Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Arzt und Ersti – mit 55 Jahren

- VON LILLI STEGNER

Die Pandemie zehrt an den Kräften der Mediziner. Studienanf­ängern nimmt sie die ersten Kneipenabe­nde. Sebastian Sohrab ist beides. An der Uni will er nun lernen, ein mobiles Lungenfunk­tionsgerät zu bauen.

DUISBURG Während der Einführung­swoche freute er sich noch, dass scheinbar auch ein paar Studenten in seinem Alter dabei sind. Dann hat Sebastian Sohrab gemerkt, dass es bloß die Dozenten waren. Mit 55 Jahren hat er sich noch einmal an der Uni eingeschri­eben. Elektro- und Informatio­nstechnik. Das ist ohnehin mutig. Nebenbei betreibt er aber auch noch eine Lungenprax­is in Duisburg-neudorf. Das ist dann stressig. Doch die Corona-krise hat manches einfacher gemacht: Sohrab kann sich jetzt selbst aussuchen, wann er sich eine Vorlesung anhört. Zum Beispiel abends, wenn seine Patienten zu Hause sind.

Sohrab hat bis 1992 Medizin in Essen und Düsseldorf studiert, seit diesem Jahr ist er an der Universitä­t Duisburg-essen eingeschri­eben. „Meine Praxis liegt quasi in der direkten Nachbarsch­aft zur Uni. Dass alles online stattfinde­t, macht es für mich noch leichter“, sagt er. Zuerst hat er direkt an ein Masterstud­ium gedacht, sagt er, doch diese „Hybris“, wie er es selbst nennt, habe man ihm schnell ausgeredet. „Ich bin mir aber auch nicht zu schade, alles von der Pike auf zu lernen“, sagt er. Er erhofft sich dadurch ein neues und besseres Verständni­s für die medizinisc­he Technik, mit der er täglich arbeitet. Und er hofft auf genug Expertise, um etwas Neues entwickeln zu können.

Neben seinem persönlich­en Interesse trieb ihn zu seiner ungewöhnli­chen Entscheidu­ng nämlich ein ganz konkretes Ziel an: ein neues, mobiles Gerät zur Lungendiag­nostik zu bauen. „Die Patienten, die meine Hilfe als Lungenfach­arzt am dringendst­en benötigen, schaffen es oft nicht in meine Praxis“, sagt Sohrab. Damit meint er alte Menschen, Schwerkran­ke oder Bewohner von Pflegeeinr­ichtungen. Doch Hausbesuch­e sind für Fachärzte nicht üblich. Und selbst wenn es sie gäbe – ohne die Diagnosete­chnik in seiner Praxis könnte Sohrab den Patienten gar nicht helfen. „Wenn zum Beispiel ein Bewohner in einem Altenheim schlecht Luft bekommt, dann bleibt dem Pflegepers­onal oft nichts anderes übrig, als den Patienten in ein Krankenhau­s einliefern zu lassen“, erzählt Sohrab. Mit einem System aus Hausbesuch­en von Ärzten und mobilen Geräten könnte man das in vielen Fällen vermeiden. Doch so ein Gerät gibt es noch gar nicht. Jetzt will er lernen, eins zu entwickeln.

Im Frühjahr sind Sohrab und seine Frau selbst an Covid-19 erkrankt. Er spürt die Nachwirkun­gen bis heute. Noch immer schmeckt er fast nichts. Seit dem Ausbruch der Pandemie bekommen Lungenfach­ärzte eine neue Aufmerksam­keit, oft wird er um seine fachliche Einschätzu­ng gebeten. Noch vor einigen Monaten wussten viele Menschen nicht, was in der Lunge passiert, wenn man etwa schlecht Luft bekommt. Mittlerwei­le interessie­rt das viel mehr Leute. Ein mobiles Gerät zur Lungendiag­nostik könnte auch Corona-patienten helfen, fachgerech­t untersucht zu werden, ohne durch den Weg in eine Praxis andere Menschen einem Infektions­risiko auszusetze­n. Auch wenn das nicht von Anfang an die Motivation von Sohrab war. Die Pläne hatte er schon vor der Pandemie.

„Die Reaktionen auf meine Idee mit dem Studium waren teils bewundernd, teils hat man mich aber auch für verrückt erklärt“, sagt Sohrab. Man müsse sich aber auch mal was trauen. Manchen Kollegen ginge im Berufsallt­ag ein bisschen die Ideologie verloren, viele könnten sich nicht einmal vorstellen, nochmal Medizin zu studieren. Doch für Sohrab steht der Patient im Vordergrun­d, nicht das Prestige. Deshalb hat er sich auch für Elektround Informatio­nstechnik entschiede­n statt für die naheliegen­dere Medizintec­hnik. Er will bei den Grundlagen anfangen. Auch wenn das bedeutet, dass er sich am Montagnach­mittag erstmal das Mathetutor­ium am Computer anschauen muss.

Sohrab war auch wichtig, dass er keinem der jüngeren Studenten einen Platz wegnimmt. Sein Studienfac­h ist zulassungs­frei, die Anzahl der Studierend­en ist nicht begrenzt. An der Uni fühlt er sich gut betreut. Man tue dort alles dafür, dass der Studiensta­rt auch ohne Präsenzver­anstaltung­en reibungslo­s klappt, sagt er. Chatgruppe­n, E-mail-kontakt zu Professore­n und Tutoren, die jederzeit erreichbar sind, sorgen dafür, dass jeder es schaffe, seinen ersten Stundenpla­n für die Uni zusammenzu­stellen.

„Das Persönlich­e leidet natürlich ein bisschen, man kann nicht zusammen zur Mensa oder zur Ersti-party gehen“, sagt Sohrab. Gerade für junge Menschen im Erststudiu­m, die vielleicht noch neu in der Stadt sind, ist das schwierig. Für ihn oder für andere, die nebenbei arbeiten oder Kinder haben, erleichter­t das Online-studium aber vieles. „Und man wird wirklich gut an die Hand genommen“, sagt er.

In seinem Arbeitsall­tag fehlt Sohrab oft die Kreativitä­t. Das treibt ihn an, seine Arbeitswei­sen immer wieder zu hinterfrag­en. Findet er darin Fehler, will Sohrab sie beheben. Auch wenn ihn das wieder zum Ersti macht.

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FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Der 55-jährige Arzt Sebastian Sohrab hört die Vorlesunge­n, wann immer er Zeit hat. Zum Beispiel abends, wenn er seine Patienten versorgt hat.

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