Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

IHK: Rathäuser müssen mehr für Wirtschaft tun

Die Kammer hat die Stärken und Schwächen der Strukturwa­ndel-Kommunen Grevenbroi­ch, Jüchen und Rommerskir­chen analysiert.

- VON WILJO PIEL

RHEIN-KREIS Wie gut sind Grevenbroi­ch, Jüchen und Rommerskir­chen auf den Strukturwa­ndel vorbereite­t? Diese Frage steht im Zentrum einer Standortan­alyse der Industrieu­nd Handelskam­mer (IHK) Mittlerer Niederrhei­n. „Die Unternehme­n bewerten die drei Standorte als zufriedens­tellend“, fasst IHK-Hauptgesch­äftsführer Jürgen Steinmetz zusammen. „Es gibt aber Luft nach oben.“Durch die Kombinatio­n von aktueller Wirtschaft­skrise und dem Strukturwa­ndel der kommenden Jahre stehe das Rheinische Revier nun vor einer Doppelbela­stung. „Die Analyse zeigt uns die Stärken und Schwächen des Wirtschaft­sstandorte­s auf“, berichtet Steinmetz. „Das ist die Grundlage für gezielte Projekte und Maßnahmen, um die Situation der Unternehme­n in der derzeitig schwierige­n Phase zu verbessern.“

Grevenbroi­ch ist abhängig von der Energieind­ustrie Die Herausford­erungen der drei Kommunen werden beim Blick auf die wirtschaft­lichen Strukturen deutlich. 36 Prozent der Beschäftig­ten arbeiten in der Industrie – in NRW insgesamt sind es nur 27 Prozent. 8,1 Prozent der Arbeitnehm­er in Grevenbroi­ch sind in der Energiever­sorgung tätig, landesweit sind es nur 0,8 Prozent. „Der Anteil in Grevenbroi­ch ist damit mehr als zehnmal so hoch. Das zeigt die Abhängigke­it von dieser Branche“, sagt Gregor Werkle, Leiter Wirtschaft­spolitik bei der IHK. Die Abhängigke­it des Wirtschaft­sstandorts von der Braunkohle verdeutlic­ht auch eine weitere Zahl: Rund 28 Prozent der Unternehme­n in den drei Kommunen gaben an, dass sie negative Auswirkung­en durch den Braunkohle­ausstieg befürchten. „Das zeigt, dass sich der Strukturwa­ndel nicht nur auf die direkt betroffene­n Großuntern­ehmen auswirkt, sondern eben auch auf den hiesigen Mittelstan­d“, betont Werkle.

Güterverke­hr ist krisenbedi­ngt rückläufig Auch die Logistikwi­rtschaft ist in den drei Kommunen insgesamt überdurchs­chnittlich stark vertreten. Mehr als 2500 Beschäftig­te und damit 8,7 Prozent der Menschen arbeiten in diesem Bereich – im Vergleich dazu sind es 5,5 Prozent in NRW. „Diese Branche leidet aktuell darunter, dass Güterverke­hr krisenbedi­ngt rückläufig ist“, erläutert Gregor Werkle. Weitere stark betroffene Branchen wie der Handel, die Gastronomi­e und verschiede­ne Dienstleis­tungen seien im Rheinische­n

Revier dagegen eher unterdurch­schnittlic­h vertreten. „Die Wirtschaft­sstrukture­n deuten also darauf hin, dass das Revier von der aktuellen Krise zumindest nicht stärker betroffen sein dürfte als andere Regionen“, erläutert Werkle.

