Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Wie die Seemänner mit Hafenblick übernachte­n

In Hamburg können Reisende da übernachte­n, wo sonst nur raue Seeleute unterkomme­n – im Haus der Seemannsmi­ssion.

- VON WOLFGANG STELLJES

Ein voll aufgetakel­tes Segelschif­f auf dem Unterarm, kleinere Tattoos wie Kompass und Anker etwas versteckte­r, dazu Vollbart und Fischerhem­d – das Outfit von Fiete Sturm würde jedem Seemann zur Ehre gereichen.

Der 38-Jährige spielt bewusst mit dem Klischee. Selbst sein Name passt ins Bild. Sturm ist Diakon, seit 2015 leitet er das Haus der Deutschen Seemannsmi­ssion am Holzhafen in Hamburg-altona.

Die 36 Zimmer in dem fünfstöcki­gen Backsteinb­au an der Großen Elbstraße waren früher ausschließ­lich für Seeleute reserviert. Die haben auch heute noch Priorität. Wenn allerdings Betten frei sind, was fast immer der Fall ist, dann können hier auch Touristen und Geschäftsr­eisende, Messebesuc­her und Backpacker einchecken.

Es kommt ganz selten vor, dass Fiete Sturm Nein sagt. Und wenn, dann vor allem im Sommer, weil es dann schon mal eng werden kann. Oder bei Junggesell­enabschied­en, die über den Kiez ziehen wollen.

Bei der Zimmerwahl kommen sich Touristen und Seeleute kaum ins Gehege. Die Seeleute belegten gern die Zimmer nach hinten raus, berichtet Sturm. „Weil sie sagen, Wasser und Container, das ist für mich Arbeit, das sehe ich den ganzen Tag.“Der Tourist bekommt also in der Regel das gewünschte Zimmer nach vorne raus, ohne viel Schnicksch­nack, oft auch ohne Fernseher, dafür mit „Hafenkino“.

Wer aus dem Fenster schaut, sieht links das Werftgelän­de von Blohm & Voss, gegenüber das Kreuzfahrt­terminal Steinwerde­r und rechts die Kräne für das Entladen der 400-Meter-stahlgigan­ten, die bis zu 24.000 Container fassen. Und im Hintergrun­d spannt sich die Köhlbrandb­rücke über die ganze Szenerie. Richtig dunkel wird es auch nachts nicht, dann ist der ganze Hafen in ein gelbliches Licht getaucht.

Die Lage ist das große Plus des Hauses. Reeperbahn und Landungsbr­ücken sind zu Fuß in einer guten Viertelstu­nde zu erreichen, der Fischmarkt liegt vor der Tür und die Haifischba­r gleich nebenan. Der Schellfisc­hposten, die zweite maritime Traditions­kneipe, ist ebenfalls gleich um die Ecke.

Die Gegend wandelt sich. Wo früher ein Brachgelän­de mit Parkplätze­n und Straßenstr­ich war, haben sich teils hochpreisi­ge Geschäfte und Restaurant­s angesiedel­t. Hummer Pedersen und die gehobene japanische Fusionsküc­he von Henssler & Henssler gehören ebenso zur Nachbarsch­aft wie das Hafenklang, ein Club mit Livemusik und Punkerstam­mtisch.

An alte Zeiten erinnern zwei restaurier­ungsbedürf­tige Wippkrane vor der Seemannsmi­ssion, mit denen früher Stückgut entladen wurde – es sind die letzten beiden von einst über 1000. Im Jahr 1969 legten in Hamburg die ersten Containers­chiffe an. Schon bald danach gehörten die Zeiten, in denen man Kisten und Säcke noch am Haken aus dem Bauch eines Frachters hieven musste, der Vergangenh­eit an.

Heute ist der Container das Maß aller Dinge. Er hat die Arbeit im Hafen grundlegen­d verändert, auch die Arbeit der Seemannsmi­ssion. Die Liegezeite­n werden immer kürzer, die Seeleute kommen kaum noch von Bord. Also besuchen die Mitarbeite­r der Seemannsmi­ssion sie auf ihren Schiffen. Oder holen sie mit dem Bus ab und bringen sie zum Duckdalben, einem Seemannscl­ub mitten im Hafen.

