Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Das Leben ist ganz schön geduldig“
Kea von Garnier schreibt auf ihrem Blog „Worte für sozialen Wandel“über ihren Alltag mit psychischen Erkrankungen. Im Interview erzählt sie von ihren Erfahrungen mit Social Media und davon, wie sie mit ihren Ängsten umgeht.
Kea von Garnier ist Bloggerin und berichtet seit mehreren Jahren auf Instagram über ihr Leben mit psychischen Erkrankungen, zu denen Depressionen, Angststörungen oder auch Hypochondrie zählen. Die 35-jährige Hildesheimerin ist eine der wenigen, die ihre Erkrankungen auch der Öffentlichkeit preisgeben. Gerade veröffentlichte sie ihr Buch „Die Vögel singen auch bei Regen“. Im Interview spricht sie über ihre Ängste und Erkenntnisse.
Viele Menschen haben schlechte Erfahrungen mit sozialen Medien gemacht. Du berichtest anderes – woran liegt das?
Ich bin in dieser „mentalen Gesundheits-bubble“. Das ist eine ganz kleine Nische. Und der Hauptteil von dem, was auf Social Media passiert, ist in meinen Augen sehr oberflächlich. Stark gefilterte Fotos, sehr kapitalistisch geprägte, konsumorientierte Inhalte, die ich einfach furchtbar finde. Ich habe irgendwann gedacht: Ich will bei diesem ganzen Zirkus nicht mitmachen. Dann habe ich langsam mit den persönlichen Texten angefangen und irgendwann war das wirklich mein digitales Zuhause, wo ich einfach über mein Leben mit den Erkrankungen geschrieben habe.
Inwiefern kann der Druck auf Instagram für Jugendliche gefährlich sein?
Als ich jung war, konnte ich mich mit den Mädchen aus meiner Klasse vergleichen und vielleicht auch noch mit irgendwelchen Stars aus der „Bravo“. Inzwischen ist die Anzahl ins Unermessliche gestiegen, ich kann mich online mit Millionen anderen Menschen vergleichen.
Hattest du Angst zu scheitern? Wie bist du mit Zukunftsängsten umgegangen?
Eigentlich bedeutet scheitern, dass ich irgendetwas ausprobiert habe und es nicht so funktioniert hat, wie ich mir das gedacht hatte. Dabei hat jeder von uns schon diverse Sachen in den Sand gesetzt, das ist ja ganz normal. Und meistens lernt man sogar etwas dabei. Aber als ich jung war, hatte ich große Zukunftsängste. Vor allen Dingen hatte ich Angst, dass ich nie meinen Lebensunterhalt selbst verdienen könnte, dass mir das einfach nicht gelingen würde. Heute schreibe ich auch, um zu zeigen, dass man sich über die Jahre etwas aufbauen kann.
Wie gehst du heute damit um?
Ich habe nicht mehr so große Angst wie damals, weil ich jetzt einfach weiß: Irgendwie komme ich durch. In einer ganz schlimmen Phase habe ich auch mal ein Jahr lang Unterstützung vom Arbeitsamt bezogen. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft – das heißt, du bist quasi nur was wert, wenn du selbst arbeitest und irgendetwas leistest. Das finde ich richtig giftig. Menschen, die eine Erkrankung haben, die haben nicht das Problem, dass sie nicht genug wollen.
Sie können es manchmal einfach nicht! Und sie sind trotzdem wertvoll, denn man hat doch so viel mehr zu geben als nur seine Arbeitskraft.
Anfang Oktober hast du ein Buch veröffentlicht. Was war das für eine Erfahrung?
Das war ganz schön anstrengend. Ich glaube, wenn man gut schreiben möchte, muss man sich wirklich darauf einlassen, das emotional an sich heranzulassen. Ich habe meine ganze Lebensgeschichte ausgebreitet. Ich habe viel geweint beim Schreiben und viel verarbeitet. Aber das Feedback, das ich jetzt bekomme, ist total liebevoll. Dafür bin ich sehr dankbar.
Wenn du jetzt deinem jugendlichen Ich irgendeinen Rat geben könntest, welcher wäre das?
Ich würde mir sagen, dass ich nicht so viel Angst vor der Zukunft haben muss. Man hat manchmal Angst, dass etwas passiert, und dann geht gar nichts mehr. Aber so ist das Leben nicht. Das Leben ist dann doch ganz schön geduldig mit einem. Auch wenn manches kompliziert ist, kann man das erreichen, was man sich vorgenommen hat. Und dass ich nicht an irgendeinen Tag kommen muss, ab dem alles nur noch super ist, sondern dass es immer hochund runtergehen kann und dass das total normal ist. Auch dass ich mich nicht dafür schämen muss, krank zu sein oder anders zu sein, und da ganz offen zu mir stehen kann.