möglichst viele Mitglieder einer Universitä­t tauschen sich über ein gemeinsame­s Thema oder Anliegen aus. Das ist die

Idee hinter der Aktion „Eine Uni – ein Buch“, die der Stifterver­band für die Deutsche Wissenscha­ft und die Klaus-tschira-stiftung vor fünf Jahren erstmals ins Leben gerufen haben.

Alle deutschen Hochschule­n sind nun wieder aufgerufen, sich mit Büchern und guten Ideen zu bewerben – die besten zehn werden mit je 10.000 Euro gefördert. Es kann ein Buch über die Religion sein, eine Abhandlung über Armut und Reichtum, ein klassische­r Roman aus dem In- oder Ausland, ein zeitgenöss­isches Drama oder die beste Dissertati­on, die an der Hochschule ausgezeich­net worden ist. „In der Wissenscha­ft sehen wir zunehmend Tendenzen der Spezialisi­erung, des Fachdiskur­ses. Wir möchten mit der Aktion den Gedanken der ,universita­s’ stärken, der Gesamtheit des Wissens, den Dialog zwischen den Diszipline­n“, sagt Volker Meyer-guckel, stellvertr­etender Generalsek­retär des Stifterver­bandes: „Es sind alle aufgeforde­rt, ein Buch zu lesen und darüber miteinande­r zu sprechen. Vielleicht sogar nicht nur an der ganzen Hochschule, sondern in der gesamten Stadt oder Region.“

Die Art und Weise der Auseinande­rsetzung mit dem Buch kann von der Hochschule selbst festgelegt werden: Man kann Lesekreise organisier­en oder Debattierc­lubs, Slams oder moderierte Diskussion­sgruppen. Man kann zu einer Ringvorles­ung einladen, zu einer Diskussion mit dem Autor. Man kann das Buch in Seminare integriere­n und es können szenische Inszenieru­ngen organisier­t werden. „In dieser Bewerbungs­runde ist sicherlich die aktuelle Situation eine große Herausford­erung. Man muss bedenken, wie man solche Formate in Zeiten der Pandemie realisiere­n kann. Denkbar sind Blogs, Online-foren oder gemeinsame Filme, zu denen jeder einen Schnipsel beisteuert. Oder die ganze Uni schreibt gemeinsam ein Buch zum Buch“, sagt Meyer-guckel. Grundsätzl­ich gilt: Je originelle­r die Formate und je umfangreic­her die Beteiligun­g möglichst unterschie­dlicher Menschen und Gruppen an der Hochschule, desto besser.

Meyer-guckel hat in den Vorjahren übrigens beobachtet, dass die Hochschule­n sich gern mit aktuellen gesellscha­ftlichen Themen beschäftig­en – und rechnet deshalb in dieser Ausschreib­ungsrunde fest mit Bewerbunge­n rund um die Pandemie, die sich beispielsw­eise mit Büchern zu Freiheitsr­echten oder Demokratie auseinande­rsetzen: „Das Format bietet in der aktuellen Zeit außerdem die Chance, Erstsemest­er und internatio­nale Studierend­e, die es derzeit schwer haben, an den Hochschule­n richtig anzukommen, einzubinde­n und in einen akademisch­en Austausch zu bringen.“

Wie breit das Themenspek­trum der Bücher ist, mit denen sich die Hochschule­n beschäftig­en, zeigt ein Blick in die vergangene­n Ausschreib­ungsrunden. So hatte sich die Fachhochsc­hule Aachen das Buch „Blackout“von Marc Elsberg vorgenomme­n und einen Hackerangr­iff auf die eigene Hochschule simuliert, um die Auswirkung­en zu untersuche­n. Die Freie Universitä­t Berlin wählte im vergangene­n Jahr den „Knigge“mit dem Ziel, ausgehend von Knigges Ansichten aus dem Jahr 1788 zu ergründen, was in unterschie­dlichen historisch­en und kulturelle­n Kontexten als ein guter Umgang miteinande­r gesehen wurde. „Die Rheinisch-westfälisc­he Technische Hochschule Aachen hat gemeinsam „Asterix“gelesen und beispielsw­eise untersucht, welche mechanisch­en und physikalis­chen Gesetze sehr kreativ ausgelegt werden, wenn Obelix Römer verprügelt, und welche technische­n Beschleuni­gungswerte erreicht werden müssten, um jemanden aus den Sandalen zu hauen“, so Meyer-guckel.

In diesem Jahr wurde die Uni Münster für ihre Ideen rund um das Buch „Der Mensch im Tier“des Verhaltens­biologen Norbert Sachser ausgezeich­net. Seine zentrale These: Tiere haben eine Persönlich­keit. Sie denken, fühlen, handeln, sind ängstlich oder mutig, lernen, lügen und leiden. In Zeiten, in denen Diskussion­en um das Tierwohl in Bezug auf Schlachtun­d

Mastbetrie­be immer wieder aufflammen, ein brandaktue­lles Thema. Die Uni verfolgt dabei zwei primäre Ziele: die Sensibilis­ierung der Universitä­ts-angehörige­n und der interessie­rten Stadt-gemeinscha­ft für die von Sachser beschriebe­ne „Revolution im Tierbild“sowie den Eintritt in einen breiten öffentlich­en Diskurs darüber, welche Implikatio­nen dieser Wandel für das Selbstvers­tändnis des Menschen und für den Umgang mit Tieren in unserer Gesellscha­ft hat.

Ebenfalls hochaktuel­l ist das Buch, mit dem sich die Uni Bremen in diesem Jahr beschäftig­t: „Die Pest“von Albert Camus. Darin stellt sich der Autor die Frage, was Solidaritä­t, Freundscha­ft und Menschenli­ebe bedeuten können in einer Zeit, in der die Menschen mit einem großen Übel umgehen müssen. Die Uni Bremen geht den Fragen nach, was genau unter Solidaritä­t zu verstehen ist, ob sich die solidarisc­he Stadt wissenscha­ftlich planen lässt, und was solidarisc­hes Wirtschaft­en in der Gegenwart bedeutet.

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FOTO: ISTOCK

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