Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Vom Weltmeister zum “Querdenker“
Thomas Berthold wettert öffentlich gegen die Corona-Regeln der Regierung und steht deswegen in der Kritik.
DÜSSELDORF Thomas Berthold war nie für die leisen Töne auf der Klaviatur zuständig. Wenn er an sein Tagewerk gegangen ist, dann hat es in der Regel immer ordentlich gerummst. Man attestiert ihm gerne, dass er schon immer unbequem gewesen sei. Fast schon eine Verniedlichung für einen Wesenszug, den man auch schlicht als rücksichtslos beschreiben könnte. Auf dem Platz ging der Verteidiger mit seinen Gegenspielern nicht besonders zimperlich um. Bei der Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko flog er nach einem Revanche-Foul vom Feld. Beim VfB Stuttgart, wo er zwischen 1993 und 2000 spielte, hält er mit fünf Roten Karten bis heute einen vereinsinternen Rekord.
Er grätschte auch verbal immer mal wieder gehörig dazwischen. Ende 1994 wurde nach einem Interview seine Karriere in der Nationalmannschaft beendet, Berthold (62 Länderspiele) hatte den damaligen Bundestrainer Berti Vogts kritisiert. Als er beim FC Bayern unter Vertrag stand, wurde er als bestbezahlter Golfer nach Bernhard Langer verspottet. Nach einem Streit mit Trainer Erich Ribbeck saß Berthold seinen Kontrakt auf der Tribüne aus – und golfte eben in seiner Freizeit.
Seine Hybris war immer schon groß. In Düsseldorf kann man sich noch sehr gut daran erinnern. Dort ist er als General-Manager angetreten und auf seine Weise in die Vereingeschichte eingegangen. Das Projekt ging gehörig in die Hose. Im März 2005 hatte ihm schließlich Joachim Erwin das Vertrauen entzogen. Der damalige Aufsichtsratschef und Düsseldorfer Oberbürgermeister hatte genug. „Als ich 2003 zu Fortuna gekommen bin, habe ich das Umfeld falsch eingeschätzt. So etwas wie hier habe ich noch nie erlebt. Interne Sitzungen von uns wurden plötzlich öffentlich gemacht, selbst Details aus Arbeitsverträgen. Aber ich bin keiner, der so einfach wegrennt“, hatte Berthold vor 15 Jahren im Gespräch mit unserer Redaktion verkündet.
Bei seinem Amtsantritt hatte er einen strammen Plan vorgelegt. Innerhalb von drei Jahren wollte er mit der Mannschaft in die Zweite Liga aufsteigen. Davon war er auch kurz vor seiner Demission noch überzeugt: „Ich gehe nach wie vor davon aus, dass Fortuna 2006 wieder in der Zweiten Liga spielt. Sehen Sie, das Problem in Düsseldorf ist doch, dass es hier zwei Extreme gibt. Läuft es gut, ist die Stimmung riesig. Läuft es aber schlecht für den Verein, sind die Leute schnell pessimistisch. Das erste Jahr ist für uns erfreulich gelaufen, jetzt stehen wir nicht so gut da, und alles ist schlecht. Bei gut geführten Klubs hörst du in so einer Phase nichts, bei den anderen meldet sich ständig jemand zu Wort.“Berthold sollte sich am Ende nur um drei Jahre vertan haben.
Die Fans waren zu großen Teilen von Anfang an gegen ihn und demonstrierten das auch bei allen möglichen Gelegenheiten. Und Berthold? Der sah überhaupt keinen Grund, auf seine Kritiker zuzugehen. Warum auch? „Diese Leute werden doch ganz gezielt gesteuert. Ich weiß genau von wem, aber ich werde nicht zulassen, dass es so weitergeht. Einen Brandherd muss man so schnell wie möglich austreten“, verkündete er damals in der „Welt“. Es sei „nicht sein Stil, Dinge in der Öffentlichkeit auszutragen. Als ich hierher kam, war es nicht fünf vor zwölf, sondern schon Punkt zwölf. Das, was inzwischen geleistet wurde, gerät zu schnell in Vergessenheit.“
Nun hat sich Berthold wieder geäußert. Er tritt wieder in seiner erfolgreichsten Rolle auf: als „besorgter Bürger“. Und bezieht öffentlich Stellung gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung. Einschränkung hier, Einschränkung da. Woher seine kritische Art komme, wurde er unlängst vom SWR gefragt. Berthold: „Ich bin freigeistig aufgezogen worden. Ich bin genauso wie meine Frau jemand, der alles grundsätzlich hinterfragt. Wir glauben nicht immer alles, was uns täglich serviert wird.“Und weiter sagte er: „Seit Mitte März wurden Gesetze geändert und Verordnungen erlassen. Diese drastischen Maßnahmen und Freiheitseinschränkungen, die unsere Grundrechte als Bürger tangieren, wurden gemacht, um eine Überlastung unseres Gesundheitssystems zu vermeiden. Wenn ich die Zahlen richtig lese, bestand aber nie die Gefahr, dass dieses System zusammenbricht.“
Berthold hat für seine Auftritte harsche Kritik einstecken müssen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sprach von einer „verheerenden Wirkung“, wenn ehemalige Nationalspieler dazu aufriefen, keine Masken zu tragen. Berthold will davon nichts wissen und verweist darauf, aus seinem unmittelbaren Umfeld oder bei zufälligen Begegnungen auf der Straße zu „99 Prozent“positive Rückmeldungen zu bekommen.
Ähnlich großzügig hat er seit jeher seine Arbeit bewertet. Schuld? Haben immer die anderen. Bei Fortuna tönte er gerne, was er für ein „weltweites Netz an Kontakten“habe. Berthold vermittelte das Gefühl, dass er den Duft der großen weiten
Fußballwelt verströme und um ihn herum nur Provinz sei. Nach dem beruflichen Missverständnis bei Fortuna hat Berthold nie wieder in diesem Bereich im deutschen Fußball gearbeitet. Ab und an durfte er noch als Experte vor eine TV-Kamera.
Als Campino, Frontmann der „Toten Hosen“, kurz nach der Demission von Berthold bei Fortuna gefragt wurde, was jetzt besser laufen könne, sagte der Sänger und Edel-Fan in einem Gespräch mit unserer Redaktion im Mai 2005: „Weil Fortuna sich gerade jetzt, nach der großen Katastrophe, die Thomas Berthold hieß, an einem Punkt befindet, wo Aufräumarbeiten beginnen können.“
Laut eigener Homepage ist Berthold unter anderem derzeit als Projektverantwortlicher im Einsatz: In Verona will er mit Partnern eine Arena bauen. Natürlich eine, die es in Europa so noch nicht gegeben haben soll. Darunter würde er es wohl nicht machen. „Ich nehme mich nicht so wichtig, wie ich bin“, hat er damals einmal noch zu Düsseldorfer Zeiten gesagt. Mittlerweile konnte sich auch der Rest der Republik einen ganz guten Eindruck davon machen, was er damit meinte.