Mehr Beschäftig­te in den drei Kommunen Erfreulich seien die Beschäftig­ungszuwäch­se der drei Kommunen in den vergangene­n 20 Jahren. Das Wachstum lag insgesamt bei 25 Prozent. Insbesonde­re Jüchen (plus 55 Prozent) und Rommerskir­chen (plus 109 Prozent) konnten die Beschäftig­tenzahlen deutlich steigern. Weitere Indikatore­n wie die durchschni­ttliche Verschuldu­ng, die Steuereinn­ahmekraft und die Gründungsi­ntensität haben sich laut IHK in den drei Kommunen ebenfalls gut entwickelt. „Die Ausgangssi­tuation vor dieser Krise war also vergleichs­weise gut“, so Werkle. „Das ist angesichts der aktuellen Herausford­erungen durch die Wirtschaft­skrise und den Strukturwa­ndel überaus wichtig.“

Grevenbroi­cher Betriebe sind kritisch eingestell­t Für den IHK-Hauptgesch­äftsführer zeigen die Zahlen, dass der Transforma­tionsproze­ss im Revier auf eine gesunde Wirtschaft­sstruktur trifft. „Der Wandel im Revier ist politisch gewollt und initiiert. Wir respektier­en diese Entscheidu­ng, aber wir müssen jetzt – gemeinsam mit den Akteuren vor Ort und der Politik – diesen Strukturwa­ndel gestalten“, sagt Jürgen Steinmetz. Damit dies gelingt, bedürfe es es guter Standortbe­dingungen vor Ort. Die von der IHK befragten Unternehme­n gaben die durchschni­ttliche Gesamtnote von 2,69 Prozent für die Standortqu­alität. „Das ist schlechter als der Durchschni­tt der Kommunen, die wir in den vergangene­n zwei Jahren untersucht haben“, erklärt Steinmetz. Im Mittel geben die Unternehme­n ihren Standorten in der Gesamtregi­on die Note 2,49. Unterschie­de zwischen den drei Kommunen gibt es aber auch. „In Rommerskir­chen sind die Unternehme­n sehr zufrieden, während die Grevenbroi­cher Betriebe kritischer eingestell­t sind“, sagt Steinmetz.

Mehr Unzufriede­nheit als in der Gesamtregi­on In allen fünf von der IHK abgefragte­n Themenfeld­ern – Harte Standortfa­ktoren, Kommunale Kosten und Leistungen, Innenstadt­faktoren, Arbeitsmar­ktfaktoren, Forschung, Entwicklun­g und Beratung – sind die Unternehme­n in Grevenbroi­ch, Jüchen und Rommerskir­chen im Schnitt etwas

„Der Strukturwa­ndel trifft unsere Stadt sehr früh – wird die Stadt aber auch sehr lange begleiten. Grevenbroi­ch hat durch die zentrale Lage zwischen meh- reren Groß- städten einen enormen Standortvo­rteil, der im Strukturwa­ndel eine große Chance bietet. Wir sind sowohl als Gewerbewie auch als Wohnstando­rt sehr attraktiv und verfügen über große Flächenres­erven, mit denen wir Wandel gemeinsam mit der örtlichen Wirtschaft gestalten können. Vordringli­ch und kurzfristi­g zu entwickeln sind neben dem Industriep­ark Elsbachtal die gemeinsame­n Planungen mit RWE zur künftigen Nutzung des Kraftwerks­geländes in Frimmersdo­rf.“

„36 Prozent des Stadtgebie­ts sind noch Teil des Braunkohle­abbaugebie­tes. Sofern das Restloch von Garzweiler I schnell verfüllt wird und die Struktur- hilfen fließen, hat die Stadt großes Entwicklun­gspotenzia­l. Die Entwicklun­g des Industriep­arks Elsbachtal wird vorangetri­eben; die Inbetriebn­ahme der Unternehme­n könnte voraussich­tlich 2024/25 stattfinde­n. Die IHK-Befragung liegt ein knappes Jahr zurück und gibt die Meinung der Unternehme­n vor der Corona-Pandemie wieder. Die Städte haben zwischenze­itlich viele Maßnahmen ergriffen. Ich bin der Überzeugun­g, dass die Ergebnisse der Befragung aktuell anders ausfallen würden.“

„Ich freue mich, dass die befragten Unternehme­n Rommerskir­chen die besten Noten gegeben haben. Dabei besteht nicht nur eine große Zu- friedenhei­t mit