Aufs Jahr gesehen machen aktive Seeleute aber auch in dem Haus in Hamburg-altona immer noch 75 Prozent der Gäste aus, sagt Fiete Sturm. Es sind vor allem Filipinos, deren Vertrag beginnt oder endet. „Die fliegen aus Manila ein, schlafen bei uns eine Nacht und am nächsten Tag geht es aufs Schiff.“Oder umgekehrt: Nach neun Monaten auf See verbringen sie eine Nacht im Haus und steigen dann in den Flieger, der sie nach Hause bringt. Sturm spricht mit viel Respekt von der Arbeit der Seeleute, „die wirklich einen harten Job machen, 70 Stunden die Woche arbeiten, 800 Dollar im Monat verdienen und, wenn sie Pech haben, manchmal bis zu einem Jahr von der Familie getrennt sind.“

Sturm will den Seeleuten „ein Stück Heimat“bieten, mit W-lan und den gerade bei Filipinos beliebten Schweinekr­usten-chips. Die gibt es im Keller, dort ist der Club, das „Herz vom Haus“. Mit Gitarren an der Wand und dem in Häusern der Seemannsmi­ssion unverzicht­baren Billardtis­ch, ein Sinnbild für festen Boden unter den Füßen.

Hier hat man auch als Tourist am Abend die Chance, mit einem Seemann ins Gespräch zu kommen. Sturm fragt die Seeleute zuerst nach ihrem Namen, an Bord werden sie nur in ihrer Funktion angesproch­en. Oft kursieren dann schon kurze Zeit später Kinderbild­er auf dem Handy.

Um die Schifffahr­t und damit auch um das Haus macht sich Sturm keine Sorgen. Die Agenturen und Reedereien werden auch in den Zukunft Zimmer buchen. Gleiches gilt für ein weiteres Haus der Seemannsmi­ssion in Hamburg. Es liegt am Krayenkamp, im langen Schatten des Michel. Hier ist knapp die Hälfte der 83 Zimmer dauerhaft von Seeleuten belegt, hier spielt die soziale Arbeit eine größere Rolle als in Altona. Aber auch hier sind etwa ein Drittel der Gäste Touristen.

Und auch in Bremerhave­n, der zweitgrößt­en deutschen Hafenstadt, ist für Touristen im Seemannsho­tel „Portside“fast immer ein Zimmer frei. Zum Deutschen Auswandere­rhaus und zum Klimahaus sind es nur ein paar Fußminuten. „Die Übernachtu­ng im Seemannsho­tel ist für viele das i-tüpfelchen“, sagt Diakon Dirk Obermann. Wer noch mehr große Welt schnuppern will, der leiht sich ein Fahrrad und radelt in den Hafen. Oder macht mit bei einer Hafenrundf­ahrt.

Auch in einigen ausländisc­hen Häfen, zum Beispiel in Amsterdam und New York, können Touristen in Seemannshe­imen übernachte­n. Derzeit müssen Reisende allerdings die Einschränk­ungen durch die Corona-pandemie inklusive Beherbergu­ngsverbote­n beachten.

 ??  ??
 ?? FOTO: CHRISTIAN CHARISIUS/DPA-TMN ?? Hafenroman­tik: Die Sonne geht hinter der Köhlbrandb­rücke unter.
FOTO: CHRISTIAN CHARISIUS/DPA-TMN Hafenroman­tik: Die Sonne geht hinter der Köhlbrandb­rücke unter.
 ?? FOTO: WOLFGANG STELLJES/DPA-TMN ?? Diakon Fiete Sturm leitet das Haus der Deutschen Seemansmis­sion in Hamburg-altona.
FOTO: WOLFGANG STELLJES/DPA-TMN Diakon Fiete Sturm leitet das Haus der Deutschen Seemansmis­sion in Hamburg-altona.
 ?? FOTO: DANIEL BOCKWOLDT/DPA-TMN ?? Viele kommen aus Südostasie­n: Seeleute in der Seemannsmi­ssion Duckdalben.
FOTO: DANIEL BOCKWOLDT/DPA-TMN Viele kommen aus Südostasie­n: Seeleute in der Seemannsmi­ssion Duckdalben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany