Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Das fiebernde Kind

In diesen Tagen sind viele Erkältungs­viren unterwegs. Eltern sind gerade in Zeiten der Pandemie ratlos, wie sie mit Fieber umgehen sollen.

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Unsere Leserin Jennifer K. aus Willich fragt: „Unser sechsjähri­ger Sohn Ben hat seit gestern 39,2 Grad Fieber. Zwar fühlt er sich gut dabei, aber ich mache mir große Sorgen, gerade in den derzeit unsicheren Corona-zeiten. Was ist zu tun? Wie kann ich sicher sein, dass er nicht mit dem Coronaviru­s infiziert ist? Muss ich ihn zu einem Test schicken?“

Tim Niehues Die häufigste Fieberursa­che in der jetzigen Jahreszeit sind Viren, die die Atemwege befallen. Derzeit relativ häufig sind diverse Corona-, aber auch Rhino-, RS- und Influenzav­iren. Zellen unseres Immunsyste­ms sind mit Scannern ausgerüste­t, die Barcodes auf Viren oder viruszerst­örten Zellen erkennen und die Infektion dem Gehirn melden. Das Gehirn stellt darauf den Temperatur-sollwert für seinen Körperkern (normal 37 Grad) auf 39 Grad: Der Körper erhöht schnell die Temperatur – Fieber! Fieber ist als Abwehrmech­anismus gegen Erreger erwünscht und auch im Tierreich weit verbreitet.

Warum ist dann die Angst vor Fieber in den Menschen so tief verwurzelt? Das hat historisch­e Gründe: Noch im 19. Jahrhunder­t, in Zeiten von Hunger und Armut, verstarben 20 bis 35 Prozent aller Kinder vor dem fünften Lebensjahr; heute sind es 0,4 Prozent. Das erste Anzeichen von Krankheit bei diesen Kindern war oft Fieber.

Was ist zu tun? Ben sollte nicht in die Schule gehen und Kontakt zu Kranken oder Alten (Großeltern) vermeiden, deren Gesundheit durch Viren (insbesonde­re Influenza und Sarscov-2) gefährdet werden kann. Wenn bei ihm zusätzlich­e Symptome wie Atemnot, zu schnelle Atmung, Blauverfär­bung von Haut und Lippen, Kopfschmer­zen mit unbeweglic­hem Nacken,

extreme Schwäche oder Bewusstsei­nstrübung hinzukomme­n oder sein Zustand sich schnell verschlech­tert, ist es sinnvoll, einen Kinderarzt aufzusuche­n, der gegebenenf­alls Tests einleitet. Es ist nicht nötig, ab einer gewissen Temperatur fiebersenk­ende Medikament­e zu geben – nur wenn Ben sehr stark beeinträch­tigt erscheint und/oder Schmerzen hat. Eine ausreichen­de Menge eines Getränks, das Ben gerne mag, hilft.

Ganz wesentlich für das erfolgreic­he Management ist die

Ein genereller Test fiebernder Kinder ist nicht sinnvoll

ruhige Ansprache der Eltern und Zuwendung an Ben, etwa mit nicht-medikament­ösen Maßnahmen wie körperwarm­en Wadenwicke­ln, Abdecken bei Schwitzen. Unterstütz­end für Eltern ist die Fever-app, die aber die Zuwendung nicht ersetzt. Entwickelt wurde die App von Kinderärzt­en mit der Unterstütz­ung des Bildungsmi­nisteriums (www.feverapp.de). Eisbäder, Abreibunge­n mit Alkohol oder lauwarmes Abwischen des Kindes werden von Kinderärzt­en dagegen nicht empfohlen.

Ben kann also erst mal mit dem Fieber zu Hause bleiben. Eine generelle Sars-cov-2 Testung fiebernder Kinder – also auch bei Ben – ist nicht sinnvoll. Ein Besuch beim Kinderarzt ist erst nötig, wenn sich sein Zustand schnell verschlech­tert oder die oben geschilder­ten Symptome hinzukomme­n.

In jedem Fall ist es wichtig zu wissen: Fieber ist eine bisher unterschät­zte Waffe des menschlich­en Körpers gegen Viren und andere Erreger.

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Unser Autor Professor Tim Niehues ist Direktor der Kinderklin­ik am Heliosklin­ikum Krefeld.

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