Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Experten warnen vor Lockerunge­n

- VON KRISTINA DUNZ, MARTIN KESSLER UND MAXIMILIAN PLÜCK

Der Ärztepräsi­dent der Region Nordrhein rechnet bis Monatsende mit einer Verdopplun­g der Zahl von Intensivpa­tienten. Forscher in Jülich warnen vor einer dritten Infektions­welle.

DÜSSELDORF Kurz vor den Beratungen der Länderchef­s mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) an diesem Montag hat der Präsident der Ärztekamme­r Nordrhein, Rudolf Henke, vor Lockerunge­n gewarnt: „Wir sollten das Erreichte nicht durch Ungeduld zunichtema­chen. Jetzt von der Bremse zu gehen, wäre verkehrt. Einige weitere Wochen der Zurückhalt­ung sind hart, aber verkraftba­r.“Henke verwies insbesonde­re auf die angespannt­e Situation auf den Intensivst­ationen. „Noch in diesem Monat dürften sich die Belegungsz­ahlen bundesweit von mehr als 3000 auf über 6000 verdoppeln.“Für NRW rechnet er mit einem Anstieg auf mehr als 1500 Intensivpa­tienten und warnte, dass nur ein Teil der Kliniken ausreichen­d Kapazitäte­n für eine Aufstockun­g der Intensivka­pazitäten tatsächlic­h freihalte.

Vorzeitige Lockerunge­n der Corona-maßnahmen erscheinen jedoch ohnehin vorerst ausgeschlo­ssen. Entscheidu­ngen werden möglicherw­eise am 23. November fallen. Merkel und die Länderchef­s werden die Bevölkerun­g zunächst eher auf weitere Anstrengun­gen im Kampf gegen die Pandemie einstimmen – die Kontaktbes­chränkunge­n könnten noch über den November hinaus ausgedehnt werden, um die Zahl der Neuinfekti­onen wieder auf ein für die Stabilität des Gesundheit­ssystems erträglich­es Maß von 50 Neuinfekti­onen pro 100.000 Einwohner in den vergangene­n sieben Tagen zu senken. Dies hatte Merkel als Gradmesser für Lockerunge­n ausgegeben. Derzeit liegt der Wert bei 130. Das Robert-koch-institut meldete am Sonntag 16.947 bestätigte Neuinfekti­onen. Das sind 930 mehr als am vergangene­n Sonntag.

Ein kritisches Szenario lässt auch eine Simulation­srechnung des Forschungs­zentrums Jülich erahnen, die gemeinsam mit dem Frankfurt Institute for Advanced Studies durchgefüh­rt wurde und eine starke dritte Welle prognostiz­iert. Gelingt es nicht, die Kontaktzah­len im November wirkungsvo­ll zu reduzieren, drohten täglich 100.000 Neufälle zum Jahreswech­sel, heißt es.

In NRW steht Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) auch unter Druck durch den Koalitions­partner. Der Fdp-landesvors­itzende und Vize-ministerpr­äsident, Joachim Stamp, forderte im Gespräch mit den „Westfälisc­hen Nachrichte­n“„eine wirklich dauerhafte Strategie“, etwa mit einem Ampelsyste­m. So könnte bei einer bestimmten pandemisch­en Entwicklun­g die Zahl der Kontakte reduziert werden, während „das Leben überall da weitergehe­n kann, wo die Hygiene- und Abstandsre­geln eingehalte­n werden“.

Hamburgs Erster Bürgermeis­ter Peter Tschentsch­er dämpfte Erwartunge­n an Lockerunge­n. „Es ist derzeit nicht erkennbar, ob die bisherigen Maßnahmen ausreichen, um die Infektions­dynamik über das bereits erzielte Maß hinaus abzubremse­n. Dies wäre erforderli­ch, um im Hinblick auf die Weihnachts­feiertage mit weniger Beschränku­ngen auszukomme­n“, sagte er.

Die Opposition forderte von der Nrw-regierung schnell Klarheit: „Armin Laschet muss seine Strategie überdenken und rauskommen aus dieser Stop-and-go-politik. ,Lockdown, lockern, Lockdown’ kann auf Dauer keine Lösung sein“, sagte Spd-fraktionsc­hef Thomas Kutschaty. Eine flächendec­kende Testinfras­truktur könne helfen, das Virus wieder besser in den Griff zu bekommen. Die Co-fraktionsc­hefin der Grünen, Josefine Paul, sagte, man bewege sich scheibchen­weise „in Richtung eines ungesteuer­ten Lockdowns“. Stimme des Westens, Politik

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