Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Ich gebe dieses Amt weinend auf“
Was sich die Grünen-politikerin von ihrem Nachfolger als Behindertenbeauftragtem wünscht. Ein Gespräch.
Frau Stein-ulrich, Sie sind jetzt seit rund drei Jahren die Behindertenbeauftragte der Stadt Korschenbroich. Wie kam es dazu?
ANGELA STEIN-ULRICH Das Amt hatte vorher Berthold Tumbrink inne. Als er umzog und daher nicht weitermachen konnte, bin ich angesprochen worden. Ich bin von Beruf Sozialarbeiterin und habe 30 Jahre Sozialberatung gemacht, von daher hatte das ganz viel mit meinem vorherigen Berufsfeld zu tun. Ich musste schon überredet werden, weil es ein weiteres Ehrenamt ist und ich zu dem Zeitpunkt auch als Kreistagsabgeordnete schon sehr eingebunden war.
Letztendlich haben Sie aber zugesagt.
STEIN-ULRICH Ja, ich habe es als Herausforderung angesehen. Ich hatte aber am Anfang etwas Bedenken, da ich auch bei Bau- und Straßenplanungen darauf achten musste, dass alles barrierefrei gestaltet wird. Das ist in der Kommunalpolitik nicht mein Bereich. Ich konnte mich aber schnell einlesen und wurde auch toll von den jeweiligen Amtsleitern der Stadt Korschenbroich miteinbezogen. Danach konnte ich schnell auch eigene Ideen entwickeln.
Wofür haben Sie sich denn beispielsweise eingesetzt? STEIN-ULRICH Es gab vor einigen Jahren einen Gesetzentwurf der damals noch rot-grünen Landesregierung, dass bei Neubauten eine von acht Wohnungen rollstuhlgerecht gebaut werden muss. Das wurde unter Schwarz-gelb später wieder rückgängig gemacht. Ich habe der Stadt vorgeschlagen, dass wir das dennoch umsetzen. Teilweise sind wir sogar später über die ursprünglichen Gesetzesvorgaben hinausgegangen.
Nun besteht ihre Aufgabe allerdings nicht nur aus Baurechtsfragen.
STEIN-ULRICH Genau, das ist nur die eine Seite des Amtes. Die andere ist der Kontakt mit den Menschen. Ich habe immer am ersten Mittwoch des Monats an drei verschiedenen Orten meine Sprechstunde: In Korschenbroich, in Kleinenbroich und in Glehn. Ich mache aber auch Hausbesuche. Vieles kann ich vorher auf Anfrage der Bürger schon telefonisch erledigen, ansonsten regeln wir das persönlich.
Mit welchen Problemen kommen die Menschen zu Ihnen? STEIN-ULRICH In ungefähr 70 Prozent der Fälle geht es um Hilfe bei der Antragsstellung. Andere kommen mit Ideen oder Beschwerden zu mir. Es gibt aber auch Menschen, die mich anrufen, weil sie einsam sind. Gerade jetzt in der Corona-zeit. Da versuche ich dann Selbsthilfegruppen oder Kontakte zu vermitteln.
Das sind Probleme, die noch vergleichsweise leicht zu lösen sind. Gibt es denn auch strukturelle Hindernisse, beispielsweise weil für Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft noch zu wenig mitgedacht wird?
STEIN-ULRICH Es wird zu wenig mitgedacht, das stimmt schon. In Korschenbroich würde ich mir noch wünschen, dass die Stadt die Internetseite barrierefrei gestaltet. Beispielsweise mit einer Version für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung oder einer Version in leichter Sprache. Es ist sicherlich noch Luft nach oben, aber ich finde Korschenbroich ist im Vergleich zu anderen Städten hier im Rheinkreis Neuss wirklich gut aufgestellt. Woanders gibt es zum Teil gar keinen Behindertenbeauftragten.
Nun wollen Sie das Amit als Behindertenbeauftragte nicht mehr weiter ausüben. Woran liegt das? STEIN-ULRICH Ich bin seit der neuen Wahlperiode dritte stellvertretende Landrätin, ich bin stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Kreistag, bin Ausschussvorsitzende des Partnerschaftskomitees und habe auch noch ein paar andere Aufgaben übernommen. Und das war auch abzusehen, dass das so kommen wird. Ich war ja auch die Spitzenkandidatin. Da habe ich gesagt, das ist mir einfach zu viel. Ich gebe dieses Amt eigentlich weinend auf, weil das eine richtig schöne Aufgabe ist. Ich werde das Amt aber kommissarisch fortführen, bis ein*e neue*r Behindertenbeauftragte*r gefunden wird. Den- oder Diejenige arbeite ich dann auch gerne ein und bin auf Wunsch bei den ersten Beratungen dabei.
Das Ehrenamt ist ausgeschrieben. Was sollte ein Kandidat denn mitbringen, um hierfür geeignet zu sein?
STEIN-ULRICH Was er oder sie mitbringen sollte, sind Kenntnisse im Sozialrecht. Wobei sich die, wenn man da eine Affinität hat, auch aneignen lassen. Gute Kommunikationsstrategien sind wichtig, da die Menschen eben manchmal auch depressiv, traurig oder wütend sind. Man darf nicht persönlich kränkbar sein und muss bereit sein, sich in die Themenfelder Bauen und Wohnen einzuarbeiten. Und es sollte natürlich die Zeit da sein, um zumindest einmal im Monat die Sprechstunden anbieten zu können.