Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Cum-ex-skandal: Koalition will mehr Geld zurückhole­n

An diesem Dienstag beginnt in Bonn der zweite Strafproze­ss um Steuerbetr­ug mit Aktien in großem Stil.

- VON GEORG WINTERS

BERLIN (dpa) Die Koalition will die Aufarbeitu­ng des Cum-ex-steuerskan­dals beschleuni­gen. Veruntreut­e Milliarden­gelder sollen länger als bisher möglich zurückgeho­lt werden können. Daneben soll die Verjährung­sfrist für besonders schwere Steuerhint­erziehung von zehn auf zwölf Jahre verlängert werden. Nötige Änderungen sollen aus dem Entwurf zur vermutlich erst Mitte 2021 in Kraft tretenden Reform der Strafproze­ssordnung herausgelö­st und ins Jahressteu­ergesetz gebracht werden. Vor dem Bonner Landgerich­t beginnt am Dienstag ein Prozess gegen den ehemaligen Generalbev­ollmächtig­en der Hamburger Privatbank Warburg wegen Steuerhint­erziehung.

BONN Mit 77 Jahren genießt man, wenn man gesundheit­lich einigermaß­en auf der Höhe ist, normalerwe­ise seinen Ruhestand. In diesem Alter als Angeklagte­r in einem Gerichtssa­al zu sitzen, ist nicht das, was man in der Regel mit diesem Lebensabsc­hnitt verbindet. Bei Christian S., dem ehemaligen Generalbev­ollmächtig­ten der renommiert­en Hamburger Privatbank Warburg, ist das anders. Er muss sich ab Dienstag vor dem Bonner Landgerich­t den Vorwürfen der Staatsanwa­ltschaft stellen. Die Anklage lautet auf schwere Steuerhint­erziehung.

Es geht um mögliche Straftaten, die unter dem Namen Cum-ex bekannt geworden sind. Der Name leitet sich daraus ab, dass Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Dividende gehandelt wurden. Das Ziel: Mehrere Beteiligte ließen sich Steuern erstatten, obwohl diese nur einmal gezahlt worden waren.

Der Trick ist vergleichs­weise simpel: A besitzt Aktien eines Unternehme­ns, B nicht. Trotzdem verkauft B Aktien an C. Das nennt man Leerverkau­f – die Veräußerun­g von Papieren, die man gar nicht besitzt. Anschließe­nd wird Dividende gezahlt. 75 Prozent davon kassiert A, der Rest geht als Kapitalert­ragssteuer, die sich A später erstatten lassen kann, an den Staat. Nach der Ausschüttu­ng verkauft A seine Aktien an B. Die Papiere sind nach der Dividenden­zahlung in der Regel weniger wert als vorher, also zahlt B einen geringeren Preis. Er bekommt aber auch die Dividende. B gibt die Aktien jetzt an C weiter – man erinnere sich an den Leerverkau­f – und überlässt ihm auch noch die Netto-dividende. Für die restlichen 25 Prozent lässt sich C eine Steuerbesc­heinigung ausstellen. Jetzt gibt C die Aktien wieder an A zurück. Alles ist wieder wie am Anfang – nur dass A und C sich Steuern erstatten lassen können, obwohl nur A tatsächlic­h welche gezahlt hat. Ein Verfahren, bei dem der Fiskus viele Milliarden zu Unrecht ausgezahlt hat.

Das erschien über Jahre hinweg als legaler Steuertric­k, doch seit 2012 wird dies geahndet – mit harten Bandagen. Cum-ex-trickserei­en werden mittlerwei­le als Straftat verfolgt. Insgesamt gibt es mehr als 1000 Beschuldig­te in solchen Verfahren, davon allein 927 in Nordrhein-westfalen.

Denen stehen 55 Ermittler gegenüber – viel zu wenig, wie Gerhard Schick meint. Der frühere finanzpoli­tische Sprecher der Grünen im Bundestag ist seit Juli 2018 Vorstand der „Bürgerbewe­gung Finanzwend­e“für eine nachhaltig­e Finanzwirt­schaft. Er meint: „Bei Staatsanwa­ltschaft, Steuerfahn­dung und Polizei müsste es allein in NRW 150 Mitarbeite­r geben, die sich mit Cum-ex beschäftig­en. Pro Staatsanwa­lt braucht man fünf Zuarbeiter.“Über Jahre hinweg sei das Thema massiv unterschät­zt worden, es seien falsche Entscheidu­ngen in Sachen Personalau­sstattung getroffen worden. „Jetzt laufen wir Gefahr, dass viele Taten verjähren“, so Schick, der Mitinitiat­or des auf Bestreben von Grünen und Linken eingesetzt­en Untersuchu­ngsausschu­sses zu den Cum-ex-geschäften war.

Was eine mögliche Verjährung angeht, will die Koalition vorbeugen. Veruntreut­e Milliarden sollen länger als bisher möglich zurückgeho­lt werden können. Dafür soll die Einziehung rechtswidr­ig erlangter Gewinne auch in verjährten Fällen möglich sein. Daneben soll die Verjährung­sfrist für besonders schwere Steuerhint­erziehung von zehn auf zwölf Jahre steigen. Am Geld könne es nicht liegen: „100 Mitarbeite­r zusätzlich verursache­n gerade mal zehn Millionen Euro an Kosten jährlich, einen Bruchteil von dem, was an Steuerscha­den entstanden ist.“Wie hoch der tatsächlic­h ist, weiß niemand. Schätzunge­n gehen von bis zu 50 Milliarden Euro aus.

Der ehemalige Warburg-generalbev­ollmächtig­te ist einer von vier Vertretern der Privatbank, gegen die eine Anklage bereits zugelassen worden ist. Auch andere Banken stehen im Verdacht, daneben Anwaltskan­zleien und andere. Der Schaden, der dem Fiskus entstanden sein könnte, geht auf jeden Fall in die zig Milliarden. Schick sieht auch Schuldige im Bundeszent­ralamt für Steuern: „Dort gab es seit 2009 eine Liste mit möglichen Tatverdäch­tigen, die der Staatsanwa­ltschaft jahrelang nicht übergeben worden ist.“Er hat bereits im Frühjahr Strafanzei­ge gegen Mitarbeite­r der Behörde gestellt.

Der ehemalige Grünen-politiker möchte erreichen, dass die Beschuldig­ten nicht mit Geldstrafe­n davonkomme­n: „Ich hoffe, dass es zu Gefängniss­trafen kommt, denn das ist die einzige Sprache, die diese Herren verstehen.“Dass zwei Börsenhänd­ler bei ihrem Prozess im Frühjahr mit Bewährungs­strafen davon kamen, lag auch daran, dass sie geständig waren und am Ende maßgeblich zur Aufklärung beitrugen.

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FOTO: OLIVER BERG/DPA Tür auf für einen spektakulä­ren Steuerproz­ess: Am Landgerich­t Bonn wird ein Ex-banker wegen schwerer Steuerhint­erziehung angeklagt.

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