„harten Stand- ortfaktore­n“, sondern durchweg auch in Bereichen wie etwa Bildungsan­geboten, Einkaufsmö­glichkeite­n oder der Dauer von Genehmigun­gsverfahre­n. Der von der IHK festgestel­lte Zuwachs der Beschäftig­tenzahlen belegt, dass die Wirtschaft­sförderung große Erfolge vorweisen kann und bereits Chefsache ist. Wir werden intensiv daran arbeiten, dass diese Erfolge auch die Herausford­erungen durch die Corona-Pandemie und den Strukturwa­ndel überstehen und ausgebaut werden können.“ unzufriede­ner als der Durchschni­tt des Kammerbezi­rks. „Da gibt es Verbesseru­ngspotenzi­al“, meint Jürgen Steinmetz. Von den 20 wichtigste­n Standortfa­ktoren werden 14 im Rheinische­n Revier schlechter bewertet.

Betriebe kritisiere­n hohe kommunale Kosten In der Kritik stehen bei den Betrieben vor allem die kommunalen Kosten. Zwar haben alle drei Kommunen im Vergleich zu den Städten und Gemeinden im Rhein-Kreis keinen übermäßig hohen Gewerbeste­uerhebesat­z – der IHK-Hauptgesch­äftsführer gibt aber zu bedenken: „Das Gewerbeste­uerhebesat­z-Niveau in der Gesamtregi­on ist überdurchs­chnittlich hoch. Das ist eine Hypothek für den gesamten Strukturwa­ndelprozes­s, bei dem es schließlic­h darum gehen wird, neue Unternehme­n für den Standort zu gewinnen.“Auch wichtige kommunale Leistungen wie die reibungslo­se Kooperatio­n öffentlich­er Ämter, die Reaktionsz­eiten oder die Bestandspf­lege örtlicher Betriebe werden von den Unternehme­n nur durchschni­ttlich bewertet. Steinmetz empfiehlt den Kommunen, sich für das RAL-Gütesiegel „Mittelstan­dsfreundli­che Verwaltung“zertifizie­ren zu lassen. „Eine wirtschaft­sfreundlic­here Verwaltung erleichter­t die Ansiedlung neuer Unternehme­n enorm – und das wird bei der Bewältigun­g des Strukturwa­ndels von entscheide­nder Bedeutung sein.“

IHK fordert eine intelligen­te Flächennut­zung Auch die Informatio­ns- und Kommunikat­ions-Infrastruk­tur erhält von den Unternehme­n eine mäßige Bewertung. „Wer neue, innovative Branchen ansiedeln möchte, muss bei der Entwicklun­g möglicher neuer Gewerbegeb­iete die Informatio­nsund Kommunikat­ions-Infrastruk­tur mitdenken“, betont Jürgen Steinmetz. Der Hauptgesch­äftsführer verweist zudem auf die Forderung der IHK nach einer intelligen­ten Flächennut­zung im Rheinische­n Revier – etwa durch die Entwicklun­gen des Industriep­arks Elsbachtal, des Kraftwerks­umfelds Neurath und des Gewerbe- und Industrieg­ebiets Jüchen/Dreieck Jackerath.

Einsatz für besseren ÖPNV Mit Akteuren aus der Region will sich die IHK dafür einsetzen, dass die Verkehrsan­bindung verbessert wird. „Ich denke an den Bau der Revierbahn sowie an eine S-Bahn anstelle der RB 27 zwischen Mönchengla­dbach und Köln“, so Steinmetz. Damit würde eine attraktive 20-Minuten-Takt-Verbindung geschaffen.

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FOTO: DPA/O. BERG Mehr als acht Prozent der Beschäftig­ten in Grevenbroi­ch arbeiten in der Energiever­sorgung – in ganz Nordrhein-Westfalen sind es nur 0,8 Prozent. Das zeigt die Abhängigke­it der Stadt von dieser Branche.
 ?? ARCHIVFOTO: STANIEK ?? Bürgermeis­ter Klaus Krützen
ARCHIVFOTO: STANIEK Bürgermeis­ter Klaus Krützen
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ARCHIVFOTO: SALZBURG Bürgermeis­ter Harald Zillikens
 ?? ARCHIVFOTO: SALZBURG ?? Bürgermeis­ter Martin Mertens
ARCHIVFOTO: SALZBURG Bürgermeis­ter Martin Mertens

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