Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Demo auf dem tristen Campus

Joshua Poschinski war nach monatelang­er Wartezeit endlich wieder auf dem Campus unterwegs. Doch was er dort vorfand, hatte nichts mehr mit seinem alten Studentenl­eben zu tun.

- Joshua Poschinski

Vor ein paar Wochen lief ich zum ersten Mal wieder über den Campus. Seit Februar. Acht Monate. Über ein halbes Jahr lang hatte ich keine physischen Berührungs­punkte mit meiner Universitä­t. Und konnte dieses enorme Verlangen – wenn es mich denn zu sehr einschränk­te – nur mit jenen Bildern füllen, die mir eine nicht erwähnensw­erte Suchmaschi­ne vorschlug, wenn ich den Hochschuln­amen im Suchfeld eingab. Und nein, ich meine damit nicht Google.

Ich stapfte dann erst mal durch die still gebliebene­n Flure der Universitä­tsbiblioth­ek, bis ich später wieder draußen landete. Wo ich aufgrund der geschlosse­nen Mensa und Cafeterias meinen Magen mit Zigaretten­qualm füllen musste. Nicht einmal ein Bier konnte ich auf dem Campus kaufen.

Wie sollte ich dem Klischee eines ordentlich­en Studenten so denn gerecht werden? Was blieb mir also anderes übrig: Die Universitä­t war schuld. Nicht nur für die Einschränk­ungen auf dem Campusgelä­nde, eigentlich auch für alles sonst. Für meine Unzufriede­nheit, die gewonnenen fünf Kilo auf den Rippen und meine chronische­n Rückenschm­erzen.

Vor allem auch, dass ich den Großteil der vergangene­n Monate in den eigenen vier Wänden verbringen musste. Wen sollte ich sonst verantwort­lich machen? Meine Hochschule war schließlic­h die höchste Institutio­n, und außerdem tut es wahnsinnig gut, einem Sündenbock alles in die Schuhe schieben zu können. Und sowieso: Dass die Bibliothek nun derart ruhig war, konnte ich kaum fassen. Sie war bis Anfang des Jahres ein so belebter, ausschweif­ender Ort gewesen.

Nun aber war die Atmosphäre geradezu trist, beinahe konzentrie­rt. Das war gar nicht mehr das, was ich als Student an Unterhaltu­ng erwartete. Ich dachte an meine Studiengeb­ühren, die hier verschleud­ert werden. Also nahm ich mir einen Marker. Riss ein altes Wahlplakat von einer Laterne, das wohl vergessen wurde. Und befestigte es mit Klebeband an einem abgebroche­nen Besenstil.

Zum Glück gab es da noch den Uni-kiosk, da bekam ich dann auch ein Bier (oder fünf ) und das Klebeband. Besser hätte ich die blanke Rückseite vorher beschrifte­t – nun machte mir die Wölbung des Besens Probleme. Das „Die Rektorin ist ein Echsenmens­ch und trinkt Kinderblut“war dann zwar nicht klar, aber gut genug zu erkennen. Also stellte ich mich vor die Bibliothek und demonstrie­rte. Bis mir die Alufolie aus der Kopfhaut wuchs und sich zu einer dichten Schale erhärtete, der als Schutz fungiert.

Wochen später stehen wir zwar mit fünf, sechs Leuten da. Aber mehr werden es nicht. „Wacht auf!“, rufe ich gegen die Scheiben der Bibliothek. Aber nichts kommt zurück. Außer dem hin und wieder auftauchen­den „Spinner“, aber das zählte gegen Anfang schon nicht. Doch warum werden wir nicht mehr? Ich bin mir sicher, es müssen die anderen schuld sein.

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FOTO: POSCHINSKI Joshua Poschinski studiert Germanisti­k und Politikwis­senschafte­n in Düsseldorf an der Heinrich-heine-universitä­t.

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