Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Weihe schützt vor Ahndung nicht
Das Bistum Aachen will nach dem Gutachten über sexuellen Missbrauch einen grundlegenden Wandel einläuten und einen solidarischen Fonds für Betroffene gründen.
AACHEN (los) Über 450 Seiten stark ist das Gutachten, das die Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl ( WSW ) dem Bistum Aachen hinterlassen hat. Mit dem Inhalt: der Umgang der Bistumsleitung mit Missbrauchsfällen. Altbischof Heinrich Mussinghoff (80) wie auch seinem früheren Generalvikar Manfred von Holtum (76) wird attestiert, Täterschutz statt Opferfürsorge betrieben zu haben.
Am Wochenende hat Bischof Helmut Dieser seinen Vorgänger besucht und ihm nach eigenen Worten geraten, auf weitere juristische Schritte gegen das Gutachten zu verzichten. Dies sei auch im Sinne der Betroffenen. Es gehe dabei um einen Akt der Reue wie der Selbstreflexion: nämlich nicht zu fragen, wie es einem selbst geht, sondern was Menschen erlitten haben, sagte Dieser am Montag.
Ein paar Tage nach der Veröffentlichung des Wsw-gutachtens wird im Bistum deutlich, dass sich vieles am System Kirche ändern muss und nach Meinung der Bistumsleitung auch ändern wird. Es soll um einen „echten Perspektivwechsel“gehen und um den Wandel bestimmter Formen eines hierarchischen Klerikalismus. „Weihe und Amt schützen nicht vor Haftung und Ahndung“, sagte Dieser. Nach seinen Worten weiß „Kirche nicht alles, was Menschen brauchen, sollen, müssen“. Aber genauso sei sie viele Jahre aufgetreten. Das Gutachten soll darum im Bistum auch nur der erste Schritt eines grundlegenden Wandels sein.
Zunächst wird eine unabhängige Kommission mit Experten aus Wissenschaft, Justiz und Verwaltung gebildet. Diese soll die Aufarbeitung nach einheitlichen Kriterien und Standards leisten. Außerdem wird ein Betroffenenbeirat gegründet. Die Entschädigungen an Opfer sexuellen Missbrauchs durch Priester sowie Therapiekosten sollen ab dem 1. Januar ausgezahlt werden. Geleistet wird das vor allem durch „Verzicht“. Dazu wird ein solidarischer Fonds gegründet, der sich aus Spenden, Zahlungen von Priestern und Bischöfen sowie Bußgeldern speist.
Ein vergleichbares Gutachten der Münchner Kanzlei war unlängst im Erzbistum Köln wegen methodischer Mängel zurückgezogen worden.