Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Reibungen einbauen
Für die Bekämpfung von Hass im Netz braucht es Reformen.
Zu den putzigsten Paradoxien dieser Us-wahl gehörte das Agieren der großen Meinungsmaschinen im Silicon Valley, allen voran Facebook und Twitter, das die Tweets des künftigen Ex-präsidenten sogar mit Warnhinweisen versah. Warum torpedierten die Milliardenkonzerne ihr eigenes Geschäft? Die Kernidee des sozialen Netzwerks ist ja brillant: Nutzer liefern kostenlos Inhalte und Daten, künstliche Intelligenz passt auf, dass keine nackten Brüste zu sehen sind, die Daten werden für Werbezwecke versilbert, Inhalte, die viel Engagement versprechen, werden bevorzugt verbreitet – extremistischer Mist zum Beispiel.
Dreck schleudern, das gehöre zur Meinungsfreiheit, erklärte Facebook-chef Mark Zuckerberg ausdauernd. Warum aber wurden dann kurz vor der Wahl die miesesten Hetzer plötzlich verbannt? Die Erklärung: Der Schock über das eigene Versagen bei der Trump-wahl 2016 saß tief. Was, wenn sich Trumps Widerwahl erneut auch auf das Wirken der digitalen Höllenmaschinen zurückführen ließe? Die panische Eilfertigkeit der Netzwerkbetreiber, die so vorbildlich demokratisch aussieht, ist zugleich das Eingeständnis, dass manches aus dem Ruder gelaufen war, vermutlich sogar unabsichtlich. Denn es wurden ausgerechnet Funktionen gedrosselt, die bislang für satte Gewinne sorgten, gerade so, als würden deutsche Autobauer statt unsinnig aufgemotzter SUV plötzlich kluge Autos bauen. Es spricht für die Netzwerke, dass sie aus vier Jahren Trump gelernt und ein wenig Verantwortung entdeckt haben. Eines muss allerdings auch klar sein: Wenn die sozialen Netzwerke ernsthaft gegen Hass, Manipulation und Polarisierung vorgehen wollten, dann müssten sie teure Prüfapparaturen aufbauen. Verlage und Sender kennen das Prinzip – es nennt sich Redaktion.
Der Journalist Hajo Schumacher schreibt hier über seine Entdeckungen in der digitalen Welt.