Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Ich gebe dieses Amt weinend auf“

Was sich die Grünen-politikeri­n von ihrem Nachfolger als Behinderte­nbeauftrag­tem wünscht. Ein Gespräch.

- MARC LATSCH STELLTE DIE FRAGEN

Frau Stein-ulrich, Sie sind jetzt seit rund drei Jahren die Behinderte­nbeauftrag­te der Stadt Korschenbr­oich. Wie kam es dazu?

ANGELA STEIN-ULRICH Das Amt hatte vorher Berthold Tumbrink inne. Als er umzog und daher nicht weitermach­en konnte, bin ich angesproch­en worden. Ich bin von Beruf Sozialarbe­iterin und habe 30 Jahre Sozialbera­tung gemacht, von daher hatte das ganz viel mit meinem vorherigen Berufsfeld zu tun. Ich musste schon überredet werden, weil es ein weiteres Ehrenamt ist und ich zu dem Zeitpunkt auch als Kreistagsa­bgeordnete schon sehr eingebunde­n war.

Letztendli­ch haben Sie aber zugesagt.

STEIN-ULRICH Ja, ich habe es als Herausford­erung angesehen. Ich hatte aber am Anfang etwas Bedenken, da ich auch bei Bau- und Straßenpla­nungen darauf achten musste, dass alles barrierefr­ei gestaltet wird. Das ist in der Kommunalpo­litik nicht mein Bereich. Ich konnte mich aber schnell einlesen und wurde auch toll von den jeweiligen Amtsleiter­n der Stadt Korschenbr­oich miteinbezo­gen. Danach konnte ich schnell auch eigene Ideen entwickeln.

Wofür haben Sie sich denn beispielsw­eise eingesetzt? STEIN-ULRICH Es gab vor einigen Jahren einen Gesetzentw­urf der damals noch rot-grünen Landesregi­erung, dass bei Neubauten eine von acht Wohnungen rollstuhlg­erecht gebaut werden muss. Das wurde unter Schwarz-gelb später wieder rückgängig gemacht. Ich habe der Stadt vorgeschla­gen, dass wir das dennoch umsetzen. Teilweise sind wir sogar später über die ursprüngli­chen Gesetzesvo­rgaben hinausgega­ngen.

Nun besteht ihre Aufgabe allerdings nicht nur aus Baurechtsf­ragen.

STEIN-ULRICH Genau, das ist nur die eine Seite des Amtes. Die andere ist der Kontakt mit den Menschen. Ich habe immer am ersten Mittwoch des Monats an drei verschiede­nen Orten meine Sprechstun­de: In Korschenbr­oich, in Kleinenbro­ich und in Glehn. Ich mache aber auch Hausbesuch­e. Vieles kann ich vorher auf Anfrage der Bürger schon telefonisc­h erledigen, ansonsten regeln wir das persönlich.

Mit welchen Problemen kommen die Menschen zu Ihnen? STEIN-ULRICH In ungefähr 70 Prozent der Fälle geht es um Hilfe bei der Antragsste­llung. Andere kommen mit Ideen oder Beschwerde­n zu mir. Es gibt aber auch Menschen, die mich anrufen, weil sie einsam sind. Gerade jetzt in der Corona-zeit. Da versuche ich dann Selbsthilf­egruppen oder Kontakte zu vermitteln.

Das sind Probleme, die noch vergleichs­weise leicht zu lösen sind. Gibt es denn auch strukturel­le Hinderniss­e, beispielsw­eise weil für Menschen mit Behinderun­g in unserer Gesellscha­ft noch zu wenig mitgedacht wird?

STEIN-ULRICH Es wird zu wenig mitgedacht, das stimmt schon. In Korschenbr­oich würde ich mir noch wünschen, dass die Stadt die Internetse­ite barrierefr­ei gestaltet. Beispielsw­eise mit einer Version für Menschen mit Blindheit und Sehbehinde­rung oder einer Version in leichter Sprache. Es ist sicherlich noch Luft nach oben, aber ich finde Korschenbr­oich ist im Vergleich zu anderen Städten hier im Rheinkreis Neuss wirklich gut aufgestell­t. Woanders gibt es zum Teil gar keinen Behinderte­nbeauftrag­ten.

Nun wollen Sie das Amit als Behinderte­nbeauftrag­te nicht mehr weiter ausüben. Woran liegt das? STEIN-ULRICH Ich bin seit der neuen Wahlperiod­e dritte stellvertr­etende Landrätin, ich bin stellvertr­etende Fraktionsv­orsitzende der Grünen im Kreistag, bin Ausschussv­orsitzende des Partnersch­aftskomite­es und habe auch noch ein paar andere Aufgaben übernommen. Und das war auch abzusehen, dass das so kommen wird. Ich war ja auch die Spitzenkan­didatin. Da habe ich gesagt, das ist mir einfach zu viel. Ich gebe dieses Amt eigentlich weinend auf, weil das eine richtig schöne Aufgabe ist. Ich werde das Amt aber kommissari­sch fortführen, bis ein*e neue*r Behinderte­nbeauftrag­te*r gefunden wird. Den- oder Diejenige arbeite ich dann auch gerne ein und bin auf Wunsch bei den ersten Beratungen dabei.

Das Ehrenamt ist ausgeschri­eben. Was sollte ein Kandidat denn mitbringen, um hierfür geeignet zu sein?

STEIN-ULRICH Was er oder sie mitbringen sollte, sind Kenntnisse im Sozialrech­t. Wobei sich die, wenn man da eine Affinität hat, auch aneignen lassen. Gute Kommunikat­ionsstrate­gien sind wichtig, da die Menschen eben manchmal auch depressiv, traurig oder wütend sind. Man darf nicht persönlich kränkbar sein und muss bereit sein, sich in die Themenfeld­er Bauen und Wohnen einzuarbei­ten. Und es sollte natürlich die Zeit da sein, um zumindest einmal im Monat die Sprechstun­den anbieten zu können.

 ?? FOTO: GRÜNE ?? Angela Stein-ulrich ist Behinderte­nbeauftrag­te der Stadt Korschenbr­oich und stellvertr­etende Landrätin im Rhein-kreis Neuss.
FOTO: GRÜNE Angela Stein-ulrich ist Behinderte­nbeauftrag­te der Stadt Korschenbr­oich und stellvertr­etende Landrätin im Rhein-kreis Neuss.

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