Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Die Sandmännchen aus Gütersloh
Der Ex-microsoft-manager Christian Hülsewig digitalisiert mit seinem Unternehmen die Baustellen in Deutschland.
GÜTERSLOH Mal war es die Einfahrt, dann ein Spielplatz für die Kinder: Christian Hülsewig hat in den vergangenen Jahren immer wieder kleinere Projekte auf seinem Bauernhof in Herford gestartet – und sich permanent geärgert. Jedes Mal beschrieb er bei der Bestellung größerer Mengen Sand, in welche der drei Einfahrten dieser geliefert werden solle. Jedes Mal landete die Bestellungen an der falschen Stelle. „Ich konnte machen, was ich wollte“, hat Hülsewig mal erzählt: „Das hat mich immer den gesamten Vormittag gekostet, das alles umzuschichten.“
Pain Points werden solche Erfahrungen auf Neudeutsch genannt: Schmerzpunkte. Immer wieder sind sie Ausgangspunkt von Innovationen – speziell im Digitalzeitalter. In Münster hat Dieter Büchl den Getränke-lieferdienst Flaschenpost gegründet, weil er es leid war, Kisten zu schleppen. Und in Gütersloh baut Christian Hülsewig eine Plattform, über die man komplett digital Sand, Schotter und Kies bestellen und zur richtigen Stelle liefern lassen kann: Schüttflix.
2018 hat der frühere Microsoft-manager das Start-up gemeinsam mit dem Unternehmer Thomas Hagedorn gegründet. Über die Schüttflix-plattform können Betriebe die Kosten für die Lieferung von Schüttgut bei mehreren Anbietern vergleichen, in einer Karte genau markieren, wohin die Ware geliefert werden soll, und den Bestellvorgang komplett digital abwickeln. Knapp zwei Jahre später ist aus Schüttflix eines der vielversprechendsten Jungunternehmen in NRW geworden. „Die Baubranche wurde bislang ja gar nicht digitalisiert, die Prozesse sind vielfach noch wie vor 20 Jahren“, sagt Nils Klose, der das Unternehmen inzwischen gemeinsam mit Hülsewig führt. Und so weckte die Idee schnell auch Interesse bei größeren Konzernen.
Solche wie Strabag. Nachdem Schüttflix zuletzt bereits knapp 14 Millionen Euro von den Investoren Speedinvest und HV Capital einsammeln konnte, beteiligt sich nun auch einer der größten Baukonzerne Europas an dem Start-up – und weitet gleichzeitig die Kundenbeziehung aus. Nach einer sechsmonatigen Pilotphase soll über Schüttflix ab kommendem Jahr die Versorgung von Strabag-baustellen mit Schüttgütern organisiert werden. „Funktionen wie die papierlose Lieferdokumentation, das Live-tracking sowie das vorgelagerte Preisvergleichsportal erleichtern den Alltag auf der Baustelle“, sagt Thomas Nyhsen,
Technischer Leiter der Strabag-direktion Nordrhein-westfalen.
Die große Nachfrage wirkt sich auch auf die Strukturen bei Schüttflix aus. Einerseits wurde das Führungsteam mit Nils Klose erweitert, einem alten Bekannten von Gründer Christian Hülsewig. Die beiden kennen sich noch aus gemeinsamen Zeiten bei der Bertelsmann-tochter Arvato. Andererseits wird in Köln ein weiterer Standort neben dem Hauptsitz in Gütersloh aufgebaut. Schüttflix hat hier bereits eine komplette Etage angemietet, auf der demnächst 30 bis 40 Leute arbeiten sollen. „Wir müssen nicht nach Berlin oder München, die Leute, die wir brauchen, finden wir auch hier in NRW“, erklärt Nils Klose. Bis Ende 2021 sollen insgesamt 110 Mitarbeiter für Schüttflix arbeiten, der Umsatz soll sich bis dahin von aktuell zehn Millionen Euro verfünffachen.
Eine Expansion ins Ausland steht zunächst nicht auf dem Plan. Allein in Deutschland gibt es aus Sicht des Unternehmens noch so viel Potenzial, dass man erstmal dieses heben möchte. Dass Schüttflix dabei in der Baubranche für geteilte Gefühle sorgt, ist Christian Hülsewig bewusst. Während die Kunden von der Abwicklung profitieren, haben einige lokale Vermittler plötzlich einen viel agileren Konkurrenten. Es gebe Händler, so erzählt Hülsewig, die nicht mal eigene Fahrzeuge hätten und nur davon leben würden, dass sie ein Telefon hätten und die Preise kennen. „Für die erhöht sich jetzt natürlich der Modernisierungsdruck.“